© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

Mann ohne Papiere
Kino II: In Steven Spielbergs "Terminal" brilliert Tom Hanks allein auf weiter Flur
Werner Olles

Die Geschichte des melodramatischen Films zeigt, daß dieser immer auch eine vitale Form des Protests gegen das Unglück in der Welt oder gegen gesellschaftliche Mißstände sein kann. Vor allem gestattet das oft völlig zu Unrecht geringgeschätzte Melodram in aller Regel aber einen durchaus kritischen Blick auf die Realität bürgerlicher Verkehrsformen, die ja immer auch irgendwie mit Angst besetzt sind. In seinen besseren Arbeiten nähert es sich dann bisweilen der spekulativen Brisanz des Thrillers.

Wenn sich ein Regisseur wie Steven Spielberg nun dieses Genres annimmt, sollte man meinen, daß er es nicht nur mit Sentimentalitäten auflädt, sondern der Metaphysik des Genres sozusagen die schöne Seele des Kitsches einhaucht. Ohne sie kann das Melodram als bürgerliche Form der Tragödie seinen ihm eigenen Reiz nicht entfalten und bleibt nur eine "Komödie mit Gefühl".

Die Handlung von "Terminal" ist schnell erzählt. Als Victor Navorski (Tom Hanks), ein Bürger des fiktiven osteuropäischen Staates Krakozhia, in die USA einreisen will, erwartet ihn am New Yorker John-F.-Kennedy-Flughafen eine böse Überraschung. In seiner Heimat ist inzwischen ein Bürgerkrieg ausgebrochen, der Präsident wurde abgesetzt, und die politische Situation ist völlig unüberschaubar. Damit nicht genug, ist sein Visum ungültig geworden. Der frisch ernannte Sicherheitschef Frank Dixon (Stanley Tucci) fackelt daher auch nicht lange, zieht seinen Paß ein und verweigert ihm die Einreise in die Vereinigten Staaten.

So sitzt Victor nun am New Yorker Terminal fest und wartet verzweifelt darauf, daß die Revolution in seinem Land vorübergeht. Tage, Wochen und Monate vergehen, und Victor hat sich inzwischen recht und schlecht in diesem Mikrokosmos etabliert. Er freundet sich mit dem Flughafen-Personal an, verliebt sich unsterblich in die attraktive Stewardeß Amelia Warren (Catherine Zeta-Jones), die sich gerade von ihrem verheirateten Freund getrennt hat, und stiftet sogar eine Ehe zwischen dem schüchternen Essensfahrer Enrique Cruz (Diego Luna) und der von ihm angebeteten Visa-Kontrolleurin Dolores Torres (Zoe Saldana).

Irgendwann geht aber zum Glück auch der Bürgerkrieg in Krakozhia einmal zu Ende, der alte Präsident ist wieder im Amt, und Victor bekommt seine Papiere zurück. Doch während Dixon ihn so schnell wie möglich wieder nach Hause befördern will, hat er in New York noch eine Aufgabe zu erledigen. Er muß den letzten Wunsch seines verstorbenen Vaters, der ein großer Jazzfan war, erfüllen. In einem luxuriösen Hotel in der Lexington Avenue gastiert gerade jener legendäre Saxophonist, den Victors Vater besonders verehrte ...

"Terminal" beruht lose auf dem Schicksal des gebürtigen Iraners Merhan Karimi Nasseri alias "Sir Alfred", der seit 1988 im Pariser Flughafen Charles de Gaulle lebt. Spielberg hätte diese komödiantisch gefärbte Geschichte eines liebenswerten Außenseiters auch leicht sarkastisch erzählen können. Er hätte beispielsweise zeigen können, wie schnell die Ordnung eines bis dahin relativ problemlos funktionierenden Mikrokosmus aus den Fugen gerät, wenn urplötzlich wie aus dem Nichts ein ungebetener Eindringling auftaucht, der sich mit List, anarchischer Dickfelligkeit und allerlei hübschen Tricks den für ihn lebensnotwendigen nötigen Spiel- und Freiraum und zunehmend auch Respekt verschafft.

Wie gesagt, er hätte. Aber Spielberg wollte - wie fast immer bei seinen ehrgeizigen Projekten - zuviel auf einmal. Von Rainer Werner Fassbinder war bekannt, daß er gerne ein zweiter Douglas Sirk geworden wäre, und François Truffaut wollte gerne Hitchcock sein. Spielberg möchte Sirk, Truffaut und Hitchcock in einer Person sein. Das ist diesem Film, der bestimmt auch wieder ein Kassenerfolg werden wird, leider nicht immer gut bekommen.

Wenn man ihn dennoch - trotz der lauwarmen Abwicklung des Plots - keineswegs als gänzlich mißlungen bezeichnen kann, verdankt er das einzig und allein dem großartigen Tom Hanks. Er schenkt der Kunstfigur des gestrandeten Anarchen Victor Navorski jenes Stückchen Leben, ohne das eine Tragikomödie, die etwas auf sich hält, nun einmal nicht reüssieren kann. Der Rest ist Konfektion.

Foto: Victor Navorski (Tom Hanks), Stewardeß Amelia Warren (Catherine Zeta-Jones): Wie schnell die Ordnung aus den Fugen gerät!


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