© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

Die unterschätzte Gefahr
Linksextremismus: Seit Jahren bedrohen autonome Aktivisten die innere Sicherheit / Gewalt richtet sich vor allem gegen Konservative und Staatsorgane
Peter Freitag

Die wiederholten Übergriffe auf Mitglieder und Einrichtungen der NPD in Sachsen (JF berichtete) beflügelten das Nachrichtenmagazin Spiegel zu der Erkenntnis, es gebe "ein neues Erstarken der schon geläutert geglaubten militanten Antifa-Szene". Die Schlußfolgerungen der Hamburger Blattmacher erscheinen auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar.

Die jüngsten Wahlerfolge der Nationaldemokraten geben dem Rechtsextremismus neuen Auftrieb, die NPD öffnet sich den bisher unorganisierten Neo-Nationalsozialisten, und die Präsenz von "Stiefelnazis" wiederum ruft ihren linksextremen Widerpart - die militanten Antifaschisten - auf den Plan, was sich in neuen Gewalttaten entlädt. So lautet die verkürzte Logik: Je mehr "Fa", desto mehr "Anti-Fa".

Ganz so einfach stellt sich das Problem allerdings doch nicht dar. Ohne Zweifel ist es zutreffend, daß die Wahlerfolge der NPD in Sachsen die linksextreme Szene in diesem Bundesland zu Gewalttaten "gegen Rechts" animiert hat und so mit einem Anstieg weiterer politisch motivierter Straftaten zu rechnen ist. Insofern liegt tatsächlich die Tendenz eines "Erstarkens" der militanten Antifa vor. Richtig ist auch, daß - zumindest in Sachsen - für den Zeitraum des Jahres 2003 linksextreme politisch motivierte Straftaten im Vergleich zum Vorjahr erheblich abgenommen hatten, nämlich von 50 auf 17 amtlich registrierte Vorfälle.

Artikel im "Spiegel" gibt nicht die Realität wieder

Angesichts dessen jedoch der Szene "Jahre der Lethargie" oder gar eine "Läuterung" zu attestieren, wie es der Spiegel in seiner Ausgabe vergangene Woche tat, gibt nicht die Realität wieder. Das Potential gewaltbereiter Linksextremisten wurde 2003 bundesweit auf 5.400 Personen eingeschätzt, ein Rückgang von etwa einhundert Personen gegenüber dem Jahr 2002. Trotz dieses personellen Rückgangs stieg bundesweit jedoch in demselben Zeitraum die Zahl der linksextrem motivierten Gewalttaten um 25 Prozent; allein die "bemerkenswert hohe Zahl" der Körperverletzungen stieg laut Auskunft des Bundesamtes für Verfassungsschutz von 152 auf 192. Den weitaus größten Teil - nämlich 226 - gewalttätiger Delikte mit linksextremer Motivation rechnet die Statistik des Bundeskriminalamt dem Themenfeld "Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten" zu.

Nach Angaben des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz belief sich 2003 die Zahl gewaltbereiter autonomer Linksextremisten im Freistaat auf 250 Personen.

Die im Artikel des Spiegel suggerierte Annahme, Gewalttaten von Linksextremisten seien ursächlich mit einer zunehmenden Militanz von Rechtsextremisten verbunden, ist falsch, da die Zahl rechtsextremer Gewalttaten im Beobachtungszeitraum leicht rückläufig war. Außerdem ist die Tatsache, daß es um die militanten Linksextremisten in den letzten Jahren stiller geworden ist, nicht deren vermeintlicher "Lethargie" oder gar "Läuterung", sondern fehlender Berichterstattung in den Medien geschuldet. So wurde die entsprechende Szene "in der Öffentlichkeit immer weniger wahrgenommen", lautet das Resümee der sächsischen Verfassungsschützer. Sie stellen außerdem eine "Identitätskrise", verursacht durch "thematische und organisatorische Orientierungslosigkeit", fest. Die "Autonomen" seien also nicht verschwunden, sondern hätten in der jüngsten Vergangenheit nur mit einer "rückläufigen Mobilisierungsfähigkeit" zu kämpfen gehabt.

