© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

Triumphzug des roten Magnaten
Ungarn: Ferenc Gyurcsány ist neuer Regierungschef der alten sozialistisch-linksliberalen Koalition / Beeindruckende Karrieren
Alexander Barti

Am 4. Oktober leisteten die Minister des neuen Kabinetts der ungarischen Regierung ihren Amtseid. Neuer Ministerpräsident ist nun Ferenc Gyurcsány, der seinen Vorgänger Péter Medgyessy kaltblütig aus dem Amt drängte. Damit findet eine Regierungskrise ihren Abschluß, wie sie die Ungarn seit 1989 nicht mehr erlebt hatten.

Nach der Schlappe bei den Europawahlen im Juni rumorte es in der sozial-liberalen Koalition. Der parteilose Medgyessy, einst KP-Funktionär und "Stasi"-Offizier "D-209" (siehe JF 27/02), hatte seine Minister nicht mehr im Griff. Das Defizit stieg, die Inflation nahm wieder zu, und in Umfragen führten die Bürgerlichen (Fidesz) weiter zehn Prozent vor den Sozialisten (MSZP).

In dieser Lage machte Medgyessy den Fehler, den Ansehensverlust seiner Regierung dem kleinen Koalitionspartner, dem linksliberalen Bund der Freidemokraten (SZDSZ), in die Schuhe zu schieben. Der SZDSZ sei "voller Korruptionsfälle", beschwerte sich der Premier öffentlich. In einer angekündigten Kabinettsumbildung sollte Wirtschaftsminister István Csillag (SZDSZ) seinen Hut nehmen. Doch die bei der EU-Wahl gestärkten Linksliberalen ließen sich diesen Affront nicht gefallen. Medgyessy drohte am 19. August mit Rücktritt, in der Hoffnung, dadurch seine Koalition zu disziplinieren - denn bei eventuellen Neuwahlen käme keine linke Mehrheit mehr zustande.

Doch hinter seinem Rücken verständigten sich die Koalitionäre über einen Fortbestand der Zusammenarbeit - der glücklose Premier reichte daraufhin bei Präsident Ferenc Mádl seinen Rücktritt ein. Als das MSZP-Präsidium den mausgrauen Apparatschik Péter Kiss als Nachfolger vorschlug, revoltierte die Parteibasis, so daß umgehend eine Delegiertenkonferenz einberufen werden mußte. Auf dieser Versammlung erwies sich der bisherige Minister für Jugend und Sport, Ferenc Gyurcsány, als der starke Mann. Mit überwältigender Mehrheit nominierten ihn die Sozialisten zum neuen Premier. Am 27. September beauftragte Mádl dann Gyurcsány mit der Regierungsbildung.

Vom KP-Jungfunktionär zum Millionen-Unternehmer

Gyurcsánys Lebenslauf ist beeindruckend. Er wurde am 4. Juni 1961 in der westungarischen Kleinstadt Pápa geboren. Er wuchs ohne Vater in einer "Platte" auf. Ab 1980 studiert er an der Universität von Pécs (Fünfkirchen). 1984 bekommt er sein Lehrerdiplom und bleibt als Funktionär des KP-Jugendverbandes Kisz bis 1988 in der Stadtverwaltung von Pécs. Angesichts der sich abzeichnenden Wende gibt sich der Verband 1989 einen "demokratisierten" Namen (Demisz) - Gyurcsány wird dessen Vizepräsident bis 1990.

Danach verläßt der ambitionierte Jungpolitiker die politische Bühne und kümmert sich um sein finanzielles Auskommen. Inzwischen hat er sich mit einem Wirtschaftsdiplom aufgerüstet und arbeitet bei diversen Finanzdienstleistern. Bereits 1992 gründet er seine eigene Investmentgesellschaft, die Altus AG, mit der er sich fortan große Stücke aus dem ungarischen Privatisierungskuchen schneidet. Heute schätzt man den Marktwert der Firma auf 3,5 Milliarden Forint (etwa 14 Millionen Euro).

Gyurcsány gehört damit zu den reichsten Männern Ungarns. Einen besonderen Schub dürfte Gyurcsánys Geschäft durch seine dritte Ehe mit Klára Dobrev, geborene Apró, 1996 bekommen haben. Denn seine neue Schwiegermutter hieß Piroska Apró und leitete das Kabinett des sozialistischen Premiers Gyula Horn (1994-98). Horn selbst ist im Westen vor allem als der ungarische Außenminister bekannt, der im Mai 1989 mit seinem österreichischen Kollegen Alois Mock (ÖVP) symbolisch den Eisernen Vorhang zerschnitt. Seine unrühmliche Rolle bei der Niederschlagung des Aufstands von 1956 hingegen wird huldvoll übergangen.

Der Apró-Clan hatte sich schon seit jeher als treue Stütze des Kommunismus erwiesen: Kláras Vater nämlich war Antal Apró (1913-1994), als orthodoxer Kommunist ein leitender Genosse in der Kádár-Diktatur. Seine Zuständigkeit erstreckte sich vor allem auf den industriellen Bereich. Einiges spricht dafür, daß Gyurcsány dank seiner neuen Gattin auf "Insider"-Wissen zurückgreifen konnte, das sich letztlich als milliardenschwer erwies.

2002 wird Gyurcsány überraschend Wahlkampfberater von Medgyessy. Nach dem knappen Sieg der Linken begnügt sich der Stratege nicht mehr mit einer Hintergrundrolle und wird 2003 mit dem Posten des Jugend- und Sportministers belohnt. Die Machtübernahme durch den "roten Magnaten" hat die Umfragewerte für seine Partei sprunghaft ansteigen lassen. Gleichwohl bleibt der politische Spielraum durch die wirtschaftlich schwierige Lage sehr begrenzt. Große Geschenke wird auch er nicht verteilen können. Sein Kabinett ist gekennzeichnet von einer Mischung aus Neu und Alt.

Zwei Minister stehen exemplarisch für dieses Konzept: Wirtschaftsminister János Kóka (SZDSZ), der keine Parteikarriere vorweisen kann. Er studierte Medizin in Budapest, wurde dann aber Mitarbeiter und Miteigentümer bei der Internetfirma Elender. Für etwa sieben Milliarden Forint (30 Millionen Euro) verkaufte er auf dem Gipfel der Interneteuphorie Elender an die US-Firma Psinet, die kurz darauf pleite ging. Mit Hilfe der ungarischen Unternehmensgruppe Wallis kaufte er Elender anschließend für einen Bruchteil des Verkaufspreises wieder zurück, um es kurz drauf an die holländische Euroweb weiterzuveräußern. Er zählt somit zu der Gruppe der "jungdynamischen" Generation Ungarns, die keine Scheu hat vor einer rabiaten Modernisierung.

Ganz anders Ferenc Somogyi (MSZP), der ab 1. November Außenminister wird. Er steht eher für die "alten Kämpfer" in der Partei. 1945 in Österreich geboren, arbeitete er seit Ende der sechziger Jahre im Außenministerium der Volksrepublik Ungarn. In Burma und Nigeria war er ebenso im Einsatz wie bei der Uno in New York. Unter Horn war er verantwortlich für die Westintegration des einstigen Ostblockstaates.

Spätestens bei den Wahlen 2006 wird sich zeigen, ob Gyurcsány auch auf dem politischen Parkett so sicher ist wie bei der Filetierung maroder Staatsbetriebe.


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