© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/04 29. Oktober 2004

Pleitegeier über Kirchendächern
Kirchen: Immer weniger Menschen sind in der Kirche / Immer weniger Kirchenmitglieder zahlen Kirchensteuer / Die Haushalte drohen zu platzen
Peter Freitag

Ihr sollt nicht Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben": Diese Weisung Jesu an seine Jünger, die "umsonst geben" sollten, weil sie "umsonst empfangen" haben, mag mancher heutige Diener der Kirche weniger mit dem Aussendungsbefehl im Neuen Testament als vielmehr mit der finanziellen Perspektive seines Arbeitgebers in Verbindung bringen.

Die Kassenlage der Kirchen beider großen Konfessionen in Deutschland - hier kann man wie sonst kaum von Ökumene sprechen - ist mehr als nur angespannt, sie ist teilweise besorgniserregend. Der Rückgang der Kirchensteuern, der wichtigsten Einnahmequelle für die römisch-katholische Kirche wie für die in der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) zusammengeschlossenen Gliedkirchen, betrug allein vom Jahr 2000 auf 2001 gut 179 Millionen Euro auf katholischer und über 170 Millionen Euro auf evangelischer Seite. Im Zuge der staatlichen Steuerreform rechnen Experten in den Kirchen für dieses Jahr mit einer weiteren Verringerung des Kirchensteueraufkommens in Höhe von acht Prozent und bei der nächsten Stufe der Reform um weitere 4,5 Prozent. Die Kirchensteuer ist der Betrag, der dem lohn- und einkommensteuerpflichtigen Erwerbstätigen von seiner Lohnsteuer (je nach Bundesland in Höhe von acht bis zehn Prozent) monatlich abgezogen wird.

Entweder Schulden machen oder Rücklagen aufzehren

Den Kirchen stehen wie dem Staat zunächst zwei Möglichkeiten offen, auf diesen fulminanten Rückgang der Einnahmen zu reagieren: Sie können Rücklagen aufzehren und Schulden aufnehmen (was zum Teil bereits geschehen ist) oder aber: sparen, das heißt den Rotstift auf der Ausgabenseite ansetzen. Die Verfechter des erstgenannten Weges sind von der Hoffnung beseelt, daß eines Tages die "sieben mageren Jahre" auch wieder vorbei sein werden.

Genau das Gegenteil behaupten die Verfechter der zweiten Lösung: Die "fetten Jahre" sind vorbei, und zwar endgültig. Für diese These können einige Fakten ins Feld geführt werden. Mit einem dauerhaften Rückgang der Kirchensteuereinnahmen ist zu rechnen, wenn man sich die Mitgliederentwicklung vor Augen führt. Im Jahr 2000 standen in der römisch-katholischen Kirche 233.000 Taufen 268.000 Bestattungen gegenüber; die Zahl der Kirchenaustritte (129.469) übertraf die der Übertritte (3.842) und die der Wiederaufnahmen (8.171) bei weitem. In der EKD sieht es zum Teil noch schlimmer aus: Dort wurden im selben Jahr annähernd 100.000 Angehörige mehr bestattet als getauft, und die Zahl der Austritte betrug fast 189.000.

Der "demographische Faktor" trifft die Kirchen in mehrfacher Hinsicht: es werden weniger Kinder geboren, von denen (durch Kirchenaustritt der Eltern) noch weniger getauft werden. Der Einbruch in den Zahlen des Nachwuchses ist überproportional; das Durchschnittsalter der Kirchenmitglieder andererseits nimmt zu, was wiederum zu einem Rückgang der Einnahmen führt, da Rentner (in der Regel) keine Kirchensteuer zahlen. Auch die hohe Arbeitslosenquote trägt zu einem Rückgang der kirchlichen Finanzen bei. Austritte verzeichnen beide Konfessionen dagegen hauptsächlich bei Menschen, die gut situiert im Berufsleben stehen. Zwischen 1993 und 2002 verloren beide großen Kirchen insgesamt fast dreieinhalb Millionen Mitglieder.

