© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/04 15. Oktober 2004

Rechtschreibreform
Das perfekte Chaos
Dieter Stein

Das Tauziehen um die deutsche Rechtschreibung geht in die nächste Runde. In der vergangenen Woche haben die deutschen Länderchefs auf einer Konferenz der Ministerpräsidenten die verbindliche Einführung der reformierten Rechtschreibung ab 1. August 2005 beschlossen. Zusatz: Sofern ein neu eingesetzter "Rat für deutsche Rechtschreibung" zu einer Einigung über Änderungen der reformierten Rechtschreibung kommt.

Damit sieht es momentan ganz danach aus, daß die von der Bürokratie erzwungene Neuschreibung im vom Staat kontrollierten Raum nicht mehr aufzuhalten ist. Den Reformgegnern Mut gemacht hatte im Sommer die Ankündigung des Springer-Verlages, des Spiegel und der Süddeutschen Zeitung, auf eigene Faust zur bewährten Rechtschreibung zurückzukehren. Wahr gemacht haben dies seit dem 3. Oktober tatsächlich nur die Blätter des Springer-Verlages. Still und heimlich ist indessen die Süddeutsche zurückgerudert, die von einer Rückkehr plötzlich nichts mehr wissen will. Am chaotischsten und für die Leser des "Sturmgeschützes der Demokratie" (der Spiegel über den Spiegel) am verlogensten verhält sich das Hamburger Nachrichtenmagazin: Von einer Wiedereinführung der bewährten Rechtschreibung ist auf einmal keine Rede mehr. Statt dessen heißt es nun in verquastem Politikerdeutsch, das Blatt werde "sein weiteres Vorgehen" in dieser Sache "von der Besetzung des Gremiums (des Rates für deutsche Rechtschreibung) sowie vom Verlauf und dem Ergebnis der Beratungen" abhängig zu machen. Auf gut deutsch: Der Spiegel hat im August lauthals zum Angriff auf die Rechtschreibreform geblasen, losgerannt sind aber nur die Springer-Zeitungen, während Aust & Co. es sich in der Etappe wieder gemütlich machen und "April, April!" rufen.

Das Chaos ist damit perfekt. Annähernd die Hälfte der Zeitungen erscheint nun in der alten, die andere Hälfte in der neuen Rechtschreibung. Die Karawane der Bürokraten trottet eselsgleich weiter und exekutiert den Schwachsinn der von weltfremden Kulturtechnokraten ausgebrüteten Schreibreform.

Deutschland blamiert sich damit bis auf die Knochen. Ein solches Desaster kann nur eine politische Klasse anrichten, der sämtliche Zielmarken abhanden gekommen sind, die dieses Volk groß gemacht haben. Daß Deutschland - ob bei Pisa oder wirtschaftlich - ins Hintertreffen gerät, hat auch etwas mit der grassierenden Bequemlichkeit zu tun, dem Versagen, zu Anstrengung und Leistung herauszufordern. Die komplexe, facettenreiche deutsche Sprache hat das Land nicht von ungefähr zu dem der "Dichter und Denker" gemacht. Diese Sprache zu erlernen, ist mit Anstrengung verbunden. Wenn wir diese nicht mehr aufzubringen bereit sind, dann haben wir den Abstieg verdient.

Die JUNGE FREIHEIT wird an der bewährten Rechtschreibung festhalten - egal, ob es einen "Rat für deutsche Rechtschreibung" gibt oder nicht und egal, was dieser oder die Kultusministerkonferenz beschließt. Die Sprache gehört dem Volk und nicht einer unfähigen Regierung.


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