Dieses Phänomen beherrscht die linksextreme Szenerie nicht nur im Freistaat, sondern bundesweit. So sind Fälle, in denen unterschiedliche ideologische Standpunkte zu internen Spannungen, ja sogar zu Spaltungen und damit auch zu einem Rückgang der Außenwirkung führten, durchaus auch in anderen Bundesländern bekanntgeworden. Bereits 2001 kam es zur Auflösung der "Antifaschistischen Aktion/ bundesweite Organisation" (AA/BO), im letzten Jahr zu internen Konflikten innerhalb der Berliner Antifa und im April 2004 zum Zerfall der in Niedersachsen bisher maßgeblichen "Autonomen Antifa M" in drei unabhängige Gruppen (JF berichtete).

Hintergrund solcher internen Auseinandersetzungen innerhalb der linksextremen Szene war in der Vergangenheit immer wieder der Konflikt zwischen "Antifaschisten (Antifas)" und "Antirassisten (Antiras)" sowie - noch heftiger - "Antiimperialisten (Antiimps)" versus "Antideutschen". Insbesondere bei Demonstrationen mit außenpolitischem Schwerpunkt, etwa zum Thema Irak-Krieg, wurden die Konflikte virulent und entluden sich nicht selten in Handgreiflichkeiten, wenn beispielsweise Palästinenser-Tücher auf Israel-Fahnen trafen. Auch beim Umgang mit möglichen Bündnispartnern aus dem nicht-extremistischen Milieu prallten die Gegensätze aufeinander. So paktierte - um bei sächsischen Beispielen zu bleiben - die Dresdner "Antifa" immer wieder im "Kampf gegen Rechts" mit sogenannten "zivilgesellschaftlichen" Gruppen und bekundete in solchen Bündnissen auch den Verzicht auf eigene Gewaltausübung; nach Meinung des Verfassungsschutzes allerdings ausschließlich aus taktischer Motivation heraus, nicht wegen ihrer "Läuterung". In Leipzig dagegen verweigerte man seitens der "Antifa" ein solches Vorgehen: Hier wird jeglicher "Antifaschismus von oben" abgelehnt, da man ihn dort unter Anlehnung an die Argumentation der "Antideutschen" als camouflierte Form eines neuen Nationalismus identifiziert.

Dennoch ist daraus nicht zu schließen, daß die Beschäftigung mit sich selbst unter den Linksextremen eine andauernde Lähmung ihrer Aktionsbereitschaft nach sich gezogen hätte. So machte etwa die "Autonome Antifa M" in ihrer Abschlußerklärung deutlich, daß auch nach der Trennung "einer punktuellen Zusammenarbeit anläßlich zukünftiger Kampagnen" nichts im Wege stehe. Trotz gewisser Vorbehalte demonstrierten etwa am 6. Juni dieses Jahres "Antifas" und "Antiras" gemeinsam in Berlin gleichzeitig gegen den "Abschiebeknast" in Grünau und gegen die Bundeszentrale der NPD in Köpenick, auf die dann auch ein Anschlag verübt wurde. Bereits im Mai hatten sich diese Gruppierungen in Göttingen zusammen gewaltsam "gegen rassistische Polizeigewalt" gewandt.

"Rassismus ist ein Grundprinzip der BRD"

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, da für die überregionale Berichterstattung weniger spektakulär, verliefen in der Vergangenheit stets jene "militanten" Aktionen der Linksextremen, die sich gegen "Rechte", also im Sprachgebrauch der Verfassungsschützer "vermeintliche Rechtsextremisten" richteten. Als Beispiele seien hier etwa die wiederholten Störungen bei Lesungen von Martin Walser oder Jörg Friedrich genannt; bei letzterem (über den Bombenkrieg) liefen in diversen Städten - so in Dresden oder Göttingen - teilweise "unfriedliche" Aktionen unter dem Motto "Deutsche Täter sind keine Opfer" ab. Auch Übergriffe auf Veranstaltungen oder Häuser von Studentenverbindungen sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Auf dem Höhepunkt der Debatte um ein Zentrum gegen Vertreibungen wurden zudem Einrichtungen von Vertriebenenverbänden und sogar die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen im September 2003 zu Zielen "antifaschistischer" Aktionen.

Während von Autonomen (und unpolitisch motivierten Gewalttätern) initiierte Straßenkrawalle, etwa am 1. Mai in Berlin oder im Vorfeld von "rechten" Demonstrationen, in der medialen Berichterstattung größeren Raum einnehmen, bleiben sogenannte "klandestine Aktionen" oft unbeachtet, obwohl solche konspirativ vorbereiteten und durchgeführten Anschläge ein vergleichbares Maß an Militanz vorweisen und nicht selten die fließende Grenze zum Terrorismus überschreiten.