Einer, der die These vom Ende der "fetten Jahre" vertritt und entsprechend zum Umdenken auffordert, ist Norbert Feldhoff. Bis Mai diesen Jahres war er fast dreißig Jahre Generalvikar der Erzdiözese Köln, somit Verwaltungschef eines der größten (und reichsten) Bistümer Deutschlands. In der Juni-Ausgabe der katholischen Zeitschrift Stimmen der Zeit legte Feldhoff seine Gedanken dar. Der Prälat läßt keinen Zweifel daran, daß "man ohne deutliche Aufgabenreduzierung nicht an einem finanziellen Desaster vorbeikommt". Daraus folgert er, "Posterioritäten" zu finden, das heißt Dinge, die weniger wichtig sind als andere. Nicht unter finanziellen, sondern inhaltlichen (theologischen) Gesichtspunkten müsse die Kirche aussortieren, was nicht unbedingt notwendig ist für ihren Bestand und ihre essentiellen Aufgaben. Angesichts der geringer werdenden Finanzkraft komme die Kirche auch nicht umhin, Personal abzubauen und Einrichtungen zu schließen.

Und vielerorts setzen die Kirchen solche Maßnahmen bereits in die Praxis um. Die Berliner Erzdiözese, von finanziellen Einbußen besonders betroffen, will sich zur Konsolidierung der Kassen von zwölf Kirchengebäuden trennen. In Hamburg soll die Zahl der katholischen Pfarreien von 39 auf 25 reduziert werden, das Bistum Hildesheim legte ebenfalls einen radikalen Sparplan vor. Bis zum Jahr 2020 soll die Zahl der Gemeinden auf ein Drittel des jetzigen Bestandes reduziert werden. Sechzig Millionen Euro will allein das Bistum Aachen einsparen und dabei die Aufwendungen für Kindergärten, Schulen, Bildungseinrichtungen und die Verwaltung kürzen.

Die mit 3,1 Millionen Mitgliedern größte Gliedkirche der EKD, die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover, mußte in den ersten vier Monaten dieses Jahres 9,5 Prozent weniger Kirchensteuereinnahmen als im Vorjahr verzeichnen. Der deswegen notwendige Nachtragshaushalt weist ein Defizit in Höhe von 67,5 Millionen Euro aus, das durch Entnahme aus den Rücklagen gedeckt werden muß. Diese Finanzlage erfordert nach Angaben des Landeskirchenamtes eine Ausgabenreduzierung von zehn Prozent bis zum Jahr 2010. Auch die Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Bayern muß ihren Haushalt um neunzig Millionen Euro verringern.

Dienstleistungen streichen und Personal abbauen

Nicht besser als im Süden sieht es in der Nordelbischen Landeskirche aus. In ihrem Einzugsbereich, der die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein abdeckt, fürchten die Mitarbeiter, daß in den nächsten Jahren ein Viertel der Stellen abgebaut werden muß. Der Grund ist auch hier eine Finanzlücke von dreißig Prozent. Besonders betroffen von solchen Maßnahmen werden in erster Linie Küster, Kindergärtnerinnen und Kirchenmusiker sein. Etwa 270 Millionen Euro stehen der Nordelbischen Kirche dieses Jahr aus Kirchensteuern zur Verfügung, Anfang der neunziger Jahre waren es noch 112 Millionen mehr; für das nächste Jahr rechnet man mit einem erneuten Rückgang in Höhe von acht Millionen Euro. Daß die Einsparungen und Stellenkürzungen bei der Kirche nicht in gleicher Weise wie beim Staat oder in der Industrie für öffentliches Aufsehen sorgen, begründen kirchliche Arbeitnehmervertreter mit dem "verborgenen" Umbau: Die Streichungen werden in den zahlreich untergliederten Einrichtungen der Landeskirchen vollzogen, so daß ein Gesamtbild nicht so augenfällig ist.

Die zum Teil drastischen Einsparungen stellen die Kirchen nicht nur vor das Problem, sich von liebgewonnenen Einrichtungen trennen zu müssen, sie erschüttern auch die Glaubwürdigkeit der Institution. Denn während Würdenträger der Amtskirche und Funktionäre kirchlicher Einrichtungen immer wieder laut protestieren, wenn staatliche Stellen die Streichung von Sozialleistungen, Stellenabbau oder die Schließung bestimmter Einrichtungen bekanntgeben, betreiben die Kirchenverwaltungen in vielen Fällen genau dasselbe.

