© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/04 29. Oktober 2004

Kaum Neues aus Karlsruhe
von Thomas Gertner

Mit seiner Entscheidung vom 14. Oktober 2004 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes Naumburg wegen Verletzung des Rechtsstaatsprinzips aufgehoben. Dieses Gericht hat jegliche Bindung staatlicher Organe an Entscheidungen des Straßburger Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) verneint. Karlsruhe stellt in seinen von den Medien bezeichnenderweise nicht aufgegriffenen Entscheidungsgründen klar, daß die Urteile Straßburgs im Verhältnis zwischen dem beklagten Konventionsstaat dann uneingeschränkt und dem Beschwerdeführer bindend sind, wenn zu dessen Gunsten eine konkrete Entschädigung ausgeurteilt worden ist. Solche Urteile sind vollstreckbar wie ein vor einem deutschen Gericht erstrittenes Urteil.

Bezogen auf die noch anhängigen Pilotverfahren wie das der Verfolgungsopfer aus der sowjetischen Besatzungszone bedeutet dies, daß nur derjenige, der selbst sein Schicksal in die Hand nimmt und eine Beschwerde wegen Verletzung der Eigentumsgarantie einreicht, für sich eine Entschädigung erstreiten kann, deren Höhe er darlegen muß. Dies ist möglich, solange das jetzige Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) in Kraft ist. Ob und wie das EALG nach einem positiven Urteil neu zu fassen ist, überläßt Straßburg Deutschland. Ist das EALG novelliert, müßte erst wieder das BVerfG angerufen werden, falls das neu gefaßte Gesetz wiederum die Konvention verletzen sollte.

 

Dr. Thomas Gertner ist Rechtsanwalt und Beschwerdeführer von Enteignungsopfern.


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