© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

Meldungen

Eine im Stolz verletzte Türkei würde feindselig

PARIS. Der frühere französische Ministerpräsident Michel Rocard hat sich für einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen. "Es gibt gewichtige Gründe wirtschaftlicher, kultureller und strategischer Natur dafür", erklärte der sozialistische EU-Parlamentarier dem Wiener Magazin Profil. "Der Wille zum säkularen Staat ist eines der Charakteristika der EU. Wir würden unsere eigenen Regeln verletzen, wenn wir der Türkei den Eintritt verwehrten, weil sie moslemisch ist", meinte das Mitglied der Unabhängigen Türkei-Kommission. Ein Türkei-Beitritt würde stabilisierend auf die erdölreichen Nachbarländer wirken. Dies sei "eine Frage unserer Lebensversicherung. Da muß man in Zeiträumen von 20, 30 Jahren denken". Bei einer Ablehnung des Beitritts "würde es zu einer Zuspitzung der Spannungen und der Ablehnung des Westens in der Region kommen. Eine in ihrem Stolz verletzte Türkei würde feindselig werden", warnte Rocard. "Die Schaffung eines resolut antichristlichen und antiwestlichen türkischsprachigen Blocks wäre zu befürchten. Zuallererst würde sich aber wahrscheinlich der Zorn der Kurden entladen. Sie sind innerhalb der türkischen Bevölkerung am stärksten für die EU-Mitgliedschaft, weil dadurch ihre Minderheitenrechte garantiert würden."

 

Türkei-Debatte: Streit über das Wesen der EU

PRAG. Der tschechische Präsident Václav Klaus hat die derzeitige Debatte über den EU-Beitritt der Türkei als "falsch" charakterisiert. Die Debatte mache keinen Unterschied zwischen den Begriffen Europa und EU, schrieb der rechtsliberale Ex-Premier in der tschechischen Zeitung Pravo. Jene, die die EU als eine ambitionierte, mit einer "Delors-Maastricht-Verfassung" ausgestattete Union haben wollten, sagten logischerweise Nein zur Türkei. Jene, die sich eine EU als Konglomerat von befreundeten, maximal kooperierenden und einander nahen Staaten wünschten, sagten logischerweise Ja. "Der Streit über die Türkei ist kein Streit über die Türkei. Es handelt sich um einen Streit über den Charakter, die Gestalt und das Wesen der EU. Man sollte es laut sagen und sich nicht so gebärden, als ob es um etwas anderes geht."

 

"Das französische Volk wird mitreden"

STRASSBURG. Der französische Präsident Jacques Chirac hat sich für eine Volksabstimmung über den EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen. "Das französische Volk wird mitreden", erklärte Chirac anläßlich seiner Gespräche mit Bundeskanzler Gerhard Schröder in Straßburg. Dazu solle die französische Verfassung geändert werden. Er habe seine Regierung beauftragt, die notwendigen rechtlichen Schritte zu prüfen. Das für 2005 geplante Referendum in Frankreich über die EU-Verfassung habe dagegen "nichts mit der Türkei zu tun", betonte. Chirac befürwortet den Türkei-Beitritt, die Mehrheit in seiner Partei UMP ist hingegen skeptisch eingestellt.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen