© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/04 19. November 2004

Holland ist überall
Das böse Erwachen aus dem multikulturellen Traum
Alexander Griesbach

Der ehemalige Berliner Innensenator Heinrich Lummer schrieb vor gut fünf Jahren ein Buch, das den beschwörenden Titel "Deutschland soll deutsch bleiben" trägt. Darin findet sich unter anderem das Kapitel "Probleme schaffen ohne Waffen - die multikulturelle Gesellschaft". Wie die politisch korrekten "Platzanweiser der öffentlichen Moral" (Martin Walser) auf Mahner wie Lummer reagieren, ist bekannt. Da war und ist von "verantwortungsloser Panikmache", "Stammtischniveau" und "billigem Populismus" die Rede. Heute, nach dem Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh und den sich daran anschließenden Gewalttaten, ist der multikulturelle Traum ausgeträumt.

Die Vorreiterrolle spielt ausgerechnet ein Land, das insbesondere den ach so xenophoben Deutschen immer wieder als "Hort der Liberalität" angepriesen wird - die Niederlande. Seit dem Mord an Van Gogh gab es mehr als 20 Brandanschläge auf moslemische und christliche Einrichtungen. Von dem Mörder Van Goghs, einem Niederländer marokkanischer Herkunft, ist inzwischen bekannt, daß er Verbindungen zu islamistischen Gruppen in Saudi-Arabien, Spanien, der Schweiz und Marokko hatte. Auch zu den Attentätern, die am 11. März dieses Jahres in Madrid ein Blutbad mit fast 200 Toten anrichteten, soll er Kontakte unterhalten haben. Mohammed B. entspricht im übrigen nicht den Vorstellungen, die man hierzulande von Islamisten hegt. Er genoß eine gute Schulbildung und soll erst in den letzten zwei Jahren radikalisiert worden sein.

Nur der schnelle Zugriff niederländischer Sicherheitskräfte hat wohl verhindert, daß fanatische Muslime weitere Morde verüben konnten. Einer holländischen Zeitung zufolge planten die beiden islamistischen Terroristen, die letzte Woche in Den Haag nach stundenlanger Belagerung festgenommen wurden, die Ermordung der islamkritischen Politikerin und Autorin Ayaan Hirsi Ali und des Abgeordneten Geert Wilders. Hirsi Ali wird angekreidet, sich zu offen über die islamische Frauenunterdrückung geäußert zu haben.

Es ist - das beweist der auf grausamste Weise ausgeführte Mord an Van Gogh - offenbar lebensgefährlich geworden, sich in Europa kritisch gegenüber dem Islam zu äußern. Dank sperrangelweitoffener Grenzen und multikultureller Phantasten in allen Regierungen Europas sitzen die religiösen Fanatiker inzwischen überall. Sie machen keinen Unterschied, ob ihre "Feinde" Linke, Rechte, Ausländerfreunde oder -feinde sind. Die deutsche Filmautorin Esther Schapira, die ebenfalls ins Visier fanatischer Muslime geriet, warnte vor kurzem davor, sich daran zu gewöhnen, daß Kritik am Islam nur noch unter Vorsichtsmaßnahmen vorgetragen werden dürfe: "Wir erreichen sonst einen Zustand wie in Italien, als es darum ging, über die Mafia zu berichten. Und wo Journalisten sich irgendwann nicht mehr getraut haben, offen zu berichten, weil sie wußten, daß sie ihr eigenes Leben gefährden. Dies darf in einer Demokratie nicht zum Normalzustand werden."

Vor diesem Hintergrund kann der Mord an dem linken Provokateur Van Gogh, mit dem die Niederländer - nach dem "Rechtspopulisten" Pim Fortuyn - einen weiteren Tabubrecher verloren haben, nicht als Tat eines irregeleiteten Einzeltäters abgetan werden. Vielmehr wirft er die Frage auf: Wer wird der oder die nächste sein? Vielleicht die italienische Publizistin Oriana Fallaci, die ihren Antipathien gegenüber islamistischen Bartträgern und Kopftuchträgerinnen allzu heftig Ausdruck verleiht?