Einen besonders krassen Fall von pharisäischer Doppelmoral berichtete die Nachrichtenagentur idea aus der hessen-nassauischen Kirche. Dort rügte der Vorstandsvorsitzende der Diakonischen Werks die "Zerstörung des Sozialstaats" durch Ministerpräsident Roland Koch (CDU), während die Landeskirche - die reichste der EKD - selbst für das Haushaltsjahr 2004 18,7 Millionen Euro beim Posten "Kindergärten" einzusparen gedenkt. Zum Ausgleich des Einnahmendefizits sei der Kirche nichts anderes eingefallen, als genau wie das Land Hessen Stellen nicht neu zu besetzen, Dienstleistungen einzustellen und Personal abzubauen. Außerdem habe man sich von einem wirtschaftlich defizitären Verlag getrennt, berichtet die Nachrichtenagentur. Die Differenz zwischen kirchlicher Protestation einerseits und ihrer Praxis andererseits rief unter anderem den Protest der hessischen Kultusministerin Karin Wolff (CDU) hervor, die selbst der Synode der hessen-nassauischen Kirche angehört.

Ein weiterer Glaubwürdigkeitsverlust droht den Kirchen angesichts der über viele Jahre hindurch von den Kanzeln gepredigten Kapitalismuskritik, die nun mit den Notwendigkeiten im eigenen Raum kollidiert. Besonders im (links)protestantischen Milieu wurden in den siebziger und achtziger Jahren gern die Vorteile sozialistischen Wirtschaftens betont und die hiesige soziale Marktwirtschaft als Ausbeutung gegeißelt. Damit vergraulte man nicht nur zahlungskräftige und -willige Mitglieder aus dem gehobenen Mittelstand, die sich - besonders in "Nordelbien" - in nicht unerheblichem Umfang konservativeren Freikirchen oder der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) anschlossen, sondern gerät jetzt in Zeiten tiefgreifender Einschnitte in akute Erklärungsnot. Leidtragende der auf Synergieeffekte abzielenden Reformen sind weniger die Pfarrer und Kirchenräte, die in einem der Beamtenschaft vergleichbaren Dienstverhältnis stehen. Sie betreffen in erster Linie die Angestellten kirchlicher Einrichtungen, ganz zu schweigen von deren Nutzern und den Kirchenmitgliedern.

Im Abbau von Bürokratie tun sich auch die Kirchen dagegen noch immer schwer. In der EKD kommt erschwerend die Auffächerung in die verschiedenen innerprotestantischen Konfessionen hinzu. So besteht die EKD aus 24 Gliedkirchen, die ihrerseits noch einmal unterschiedlichen Zusammenschlüssen angehören, wie etwa die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche (VELKD), die Reformierte Kirche oder die Evangelische Kirche der Union (EKU). Neben den einzelnen Landeskirchenämtern fallen hier also noch Verwaltungen der Konfessionsbünde an.

Auch auf katholischer Seite werden Befürchtungen laut, die Sparmaßnahmen beträfen in erster Linie die Kirchenorganisation an der Basis, also die Pfarreien und Gemeinden. So kritisierte ein Hildesheimer Priester in der katholischen Tagespost, daß die Pläne zur Bündelung kirchlicher Kräfte nicht den Gemeinden, sondern den Apparaten zugute käme. Damit werde direktes Engagement aber nicht befördert, sondern die Gemeinde "von oben" verwaltet. Diese finanziellen und zum Teil institutionellen Mängel in den Kirchen rufen Kritiker auf den Plan, die grundlegendere Reformen fordern.

