© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/04 05. November 2004

Die Jasager bleiben unter sich
Ein Herbstwind bläst die Feigenblätter davon: Reformkritiker sagen ihre Teilnahme am Rat für deutsche Rechtschreibung ab
Thomas Paulwitz

Der von der Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossene Rat für deutsche Rechtschreibung sollte die Kritiker des Neuschriebs spalten und die Rechtschreibreform endlich unter Dach und Fach bringen. Während nur zehn Prozent der Deutschen die Reform befürworten, besetzten die Minister den Rechtschreibrat mit 90 Prozent Jasagern. Jetzt hat ein frischer Herbstwind sogar noch die Feigenblätter des Rates, die zehn Prozent Reformkritiker, davongeblasen. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und der deutsche PEN-Club sagten ihre Mitarbeit ab. PEN-Generalsekretär Wilfried F. Schoeller beklagte, die Kritiker würden in den Entscheidungsprozeß nur formell eingebunden, die Ergebnisse der Beratungen stünden bereits fest.

Bevor die Konferenzen der Ministerpräsidenten und der Kultusminister im Oktober zusammentraten, führte die KMK die Öffentlichkeit in die Irre. Das Volk sollte glauben, daß die schlimmsten Auswüchse der Reform durch den Rechtschreibrat behoben würden, indem dieser die bereits reformierte Reform noch einmal reformieren würde. Die Zusammensetzung des Rates folgte in gut bundesrepublikanischer Tradition einer Art kontrolliertem Pluralismus. Nach außen hin sieht es so aus, als ob sich in dem Rat verschiedene Stände vertreten fühlen dürfen: Lehrer, Journalisten, Schriftsteller, Verleger und so weiter. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, daß der Rat wie eine Volksfront nach DDR-Muster fast ausschließlich mit treuen Gefolgsleuten besetzt ist, die die Rechtschreibreform oft schon bisher im Beirat der Rechtschreibkommission unterstützt oder zumindest mitgetragen haben. Der Rat entpuppte sich als ein Neuschrieb-Sowjet, der die mit der Reform verbundenen ideologischen und finanziellen Interessen nicht gefährden soll.

Noch bevor er zusammengetreten ist, wird der Rechtschreibrat durch die Absagen bereits zur Farce. Die Kultusminister hatten vorgesehen, die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung mit zwei Sitzen und die Schriftstellervereinigung PEN-Club mit einem Sitz in den geplanten Rat aufzunehmen, der insgesamt 36 Sitze umfassen soll: 18 Sitze sollen nach dem Willen der KMK auf bundesdeutsche Interessenverbände entfallen, je neun sollen von Österreich und der Schweiz besetzt werden.

"Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ist nicht bereit, dem von der Kultusministerkonferenz beschlossenen Rat für deutsche Rechtschreibung beizutreten, da dessen Aufbau falsch und dessen Arbeitsbedingungen unzulänglich sind", lautet der eindeutige Beschluß der Herbsttagung. Die Akademie möchte statt dessen eine neu zu schaffende nichtstaatliche Instanz, an deren Bildung sie mitwirken wolle und die nicht mehr als sechs Mitglieder umfassen solle. Die Akademie der Künste Berlin-Brandenburg hat jetzt sogar dazu aufgefordert, die Verantwortung für die Zukunft der deutschen Rechtschreibung gleich ganz an die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung zu geben.

KMK-Präsidentin Doris Ahnen will indes unverdrossen weitermachen und an ihrem Rechtschreibrat festhalten. Die Minister haben vermutlich von vorneherein einberechnet, daß die Kritiker nicht lange bleiben würden. Für eine gezielte Irreführung der Öffentlichkeit während einer politischen Entscheidungsphase kamen sie aber wohl gerade recht.

 

Thomas Paulwitz ist Schriftleiter der vierteljährlich in Erlangen erscheinenden Zeitung "Deutsche Sprachwelt".


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