© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/04 15. Oktober 2004

Ein Krieg der Flaggen tobt
Spanien: Linksnationale Dreierkoalition in Katalonien verärgert die Zentralregierung in Madrid / Sprachenstreit schwelt / Referendum über Unabhängigkeit?
Michael Ludwig

Die Festnahme des politischen Führers der baskischen Untergrundorganisation Eta, Mikel Albizu Iriarte ("Antza"), und seiner Freundin Soledad Iparraguirre Genetxea ("Anboto") letzte Woche in Paris hat das Baskenland und die dortigen Unabhängigkeitsbestrebungen wieder weltweit ins öffentliche Bewußtsein gerückt.

In einer anderen Region des spanischen Königreiches, im sechs Millionen Einwohner zählenden Katalonien, gibt es zwar keine terroristischen Gewaltaktionen. Doch auch hier wird die Kluft zwischen der autonomen Provinz Cataluña und der spanischen Zentralregierung in Madrid immer breiter. Es vergeht kaum eine Woche, in der sich die seit Dezember 2003 regierende linksnationale Dreierkoalition des Sozialisten Pasqual Maragall i Mira nicht einen neuen Affront einfallen läßt, um die ungeliebten Kastilier aus der Mitte der iberischen Halbinsel zu provozieren.

Die vorerst letzte Zumutung besteht in einem Strafbefehl über 30.000 Euro, den die Regierung in Barcelona ausgestellt und an die Adresse der spanischen Post geschickt hat. Begründung: Sie habe sich nicht an das 1998 erlassene Sprachgesetz gehalten und entgegen den geltenden Bestimmungen Formulare lediglich im (kastilischen) Spanisch, nicht aber auch in Katalanisch (Catalan) drucken lassen.

Diese Nachricht hat in der spanischen Öffentlichkeit nicht nur Unverständnis, sondern mancherorts auch helle Empörung ausgelöst. Seit dem Regierungswechsel in der nordöstlichen Provinz, die zu den reichsten in Spanien gehört, ist man einiges gewohnt, aber allmählich fragt man sich in der Hauptstadt, wie weit die politisch Verantwortlichen in Barcelona noch gehen wollen. Rund 800 Dienststellen betreibt die spanische Post in Katalonien, und die überwältigende Mehrheit richtet sich nach der Gesetzeslage.

In weniger als zwanzig Postämtern wurden die katalanischen Inspektoren fündig und bemängelten einen Teil der ausgelegten Drucksachen. Noch ist nicht sicher, ob die Post die ihr auferlegte multa bezahlen wird. "Wir werden die Begründung der Strafe sehr aufmerksam studieren und dann entscheiden, ob wir sie vor Gericht anfechten", erklärte dieser Tage ein Sprecher der Post.

Wegen Anzeigen aus der Bevölkerung tätig

In diesem Zusammenhang wurde bekannt, daß die katalanische Sprachenpolizei schon öfters zugeschlagen hat. So erhielten acht weitere Unternehmen Strafbefehle über insgesamt 13.216 Euro. "Wir haben das nicht an die große Glocke gehängt, weil die Verstöße weniger schwerwiegend waren als die der Post", erklärte ein Sprecher der Provinzregierung.

Ganz wohl scheint den politisch Verantwortlichen bei der Sache nicht zu sein. So betonte der zuständige Minister für Handel, Konsum und Tourismus, Pere Esteve i Abad, daß man nicht von sich aus gegen die Firmen vorgegangen sei: "Wir wurden aufgrund von Anzeigen aus der Bevölkerung tätig." 445 sollen insgesamt erstattet worden sein, die zu 85 Ermittlungen geführt hätten und von denen nun neun mit einem Strafbefehl geendet haben. Um potentielle Investoren aus dem Ausland und auch aus den anderen Landesteilen Spaniens nicht durch ein rigoros gehandhabtes Sprachgesetz abzuschrecken, kündigte die Regierung einen Plan an, der Firmen dabei helfen soll, das Regelwerk besser zu verstehen und konsequenter in die Praxis umzusetzen.

