© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

Mit der EU hätte er wenig anfangen können
Joseph von Eichendorffs Heimat: In Schlesien wird der große deutsche Romantiker als Teil des Kulturerbes wiederentdeckt
Martin Schmidt

Pfarrer Wolfgang Globisch bezeichnete das am 4. September 1994 in Ratibor (Racibórz) wiedererrichtete Denkmal für Joseph Freiherr von Eichendorff im Festgottesdienst in der örtlichen Liebfrauenkirche als "Testmal". Genau ein Jahrzehnt später fiel das Fazit des Bischofsbeauftragten für die Seelsorge der Minderheiten in der Diözese Oppeln positiv aus. Auch jene, die lieber ein Denkmal des polnischen Nationaldichters Adam Mickiewicz am gleichen Platz in der zentral gelegenen "Mickiewicza", also der nach diesem benannten Straße, sehen würden, hätten den Test bestanden und Toleranz bewiesen, so Globisch.

Verhaltenen Optimismus legte auch der Herzog von Ratibor, Franz Albrecht von Metternich-Sadorn, an den Tag. In seiner auf den Festgottesdienst zum zehnjährigen Jubiläum der Einweihung folgenden Ansprache am Denkmal verlieh er der Hoffnung Ausdruck, daß aus dem bisherigen "freundlichen Nebeneinanderherleben" von Polen und Deutschen in Schlesien im neuen EU-Europa ein gedeihliches "Miteinander" werden möge.

Der rege Beifall der um das Denkmal für den 1788 im nahen Lubowitz geborenen Dichter versammelten Menschenmenge zeigte, wie sehr er gerade den heimatverbliebenen Oberschlesiern aus dem Herzen sprach. Schließlich wissen diese am besten, mit welchen Schwierigkeiten die erzielten Erfolge verbunden waren und noch verbunden sind. Denn selbst in der atmosphärisch vergleichsweise günstigen, nicht zur unruhigeren Wojewodschaft Oppeln, sondern zum Bezirk Schlesien gehörenden Region Ratibor hatte es im Vorfeld der jetzigen Feier Negativ-Schlagzeilen in der polnischen Presse gegeben. Doch am 4. September selbst war von öffentlichen Unmutsäußerungen nichts zu spüren. Lediglich das Ausbleiben des Bürgermeisters der Stadt Ratibor bzw. seiner Stellvertreter zeugte von fortbestehenden Ressentiments.

Die Enthüllung des von dem Bildhauer Georg Latton nach dem Vorbild des 1909 eingeweihten und nach Kriegsende verschollenen ersten Eichendorff-Denkmals geschaffenen Monuments war ein "Meilenstein", wie der polnische Vertreter des Ratiborer Landes im Sejm, Andrzej Markowiak, richtig bemerkte. Schließlich war es, abgesehen von verschiedenen Kriegerdenkmälern, das erste seit 1945 in Oberschlesien wiedererstandene Denkmal aus deutscher Zeit.

Deutsche Seite war offiziell in Ratibor kaum vertreten

Ebenso wie die Reden des parteilosen und für die Minderheit besonders wichtigen Ratiborer Landrats Henryk Siedlaczek, eines Vertreters des polnischen Außenministeriums sowie des früheren Ministerpräsidenten Jerzy Buzek war auch die Ansprache Markowiaks von Wohlwollen gegenüber den einheimischen Deutschen und dem Streben nach gutnachbarschaftlichen Beziehungen beider Länder geprägt.

Die Grüße aus dem Warschauer Außenamt verbanden sich mit einer bemerkenswerten Feststellung, der zufolge die deutsch-polnischen Beziehungen nicht nur in Warschau und Berlin, sondern auch in Ratibor gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es um so unverständlicher, daß die deutsche Seite in Ratibor offiziell kaum vertreten war.