Keine Frage: "Der Krieg in unseren Städten", den der Journalist Udo Ulfkotte in einem aufsehenerregenden Buch im letzten Jahr apostrophiert hat, wird mehr und mehr Realität. Der ehemalige FAZ-Redakteur hat beschrieben, wie islamistische Extremisten Deutschland unterwandern. Nach außen tarnen sie sich als wohltätige Spendensammler, predigen religiöse Toleranz und den vielbeschworenen "Dialog der Weltreligionen". Tatsächlich - so Ulfkotte - seien sie eine gut getarnte Untergrundarmee, die sich zum Angriff auf den Rechtsstaat mit dem Ziel rüsteten, einen islamischen Gottesstaat auf deutschem Boden zu errichten. Ihre Verbindungen reichten zu terroristischen Organisationen wie der ägyptischen Muslimbruderschaft, zu Hamas und Hisbollah, al-Qaida oder den Attentätern von Djerba.

Diese Darstellung gefiel einer Reihe von islamischen Vereinen, Organisationen, Firmen und Privatpersonen in keiner Weise. Sie überzogen Ulfkotte und den Eichborn-Verlag mit Klagen. Doch damit nicht genug: Ulfkotte wurde sogar mit Morddrohungen konfrontiert (die JF berichtete).

Inzwischen wird Ulfkottes trotzige Ankündigung "Wir werden in Deutschland in Zukunft Terroranschläge erleben!" von Geheimdienstmitarbeitern nicht mehr ausgeschlossen. So zitierte die Nachrichtenagentur AP einen Geheimdienstmitarbeiter, der selbstverständlich anonym bleiben will, es bestehe die Befürchtung, "daß gewaltbereite islamistische Gruppen die Vorgänge in den Niederlanden zum Anlaß nehmen, auch in Deutschland zuzuschlagen". Die Bedrohung durch Trittbrettfahrer sei groß. Von denen gibt es in Deutschland mittlerweile genug.

So steht nach Angaben aus Geheimdienstkreisen ein Großteil der rund 31.000 islamistischen Extremisten in Deutschland bereit, notfalls im Namen Allahs ihre Vorstellungen auch mit Gewalt durchzusetzen. Diese könnten sich schon durch ein Schreiben, das bei der Leiche Van Goghs gefunden wurde und in dem dazu aufgerufen wird, sich gegen alle "ungläubigen Feinde" im Westen zu erheben, dazu animiert fühlen, gegen alles, was "westlich" ist, loszuschlagen.

Daß deutsche Politiker angesichts dessen noch immer die Gefahren einer multikulturellen Gesellschaft verharmlosen, zeigt den Wirklichkeitsverlust der hiesigen politischen Klasse. Gilt gleiches etwa nicht für Deutschland? Bereits vor elf Jahren stellte der Philosoph Hans Ebeling fest: "Zum Krieg der 'Bürger' treibende Gegensätze nicht sehen zu wollen im Streben nach Harmonie und Glanz der Lichterketten, gehört ... zum eben nicht guten Brauch. Das Streben nach Harmonie mag honorig sein, die Fiktion der Harmonie treibt jedenfalls in die Zerreißprobe."

Europa und damit auch Deutschland befinden sich auf dem Weg in ebendiese Zerreißprobe. Sie steht am Ende der Illusion von der, wie es Ebeling ausdrückt, "Weltgesellschaft" in "einem Land", die im "globalen Maßstab beliebig vermengt, was keineswegs zusammengehört". Europa sollte schnellstens vom "multikulturellen Traum" Abschied nehmen. Nur dann kann es seiner Selbstauflösung in einem Bürgerkrieg, den es selbst zu verantworten hat, möglicherweise noch entgehen.


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