© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

Sieg über die Geschichte
Zwei Werke untersuchen anhand der Denkmalskultur den Kampf um historische Deutungshoheit
Doris Neujahr

Kriegsdenkmäler erzählen mehr und authentischer über diejenigen, die sie errichten, als über jene, derer gedacht wird. Es sind die Überlebenden oder Nachgeborenen, die das Schicksal und Vermächtnis der Toten deuten. Die Totenmale "markieren einen Kernbereich historischer Identität, denn es geht um Leben und Tod, um Grundlagen individueller und national-kollektiver Existenz", heißt es bei den drei Herausgebern des Buches "Kriegerdenkmale in Brandenburg".

Auseinandersetzungen um das Ob und Wie von Denkmälern sind auch Kämpfe um die Deutungshoheit, um symbolische und politische Macht. Dieser Aspekt wird in dem Maße wichtiger, wie die kollektiven Verbindlichkeiten - Institutionen, Glaubenssätze, Symbole, Geschichtserzählungen - an Selbstverständlichkeit verlieren. Verfechter einer zeitgenössischen, transnationalen Memorialkunst empfehlen daher ein Konzept, das sie mit Stichworten wie "Aufklärung statt Überwältigung" oder "Denk-Ort statt Denkmal" umschreiben. Doch auch die "Aufklärung" ist jeweils ein Kind ihrer Zeit, weshalb moderne "Denk-Orte" konsequenterweise ihr eigenes Verfallsdatum antizipieren müßten. Davon kann in der Praxis keine Rede sein. Der positive Mythos wird lediglich durch ein negatives Identifikationsangebot ersetzt, und hinter dem Pathos selbstlosen Abräumens werden aktuelle Interessen sichtbar. Sie kommen mit demselben universellen Anspruch daher wie die vermeintlich naiven Denkmäler früherer Zeit.

Dies ist eine sehr bundesdeutsche Angelegenheit. Selbst das fast avantgardistische, aus konservativen Kreisen kritisierte Vietnam Veterans Memorial in Washington ist ausschließlich den amerikanischen Gefallenen des Vietnamkrieges gewidmet, nicht den in diesem "schmutzigen Krieg" getöteten Vietnamesen. Die kritische Aufklärung endet dort, wo es der Respekt der Nation vor ihren Toten gebietet. Warum wird der Kampf um Denkmalsstürze und -gründungen in Deutschland dagegen so unversöhnlich geführt?

Als Argument wird angeführt, daß die deutsche Geschichte voller Brüche war. Die Nationalsozialisten schleiften 1933 Denkmäler der linken Arbeiterbewegung, aber auch Kriegsdenkmäler bürgerlicher Künstler, weil die sich der Heroisierung des Krieges verweigerten. 1946 befahl die Direktive Nr. 30 des Alliierten Kontrollrates die "Beseitigung deutscher Denkmäler und Museen militärischen und nationalsozialistischen Charakters". In der SBZ/DDR wurde diese Anordnung exzessiv ausgelegt. Im Zuge einer nachgeholten Legitimation wollte die DDR sich im Traditionsbezug schroff vom alten Nationalstaat abgrenzen und einen eigenen Traditionsstrang durch staatliche Rituale ins Bewußtsein heben. Es war vergeblich.

Im Westen war man vorsichtiger, dafür nachhaltiger. Die Siegessäule in Berlin-Tiergarten, die dem Sieg über Frankreich 187/71 galt, durfte stehenbleiben. Inzwischen läuft die - gesamtdeutsche - Denkmalspolitik auf eine Verengung wie in der DDR hinaus. Die Neue Wache in Berlin kann sich nicht als Bezugspunkt des Totengedenkens etablieren, weil es an begleitenden staatlichen Ritualen fehlt. Denkmäler für Gefallene, Vertriebene oder Bombenopfer werden zerstört, umgewidmet, geschändet, konterkariert oder abgeblockt. Mit der normalen Dialektik von Erinnern und Vergessen oder der Eigendynamik von Geschichtsdebatten ist dieser Furor nicht erklärbar.

Es ist bemerkenswert, daß sowohl die Essaysammlung als auch Christian Saehrendts "Stellungskrieg der Denkmäler" direkt und indirekt auf das Berliner Holocaust-Denkmal als den "bedeutendsten zeitgenössischen Bau eines Nationaldenkmals" (Saehrendt) Bezug nehmen, obwohl es zeitlich bzw. räumlich außerhalb ihrer Thematik liegt. Damit kommen wir zur Eingangsfrage nach den "Grundlagen (unserer) individuellen und national-kollektiven Existenz" zurück.

Die Geschichts- und Denkmalpolitik in der Nachkriegszeit läßt sich anhand eines Vierstufenplans gliedern, den der Schriftsteller und politische Philosoph Hermann Broch im amerikanischen Exil zur "Bekehrung" (respektive Umerziehung) der Deutschen entworfen hatte. In der ersten, scheinbar großzügigen Phase der "Amalgamierung" wurden die deutschen Militärtraditionen und Opfergedenken, soweit sie nicht vom Nationalsozialismus kontaminiert waren, in die gegen den Kommunismus gerichtete, westliche Nato-Ideologie eingebaut.