In diese Landschaft der vergifteten Beziehungen paßt auch der "Krieg der Flaggen", der andernorts wahrscheinlich nur Kopfschütteln auslösen würde. Am Nationalfeiertag, dem 11. September (Diada), gedenkt Katalonien traditionell der Opfer der Belagerung Barcelonas durch französische Truppen im Jahre 1714. Katalanische Separatisten setzten durch, daß in diesem Jahr an den meisten öffentlichen Gebäuden lediglich die katalanische Flagge (gelb mit vier roten Streifen) gehißt wurde, die spanische dagegen nicht.

Dies stellt allerdings einen glatten Bruch des Artikels 4 der Verfassung dar, der besagt, daß die Fahnen der autonomen Provinzen "neben der spanischen Fahne auf öffentlichen Gebäuden und bei öffentlichen Anlässen ihren Platz finden".

Für den Generalsekretär der linksnationalistischen Republikaner (ERC), Joan Puigcercós, die neben der sozialistischen PSC und der grün-kommunistischen ICV-EA die Provinzregierung stellen, ist das nicht weiter von Belang. "Das Nichthissen der spanischen Flagge", erklärte er mit einer bemerkenswerten Unverfrorenheit, "muß als ein Ausdruck der Normalität gesehen werden, der sich nicht auf den katalanischen Feiertag beschränkt".

Vor allem die Madrider Presse schäumte vor Wut. So schrieb die konservative Tageszeitung El Mundo: "Kann sich jemand vorstellen, daß die Regierungen in Kalifornien oder Hamburg darauf warten, ihre Identität dadurch zu beweisen, daß sie die amerikanische oder die deutsche Flagge nicht aufziehen? Eher im Gegenteil, in Ländern, die wie die USA und Deutschland das Modell des Föderalismus pflegen, behaupten sich die Provinzen sehr wohl in der gemeinsamen Union, und ihre Einwohner fühlen sich vor allem als Amerikaner oder Deutsche."

Katalanische Linke stützt die spanischen Sozialisten

Während der Feierlichkeiten zum 11. September machte eine kleine radikale Minderheit, die sich am liebsten sofort vom spanischen Mutterland trennen würde, lautstark auf sich aufmerksam. Sie beschimpfte den sozialistischen katalanischen Regierungschef (Präsident der Generalitat de Catalunya) Maragall i Mira als "Verräter" und verbrannte in der Stadt Lleida öffentlich eine spanische Fahne.

Die ebenfalls sozialistisch geführte Zentralregierung in Madrid versuchte die Ereignisse herunterzuspielen. So sagte die Vizeregierungschefin María Teresa Fernández de la Vega: "Die spanische Regierung respektiert alle Symbole und alle Fahnen des Staates, und uns würde es gefallen, wenn sich diese Ansicht auch anderswo durchsetzen würde." Die Regierung werde mit "politischer Pädagogik" auf den Zwischenfall reagieren. Was sie damit konkret meinte, erklärte sie allerdings nicht.

Die Ratlosigkeit, mit der das Minderheitskabinett von Premier José Luis Rodríguez Zapatero auf die katalanischen Zumutungen reagiert, kommt nicht von ungefähr. Zum einen sind Zapateros Sozialisten in Barcelona eine Koalition mit der linksnationalistischen ERC eingegangen. Eine schärfere Gangart der katalanischen Sozialisten würde das zerbrechliche neue Bündnis in Barcelona sehr schnell gefährden.

Zum anderen will Zapatero die spanische Verfassung modernisieren, was sich als besonders problematisch erweist. Wieviel Freiheit soll künftig den autonomen Provinzen zugestanden werden? Wieviel läßt die gegenwärtig geltende Verfassung überhaupt zu, als deren umsichtiger und keinesfalls revolutionärer Hüter sich König Juan Carlos profiliert hat?

In einer vielzitierten Rede forderte der Präsident des katalanischen Parlaments, Ernest Benach i Pascual (ERC), das Recht auf eine Volksabstimmung darüber, wie die eigene Zukunft gestaltet werden soll. Dieser Satz soll im neuen katalanischen Grundgesetz verankert werden. Er steht jedoch im klaren Gegensatz zur spanischen Verfassung, die das Recht, ein solches Referendum durchzuführen, ausschließlich der Madrider Staatsgewalt zuschreibt.

Hier wird Spanien noch manche gefährliche Klippe zu umschiffen haben, vor allem hinsichtlich der in dieser Frage sehr viel radikaleren Basken, die bereits eine Volksabstimmung über den Verbleib ihrer Provinz im spanischen Staatsverband angekündigt haben.


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