© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/04 15. Oktober 2004

Kolumne
Reaktionen
Klaus Motschmann

Die öffentlichen Reaktionen auf die jüngsten Wahlergebnisse der DVU und der NPD in Brandenburg und Sachsen werden inzwischen selbst von namhaften Vertretern unserer Mediokratie kritisch beurteilt. Sie bestätigen die geradezu erbarmungswürdige Hilflosigkeit aller Ideologen, überzeugende Antworten auf die Herausforderungen der politischen und gesellschaftlichen Realitäten zu finden, weil ihr Denken und Handeln von der Furcht diktiert wird, durch eigenständige Reaktionen in das gesellschaftliche Abseits zu geraten. Es waren und sind nicht nur konservative Theoretiker und Praktiker, die vor dieser Flucht aus der Wirklichkeit in das Luftreich der Ideen warnten, sondern immer auch die "Gebildeten unter den Verächtern" konservativer Denk- und Lebensart von Karl Marx bis zu zeitgenössischen Vertretern linker Positionen. Sie beklagen es, und zwar im Interesse der Verwirklichung linker Zielsetzungen, daß die Fixierung auf das "faszinierende Reich der Ideen" dazu (ver-)führt, den konkreten Menschen aus den Augen zu verlieren.

"Das Ausdenken von perfekten Modellen (erscheint) nicht nur geistreicher, sondern auch moralischer zu sein als die Beschäftigung mit einer solche Modelle ständig verhindernden Wirklichkeit. Die Unfähigkeit, Unmögliches denken zu können, verdrängt die Bereitschaft, Mögliches zu tun. Und es ereignet sich nun die folgenschwerste Pervertierung des Verständnisses von Moral. Das Kapitalverbrechen besteht darin, jene 'Wahrheit' nicht zu bekennen und sich nicht vorbehaltlos in ihren Dienst zu stellen." (Gerhard Szczesny: Das sogenannte Gute. Vom Unvermögen der Ideologen) Niemand wird dazu mit Gewalt gezwungen, und jeder hat noch immer das Recht, anders zu denken, als die jeweilige ideologisch Generallinie dringend nahelegt. Man sollte eben nur wissen, daß man sich damit freiwillig in das gesellschaftliche Abseits stellt. So erklärt es sich, daß sehr naheliegende Fragen nicht gestellt, geschweige denn ernsthaft diskutiert werden. Dazu gehört auch die Frage, wie es möglich ist, daß nach vierzig Jahren strammer antifaschistischer Erziehung und Volksbildung in der DDR und inzwischen 15 Jahren peinlich genau beachteter Political Correctness im vereinten Deutschland noch immer - oder schon wieder? - 15 bis 20 Prozent unseres Volkes angeblich über ein "geschlossenes rechtsradikales Weltbild" verfügen sollen. Darauf gibt es gewiß mehrere Antworten. Die entscheidende Antwort leitet sich allerdings aus dem intellektuellen und politischen Unvermögen der antifaschistischen Hüter der Verfassung ab.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaften an der Hochschule der Künste in Berlin.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen