© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/04 05. November 2004

Nachhaltige Dienstleistung
Zur Geschichte der Orientalistik
Lars Koch

Wie immer in Zeiten knapper Kassen steht zuerst der Bildungsetat auf dem Prüfstand. Wie immer? Nein! In Preußen nach 1806 gab der König die Parole aus, Bildung müsse den Staat wieder aus dem Sumpf ziehen. Ebenso hieß es nach 1918, Preußen und Deutschland sollten geistig kompensieren, was sie materiell verloren hätten. Dieser Devise verdanken jene "Orchideenfächer" ihre Förderung, die heute wieder "eingespart" werden sollen. Allen voran die Orientwissenschaften, die angesichts des geplanten EU-Beitritts der Türkei eigentlich in einem Umfang gefördert werden müßten wie zu Weimarer Zeiten, als mit Carl Heinrich Becker ein Islamwissenschaftler den bildungspolitischen Kurs an Preußens Hochschulen bestimmte.

Mit dem Ausbau der Universitäten zu Anfang des 20. Jahrhunderts setzt die Geschichte der "deutschsprachigen Erforschung des Vorderen Orients" ein, die Ludmila Hanisch in ihrer wissenschaftshistorischen Darstellung der Arabistik und der Islamwissenschaft bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges verfolgt. Diese straff gefaßte Disziplingeschichte zeigt vor allem die innige Verzahnung von Politik und Wissenschaft. Reüssierten orientalistische Fächer doch deswegen, weil sie sich aus dem engen sprachwissenschaftlichen Korsett ihrer Anfänge im 19. Jahrhundert befreiten und "Dienstleistungen" als "auslandskundliche" Fächer anboten.

Man muß nur an das Stichwort "Berlin-Bagdad-Bahn" denken, um den politischen Beratungsbedarf und die aufgrund dessen bevorzugte Förderung schon vor dem Ersten Weltkrieg evident zu finden. Da es auch ab 1918 weiterhin darum ging, deutsche Nah- und Mittelost-Interessen wissenschaftlich "nachhaltig" zu ummanteln, konnte das "Weltniveau" der orientalistischen Seminare gesichert werden - zur Freude der europäischen und US-amerikanischen Konkurrenz, die nach 1933 von der hier eingehend beschriebenen Vertreibung deutsch-jüdischer Orientalisten profitierte. Ein umfangreicher biographischer Anhang, der etwa 400 deutschsprachige Orientalisten erfaßt, rundet das Werk ab.

Ludmila Hanisch: Die Erben der Exegeten. Deutschsprachige Erforschung des Vorderen Orients in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2003, 235 Seiten, broschiert, 58 Euro


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