Nach der Zeremonie am Denkmal gab es eine Diskussion über die "Perspektiven der deutsch-polnischen Zusammenarbeit" im Sitzungssaal des Ratiborer Rathauses. Neue Ansätze für eine Vertiefung der zwischenmenschlichen Beziehungen zeigten dort Andrej Markowiak und Gabriele von Altrock auf. Der Sejm-Abgeordnete entwarf seine Vision eines polnisch-deutschen Zentrums im heute 75.000 Einwohner zählenden Ratibor. Dieses solle auf den gemeinsamen positiven kulturellen Wurzeln - selbstverständlich einschließlich der Person Eichendorffs - aufbauen und weniger auf den Leiderfahrungen des 20. Jahrhunderts, wie es im schlesischen Kreisau mit der Erinnerung an den 20. Juli 1944 geschehe.

Von Altrock, die Leiterin des Arbeitskreises Schlesien in der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), warb für ein Zusammenwirken des Ratiborer Landes mit Halle in Sachsen-Anhalt. Dieses habe mittlerweile Interesse an Eichendorff bekundet, der an der einst hochangesehenen Universität der Saalestadt studiert hatte. Für 2005 ist in Halle eine große "Eichendorff-Gedächtnis-Wanderung" geplant, bei der man die wichtigsten Aufenthaltsorte des Dichters in der Region aufsuchen will.

Doch zurück nach Schlesien: Bevor dort die Feierlichkeiten Anfang September mit der Besichtigung der Eichendorff-Gedenkstube in Lubowitz ihren Abschluß fanden, standen zwei parallele Veranstaltungen an: ein großes Kulturfest des regionalen Deutschen Freundschaftskreises (DFK) im Hof des Ratiborer Schlosses und eine Konferenz im Stadtmuseum zum Thema "Europäische Integration im Grenzland der drei Kulturen - das Schaffen und Werk von Joseph von Eichendorff und sein Einfluß auf den Prozeß der Integration". Leider nahm der wissenschaftliche Charakter im Laufe der Konferenz immer größeren Schaden und warf einen kleinen Schatten auf die ansonsten gelungenen Feiern. So stellte Franciszek Marek den "schlesischen Mickiewicz" quasi als halben Polen dar, und die Mehrheit der Referenten mühte sich krampfhaft um Bezüge der Person und des Werks Eichendorffs zum heutigen Europa.

Der schlesische Dichter selbst hätte mit der Europäischen Union in ihrer jetzigen geistigen Befindlichkeit wohl wenig anfangen können, zumal diese wesentlich auf den Ideen von 1789 basiert, die er sein Leben lang verachtete und literarisch bekämpfte. Man denke in diesem Zusammenhang insbesondere an den Streit über einen Gottesbezug in der geplanten EU-Verfassung. Wenn es denn eine europäische Dimension seines Werks gibt, die für die Gegenwart als Klammer zwischen den Völkern dienen könnte, so ist es die auf dem christlich-abendländischen Erbe fußende tiefe Religiosität Eichendorffs.

Dieser Katholizismus und eine für bundesdeutsche Besucher ebenso ungewohnte wie eindrucksvolle Volksfrömmigkeit prägen noch heute den Lebensalltag der Menschen in Oberschlesien und erleichtern zweifellos den Zugang zum Werk Eichendorffs.

Natürlich: Der große schlesische Dichter ist hierzulande trotz Bildungsnotstand noch immer ein Begriff. Seine Novelle "Aus dem Leben eines Taugenichts" ist nicht von ungefähr das wohl am häufigsten gelesene Werk der deutschen Romantik. Ähnlich bekannt sind seine Gedichte, von denen etliche als Vertonungen in unseren - zunehmend gefährdeten - Volksliedschatz eingingen. Man denke nur an "Wem Gott will rechte Gunst erweisen", "O Täler weit, o Höhen", "In einem kühlen Grunde" oder "Nach Süden nun sich lenken".