So verübten Linksextreme im Januar 2003 einen Brandanschlag auf das Landratsamt in Eschwege (Hessen). Im überregionalen Szene-Blatt Interim begründeten die Täter den Anschlag, der die Ausländerbehörde treffen sollte, mit ihrem Protest gegen den "institutionalisierten Rassismus", der eines der "Grundprinzipien der BRD" sei. Im März verübten "Antimilitaristen" einen Anschlag auf das Kreiswehrersatzamt in Wetzlar (ebenfalls Hessen), im Juli desselben Jahres kam es zu einem versuchten Brandanschlag auf den Sitz der Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin, und im September wurden Brandanschläge auf das Gebäude des Oberlandesgerichts Naumburg und ein Dienstfahrzeug der Staatsanwaltschaft Halle (Sachsen-Anhalt) verübt.

Als Betätigungsfeld dient gewalttätigen Linksextremisten jedoch auch immer wieder "antikapitalistischer" Widerstand; im November 2003 erfolgte ein Brandanschlag auf das Arbeitsamt in Hildesheim (Niedersachsen). Der Sachschaden von einer halben Million Euro richtete sich laut Bekennerschreiben gegen den "sozialen Kahlschlag" der Hartz-Gesetze. Darüber hinaus, so heißt es indem Schreiben weiter, müsse es das Ziel einer "radikalen Linken" sein, Lohnarbeit und die kapitalistische "Verwertungslogik" an sich "anzugreifen".

Bürgerliche Parteien im Visier der Antifa

Wenn der Spiegel also jetzt ein "Erstarken" militanter Antifaschisten angesichts des NPD-Wahlerfolges ausmacht, so handelt es sich eher um eine Wiederentdeckung bzw. -belebung eines "traditionellen Betätigungsfeldes für linksextreme Zusammenschlüsse" (Bundesamt für Verfassungsschutz). Die Behörde bezeichnet den Rückgang in diesem Bereich während der letzten Jahre als Ergebnis von Bündnissen nicht-extremistischer Organisationen gegen den Rechtsextremismus - freilich auch zum Teil gegen den vermeintlichen. Dies habe einen Mangel an Profilierungsmöglichkeiten für die militanten Antifas nach sich gezogen, einen Zustand "zwischen Auflösung und Stagnation", wie es eine Szene-Publikation im Internet ausdrückte. Deutlich heißt es im letzten Bundesverfassungsschutzbericht jedoch: "Die eigentliche Stoßrichtung beim 'antifaschistischen Kampf' gilt der freiheitlich verfaßten demokratischen Gesellschaft", in der nach Meinung der Linksextremen die Wurzeln des "Faschismus" lägen. Das Antifa-Blatt barricada bestätigt diese Einschätzung, wenn es die sogenannte Dimitroff-Definition (benannt nach dem Komintern-Funktionär Georgi Dimitroff) zitiert, wonach der Faschismus "nichts anderes als die extremste Ausprägung des kapitalistischen Systems" sei.

Insofern ist es logisch, daß in den letzten Jahren immer wieder gerade auch Veranstaltungen von bürgerlichen Parteien ins Visier der Antifa gerieten.

Das eigentliche Problem, das sich angesichts der jüngsten Übergriffe in Sachsen stellt, ist also nicht die vermeintlich zunehmende Militanz der linksextremen Antifa, sondern die Wahrnehmung derselben in der Öffentlichkeit. Bedroht sind die innere Sicherheit und das Gewaltmonopol des Staates gerade dann, wenn die eigentliche Feindschaft der Linksextremen gegen Demokratie und Rechtsstaat nicht erkannt werden, weil sie - vermeintlich mit moralischem Anspruch und zu Recht - gegen den erstarkenden Rechtsextremismus vorzugehen scheinen.

Bereits 1999 stellte das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz fest: "Fatal wäre es, wenn die Begehung schwerster Straftaten, weil sie sich gegen 'Rechts'‚ richten, auf Sympathie stoßen und militante 'Antifas'‚ als legitime Bündnispartner im Kampf gegen den Rechtsextremismus anerkannt werden würden". Letzteres ist in der Vergangenheit immer wieder vorgekommen, und es könnte sich nun tatsächlich im Zuge des NPD-Erfolgs in Sachsen wiederholen. Schuld daran haben jedoch nicht die "Rechten", sondern allein die für die Erosion des antitotalitären Konsenses Verantwortlichen.


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