Nur jedes dritte Mitglied zahlt noch Kirchensteuer

Das derzeitige deutsche System der Steuererhebung durch die Kirche hat eine lange Tradition, die auf den mittelalterlichen Zehnt ebenso zurückgeht wie auf Entwicklungen während der Reformation und Gegenreformation. Nach dem Ende des (zweiten) Kaiserreiches schloß man in der Weimarer Verfassung einen Kompromiß zwischen dem Prinzip einer Staatskirche und dem einer strikten Scheidung von Staat und Kirche. Diese sogenannte "hinkende Trennung" wurde vom Grundgesetz übernommen und verleiht den Kirchen sowohl eine weitgehende Autonomie als auch eine finanzielle Unabhängigkeit. Beide Seiten sollten davon profitieren: Der Staat zieht Geld für die Kirchen ein, subventioniert sie noch einmal durch die "unbegrenzte Abzugsfähigkeit der gezahlten Kirchensteuern" und weist ihnen den Status von "Körperschaften des öffentlichen Rechts" zu, die Kirchen übernehmen Tätigkeiten, von denen der Staat entlastet wurde.

Doch die Krise der Volkskirche zieht Störungen dieser Symbiose nach sich: In Hamburg etwa offeriert die Diakonie ca. 10.000 Kindergartenplätze, fast 2.500 Krankenhausbetten und 5.000 Plätze in Alten- und Pflegeheimen. Obwohl diese nicht allein aus Kirchensteuermitteln finanziert werden, erscheint es zweifelhaft, daß diese Kapazitäten aufrechterhalten bleiben können. Denn mittlerweile gehört nur noch ein gutes Drittel der Hamburger der Nordelbischen Kirche an. Und die in der Diaspora der Hansestadt lebenden Katholiken (170.000) werden bald von den islamischen Einwohnern überholt, die es bereits auf eine Zahl von 130.000 bringen.

Der kirchenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hermann Kues, forderte bereits im Januar diesen Jahres von den Kirchen, sie müßten sich angesichts veränderter Rahmenbedingungen Gedanken darüber machen, wie sie ihre Finanzierung sicherstellen. Während Kues grundsätzlich am staatlichen Kirchensteuersystem festhalten möchte, fordert sein Parteifreund Kurt Lauk als Mitglied des CDU-Bundesvorstands eine stärkere Trennung von Kirche und Staat: "Um die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Kirchen zu erhöhen, wird es Zeit, daß sie auch für ihre Einnahmen eigene Verantwortung übernehmen. Dann tritt an die Stelle der bisherigen Kirchensteuer der Kirchenbeitrag, den die Kirchen selbst bestimmen und erheben", forderte der Theologe.

Auch aus dem Innern der Kirche hört man schon die Rufe nach Abschaffung eigener Privilegien. So fragte ein Artikel im (evangelischen) Deutschen Pfarrerblatt, ob das Beamtenverhältnis für die protestantischen Geistlichen noch angemessen sei. Außerdem sollte ein Großteil der Pfarrhäuser, die einst für Großfamilien gebaut, nun aber von zahlreichen Alleinstehenden bewohnt würden, veräußert werden. Und auch die Überlegung, die Kirchensteuer abzuschaffen, stellte man dort an. Das für eine finanzielle Eigenständigkeit der Gemeinden angeführte Argument beleuchtete dabei einen interessanten und bisher wenig beachteten Aspekt: Denn nicht nur treten immer mehr Steuerzahler aus der Kirche aus, sondern immer weniger Kirchenmitglieder zahlen Kirchensteuern; derzeit ist es nur jedes dritte Mitglied. An die Christen in den Gemeinden könnte somit appelliert werden, die finanziellen Lasten kirchlicher Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen.

Die Annahme, daß eine stärkere finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden automatisch die christlichen Kirchen und ihre Mitglieder beleben und aus der amtskirchlichen Lethargie befreien werde, liegt nahe, bleibt aber nicht unwidersprochen. So führt Prälat Feldhoff in seinem oben zitierten Bericht an, daß dadurch mehr Arbeitskraft der Pfarrer auf die Erschließung von Finanzmitteln absorbiert wird, die dann im Bereich der Seelsorge fehlen könnte. Die heutige Mittelzuweisung "von oben nach unten" ermögliche eben auch Freiräume und Unabhängigkeit. Seine Befürchtung ist, daß eine Gemeinde dem Pfarrer den Geldhahn zudrehen könnte, wenn der nicht in ihrem Sinne agiert. Außerdem befürchtet der Kölner Oberhirte, es könnte ein innerkirchlicher Konkurrenzkampf um die wenigen vorhandenen Spendenquellen entbrennen.


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