© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

"Die Abtreibungslobby ist lauter"
Lebensrecht II: Die Bundesvorsitzende des BVL, Claudia Kaminski, über die Schwierigkeiten der Lebensschützer / Selbst Tierschützer genießen höheres Ansehen
Manuel Ochsenreiter

Frau Dr. Kaminski, pro Werktag werden in Deutschland etwa 1.000 Kinder bereits im Mutterleib getötet. Wo bleibt die Empörung der Öffentlichkeit?

Kaminski: Das ist eine Frage, die auch wir uns immer wieder stellen. Weder die Öffentlichkeit noch die Politik läßt sich durch solch schockierende Fakten und Tatsachen noch wirklich mobilisieren. Man versucht zwar immer mal wieder - eher halbherzig -, etwas gegen die sogenannten Spätabtreibungen zu unternehmen, aber die 1.000 getöteten Kinder pro Werktag scheinen die Politiker relativ kalt zu lassen. Natürlich gibt es rühmliche Ausnahmen wie Hubert Hüppe, die sich wirklich engagieren.

Sie sind die Bundesvorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, eines Dachverbandes verschiedener Lebensrechtsorganisationen. Was können Sie als Verband in dieser Sache leisten?

Kaminski: Wir versuchen, vor allem politische Arbeit zu leisten. Wir haben beispielsweise 2001 eine repräsentative Umfrage zum Stammzellimport machen lassen. Das Ergebnis sowie ein begleitendes Rechtsgutachten haben wir vor der Entscheidung im Bundestag nicht nur der Presse, sondern per Brief auch allen Abgeordneten zur Verfügung gestellt. Immer wieder weisen wir die Politiker auf die Mißstände in Lebensrechtsfragen hin. Als die Finanzierung der Abtreibungen durch Steuergelder bekannt wurde, hat der BVL auch alle Sozialminister der Länder angeschrieben, um zu erfahren, wie man das zu überprüfen gedenkt. Auch die 1.000-Kreuze-Aktionen - zuletzt 2002 und jetzt 2004 in Berlin - sind eine Initiative des Bundesverbandes. Als Bundesverband bleiben wir aber auch mit den Kirchen im Gespräch. Und natürlich könnten wir viel mehr bewirken, wenn wir mehr Spenden bekämen und die einzelnen Lebensrechtsgruppen mehr Mitglieder hätten.

Was sagen die Bischöfe?

Kaminski: Unsere Bischöfe, zumindest die katholischen, sind noch nicht so weit wie beispielsweise die Würdenträger in den USA. Dort gehen die Bischöfe gemeinsam mit den Lebensrechtlern auf die Straße. Das ist etwas, was wir uns hier auch wünschen. Zudem wäre es schön, wenn die Kirchen die Lebensrechtsbewegung auch zu den Kirchentagen einladen und berücksichtigen würden.

Weshalb hat Ihrer Meinung nach der Lebensschutz im Vergleich beispielsweise zum Tierschutz eine so schwache Lobby?

Kaminski: Weil es nicht "hip" ist. Man wird heute nun mal eher dafür gelobt, wenn man eine Kröte über die Straße trägt, als wenn man sich für die ungeborenen Kinder einsetzt. Die Abtreibungslobby ist zwar nicht zahlenmäßig überlegen - aber wesentlich lauter. Am Lebensrecht Interessierte dürfen nicht länger schweigen - niemand von uns!

Der katholische Verein "Durchblick e.V." und die CDL haben in einer gemeinsamen Aktion in Villingen-Schwenningen 1.000 weiße Holzkreuze auf einem Feld aufgestellt, die an die abgetriebenen Kinder pro Tag erinnern sollen. Dieses Feld wurde vor etwa drei Wochen von Unbekannten zerstört. Erleben auch Sie Anfeindungen für Ihre Arbeit?

Kaminski: Direkte Anfeindungen dieser Art erlebe ich persönlich nicht. Im Vorfeld unserer Demonstration habe ich aber gesagt, daß es wesentlich schwerer ist, 1.000 Menschen mit ebenso vielen Holzkreuzen umzuwerfen, als sich nachts auf ein Feld zu schleichen und dort die Kreuze auszureißen. Ich werde aber in Diskussionen gelegentlich hart angegriffen. Wir erleben es als Lebensrechtler auch immer wieder, daß wenn wir zu Veranstaltungen eingeladen werden, wo beispielsweise auch Vertreter von "pro Familia" anwesend sind, versucht wird, uns in die Ecke zu stellen.

Ist "pro Familia" offiziell nicht auch für diesen Lebensschutz?

Kaminski: Offiziell ja - allerdings in einem Sinne, den die Medien anscheinend besser akzeptieren können. Und dann gibt es eben Abtreibung für Minderjährige bei Keksen und Tee. Das hat mit Lebensschutz nichts zu tun, sondern missachtet das Kind im Mutterleib. Diese Organisation bietet eine Beratung an, die laut Gesetz dem Ziel des Lebensschutzes dient, der Schwangeren das Bewußtsein vermitteln soll, daß das Ungeborene auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat. Andererseits tritt "pro Familia" jedoch für ein "Recht auf Abtreibung" ein - da stimmt was nicht.

Wie erklären Sie sich die Kritik an Ihrer Arbeit?

Kaminski: Jeder zweite Mensch in Deutschland hat mittlerweile mit Abtreibung zu tun. Fast jeder von uns ist dadurch irgendwie betroffen, kennt jemanden, der abgetrieben hat - dazu gehören auch die Väter, Freunde, Freundinnen, Verwandte der Frauen, die sich für eine Abtreibung entschieden hat. Natürlich auch die Geschwister der abgetriebenen Kinder. Gleichzeitig wird das unglaublich belastende Thema der psychischen Folgen völlig verdrängt. Es sind die wenigsten, die sich wirklich ernsthaft mit dem Post-Abortion-Syndrom beschäftigt haben und dann auch darüber reden. Die Frauen, die eine Abtreibung in Erwägung ziehen, müssen aber dringend darüber aufgeklärt werden. Wir dürfen nicht länger zulassen, daß Frauen zu Abtreibungen gedrängt werden, ohne zu wissen, was auf sie zukommt.

Müßte ein Staat ungeborenes Leben nicht eigentlich als eines seiner höchsten Güter schützen?

Kaminski: Absolut!

"Familie ist dort, wo sich mehrere Personen einen Kühlschrank teilen", heißt es beispielsweise bei den regierenden Grünen. Ist in einer Gesellschaft, in der Ehe und Familie immer mehr der Auflösung und der Relativierung anheimfallen, ein richtiger Lebensschutz überhaupt noch möglich?

Kaminski: Das macht die Sache auf jeden Fall schwieriger. Mein Bild von der Familie ist ein sehr traditionelles. Wir brauchen die Rolle von Vater und Mutter, um ordentlich und gut erziehen zu können. Das, was Sie in Ihrer Frage beschrieben haben, ist nach meinem Verständnis keine Familie.

 

Dr. med. Claudia Kaminski, 37, ist Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht.

 

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