Die zweite, die "Konkurrenz"-Phase, begann schon in der Adenauerzeit. 1956 erhielt Winston Churchill den Europäischen Karlspreis der Stadt Aachen, die vom Bomber Command "radikal zerstört" worden war (Jörg Friedrich). Das entsprach einem nachvollziehbaren politischen Kalkül, war aber auch ein Unterwerfungsakt und Vorbote langfristiger Entwicklungen, in deren Verlauf deutsche Opfergeschichten im Vergleich zu anderen immer unwichtiger wurden.

In der dritten Phase der "Systemstabilisierung" wurde die "Unvergleichbarkeit" deutscher Verbrechen dekretiert, so im Historikerstreit. In einer vierten, der "Tabu"-Phase, wurde durch Kampagnen, Gesetze und besagten Denkmalsbeschluß ein nationales Verbot besiegelt. Damit war der Übergang zu einer fünften, von Broch nicht vorhergesehenen Phase eingeleitet: die Phase der Autoaggression, in der eine gnadenlose wie dumme Moralisierung der Geschichte alles über- und unterspült. Die Abräumung von Denkmälern der SED-Zeit auf dem Gebiet der DDR fällt dagegen gesellschaftspolitisch kaum ins Gewicht.

Vor diesem Hintergrund überzeugt das Buch über die Kriegsdenkmäler in Brandenburg dort am meisten, wo es streng lokal- und objektbezogen bleibt. Schwach wirkt es, wenn es, wie im Einleitungsessay von Stefanie Endlich, der politisch korrekten Haltung gehorcht. In Deutschland sei es "weder legitim noch erfolgversprechend", die gefallenen "Soldaten und Zivilopfer "in die große Gruppe der 'Opfer des Krieges und der Gewaltherrschaft' einzureihen", meint die Autorin, denn es habe einen "Zivilisationsbruch" gegeben.

Jörg Fehlhauer nimmt die Denkmäler in Beeskow zum Anlaß, um "Über den Vorgang des Erinnerns" zu reflektieren. Mit dem interdisziplinären Ansatz klappt es nicht so richtig, weil hinter dem zeichentheoretischen Kauderwelsch die konkrete Geschichte verschwindet. Das 1923 errichtete Denkmal für die Gefallenen im Ersten Weltkrieg habe ein "kritisches Hinterfragen der Ereignisse" vermieden und "zu einer Verdrängung und Umsemantierung von Erinnerung durch Ausgrenzung aus der Erinnerungsarbeit und Zeichenzirkulation" geführt, so daß es statt zu einer "durchgreifenden kritischen Aufarbeitung (...) zu einer langfristigen Verfestigung der krisenhaften Symptome" kam. Ja, es war was los in Beeskow!

Dieter Hübener widmet sich den sowjetischen Denkmälern und Anlagen, von denen es allein in Brandenburg über 300 gibt, viele davon an dominanter Stelle im Stadtzentrum. Das Ruherecht der russischen Kriegstoten ist selbstverständlich. Hübeners Schlußfolgerung, daß auch der Erhalt der sowjetischen Memorialanlagen in bisheriger Form eine Frage der "Menschenwürde" sei, muß dagegen widersprochen werden. Schließlich hat er wenige Seiten zuvor festgestellt, daß die Denkmäler der politischen Instrumentalisierung und Entindividualisierung der Gefallenen dienen. Es sind Siegesmale einer totalitären Diktatur.

Spannend liest sich das Buch von Christian Saehrendt über die Kriegsdenkmäler in Berlin von 1919 bis 1939. Der Autor verzichtet in Wortwahl und Problemstellung auf ideologische Konzessionen. Die konservativen Kriegervereine, die den Denkmalsbau dominierten und unser Bild von der Weimarer Republik mitprägen, waren schon damals nicht bloß ästhetisch, sondern auch politisch in der Defensive. Für die Kommunisten waren Denkmäler "Kampfmittel der herrschenden Klasse" und damit Zielscheibe für Schändungen und Beschädigungen. 1921 wurde an die Siegessäule ein Sprengsatz gelegt, aber rechtzeitig entdeckt. Siebzig Jahre später versuchten Linksextremisten, die versäumte Sprengung nachzuholen - wieder vergeblich. Der Buchtitel "Stellungskrieg der Denkmäler" ist ein guter Einfall, doch es handelt sich um einen Bewegungskrieg zur Besetzung des öffentlichen Raumes. Und wer den öffentlichen Raum hat, der hat bald auch die Macht.

Dieter Hübener, Kristina Hübener, Julius Schoeps (Hrsg.): Kriegerdenkmale in Brandenburg. Von den Befreiungskriegen 1813/15 bis in die Gegenwart. Bebra Wissenschaft Verlag, Berlin-Brandenburg 2004, 232 Seiten, gebunden, mit CD-Rom, 24,90 Euro

Christian Saehrendt: Der Stellungskrieg der Denkmäler. Kriegerdenkmäler im Berlin der Zwischenkriegszeit (1919-1939). Dietz Bonn 2004, 180 Seiten, gebunden, 29,80 Euro


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