Doch einem Vergleich mit der seit dem Umbruch von 1989 zu beobachtenden Eichendorff-Renaissance in dessen schlesischer Heimat hält dieses eher kümmerliche Dichtergedenken nicht stand. Das kann man auch jenseits der polnisch-tschechischen Grenze im nahegelegenen Deutsch-Krawarn (Kravare), dem Hauptort des Hultschiner Ländchens, feststellen.

Immerhin über fünf Generationen hinweg zählte dieser zum Besitz der Familie Eichendorff. Johann Rudolph von Eichendorff hatte zwischen 1721 und 1728 sogar das dortige Barockschloß erbauen lassen. Erst der Vater des berühmten Literaten, Adolph von Eichendorff, mußte es verkaufen. Sein Sohn kam trotzdem öfters aus dem etwa 30 Kilometer entfernten Lubowitz zur Jagd nach Krawarn geritten. Seit 1996 erstrahlt das im Staatsbesitz befindliche frühere Eichendorff-Schloß nach gelungener Restaurierung wieder in altem Glanz. Es beherbergt Büros, ein Museum sowie ein Restaurant. Nicht zuletzt ist es Treffpunkt für den örtlichen Deutschen Freundschaftskreis. Dieser ist sehr rührig und hat sich in Gestalt seines Aktivisten Horst Kostritza um die Erforschung der wechselvollen Regionalgeschichte verdient gemacht.

Deutsch-polnische Verständigung an der Basis

Das Hultschiner Ländchen war 1742 von den Habsburgern zu Preußen gekommen, ab 1816 gehörte es zum preußischen Regierungsbezirk Oppeln, 1920 wurde es ohne Befragung der knapp 55.000 Einwohner als Folge des Versailler Vertrages an die Tschechoslowakei abgetreten, gelangte 1938 für wenige Jahre ans Dritte Reich, ehe es 1945 erneut die Tschechoslowakei zugesprochen bekam. Die mehreren hundert Krawarner DFK-Mitglieder hängen bis heute eng an Deutschland und der deutschen Kultur wie viele andere Deutschstämmige im Hultschiner Ländchen auch. Die Pflege der Erinnerung an den bedeutenden schlesischen Romantiker ist für viele von ihnen ein unverzichtbarer Bestandteil der eigenen Identität.

Ja, Joseph von Eichendorff erfreut sich in Krawarn und Umgebung ungebrochener Wertschätzung. Sichtbar wurde diese beispielsweise im März 2002 im Schloßhof, als man dort eine Eichendorff-Büste enthüllte. Gestiftet hatte das in Oppeln gleich in zweifacher Ausfertigung gegossene Denkmal die in Schlesien stark engagierte Erika-Simon-Stiftung (Rinteln/Niedersachsen). Das andere Exemplar fand in der "Eichendorffstraße" im oberschlesischen Neisse seinen Platz, und zwar an der Stelle des kriegszerstörten Sterbehauses des Dichters, wo die ursprüngliche Büste 1945 von den Polen entfernt wurde. Auf verschlungenen Pfaden "überlebte" dieses Original die Nachkriegszeit und konnte nun als Vorlage für den Neuguß dienen.

Die dritte Eichendorff-Büste im heutigen Schlesien steht vor dem im Frühjahr 2000 eröffneten Oberschlesischen Eichendorff- Kultur- und Begegnungszentrum in Lubowitz, wo es mit der Zustimmung der großen Mehrheit der polnischen wie deutschen Einwohner inzwischen ebenfalls eine Straße gibt, die nach dem berühmtesten Sohn des Ortes benannt ist.

Gerade zu einer Zeit, da auf der Ebene der offiziellen deutsch-polnischen Beziehungen eine Irritation die andere jagt, ist eine solche von gegenseitiger Toleranz bestimmte Verständigung an der Basis die beste Gewähr für eine wirkliche Aussöhnung beider Völker.

Fotos: Eichendorff-Denkmal im oberschlesischen Ratibor: Optimismus u. Eichendorff-Straße in Lubowitz/Oberschlesien, Eichendorff-Porträt: Verachtete die Ideen von 1789


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen