© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/04 12. November 2004

Thüringische Odyssee
Nachkriegszeit in Mühlhausen
Manfred Ostückenberg

Mehr als ein halbes Jahrhundert mußte vergehen, ehe die Wahrheit über die furchtbaren Ereignisse der Mühlhauser Nachkriegsjahre ans Licht gelangte. Was nach dem Einmarsch der Roten Armee im Sommer 1945 den Bürgern angetan wurde, zählt zum Schlimmsten in der tausendjährigen Stadtgeschichte: Mord, Vergewaltigung und Folter gehörten zur Tagesordnung. Mehr als 1.600 Bürger wurden verschleppt, nur ein Teil davon überlebte.

Neben der Demontage ganzer Fabrikanlagen peitschte die sowjetische Militäradministration eine "Entprivatisierung" durch, der nahezu die gesamte über Jahrhunderte gewachsene mittelständische Struktur von Handwerk und Industrie zum Opfer fiel. Dazu herrschte eine anhaltende Rechtlosigkeit und brutale Meinungsunterdrückung, die Tausende Mühlhauser zur Flucht zwang.

In seinem Buch hat Manfred Thiele in 25 Kapiteln die herausragenden damaligen Ereignisse festgehalten. So die blutige Arbeit der Militär-Tribunale, die grausamen Verhörmethoden des NKWD und die Beseitigung ermordeter Bürger im Territorium des Stadtkreises.

Mehr als 800 Schicksale finden Erwähnung: Namen von Menschen, die durch den Terror der sowjetischen Geheimpolizei und der SED furchtbare Leidenswege gehen mußten wie der 19jährige Dietmar Bockel, der wegen eines bloßen Verdachts zu 25 Jahre Zwangsarbeit verurteilt wurde und Workuta nur durch ein Wunder überlebte. Wie viele dieser Opfer starben, ohne daß ihre Angehörigen je etwas über ihren Verbleib erfuhren, wird für immer ungeklärt bleiben.

An zahlreichen Beispielen weist Thiele nach, wie die Sowjets mit der Unterstützung deutscher Helfer ein Spitzelnetz aufbauten, das später vom DDR-Staatssicherheitsdienst übernommen wurde. Sowohl die Namen der deutschen wie sowjetischen Täter finden Erwähnung. Über zwölf Jahre lang hat der Autor Zeitzeugen und Opfer befragt, in- und ausländische Archive durchforstet. Offizielle Unterstützung für sein in der Bedeutung weit über Mühlhausen hinausreichendes Projekt fand er so gut wie keine.

Manfred Thiele: Vae Victis - Mühlhausen unter sowjetischer Besatzungsdiktatur 1945-1953. Selbstverlag, Mühlhausen 2004, 375 Seiten, gebunden, 22,50 Euro


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