© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/04 24. September 2004

Meldungen

Kies gegen Kultur: Der Kampf um Rügen

BERLIN. Da in Mitteleuropa jedes Fleckchen Natur Teil einer Kulturlandschaft ist, ist selbst der aufwendigste Kampf um jeden einzelnen Feldhamster (JF 34/04) stets als Kulturschutz zu begreifen. Dies gilt in potenzierter Form, wenn die Natur in einer deutschen Seelenlandschaft wie der Insel Rügen bedroht ist, die wir heute mit Caspar David Friedrichs Augen sehen. Ein Teil der Verbissenheit, mit der der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) für das Naturschutzgebiet am Neuendorfer Wiek kämpft, erklärt sich gewiß aus solchen kulturell tradierten Identifikationen mit der größten deutschen Ostseeinsel. Am Wiek leben einige der letzten Seeadlerpaare der Republik, das dreißig Hektar große Gebiet ist ein wichtiger Rastplatz für 20.000 Wasservögel sowie Lebensraum von Hunderten seltener Pflanzen und Tiere. Die weltweit operierenden Heidelberger Baustoffwerke möchten daraus seit langem eine auf Jahrzehnte hin ausbeutbare Kiesgrube machen. Nach einer Beschwerde bei der EU, einer verwaltungsgerichtlichen Klage und massiven Bürgerprotesten hat sich der Baustoffriese jetzt zwar verhandlungsbereit gezeigt, aber mit schönem Zynismus den Umweltschützern nur angeboten, das Areal für einen symbolischen Euro zu erwerben - nach der Auskiesung 2030! Ob es dem BUND gelingt, durch Landkäufe die Kiesbagger aufzuhalten, hängt von seiner prekären Finanzlage ab. Spenden werden in diesem "Kulturkampf" genauso entscheidend sein wie beim Wiederaufbau der Anna-Amalia-Bibliothek.

 

Deutsch-deutscher Zugriff auf Friedrich II.

POTSDAM. Bewertungen historischer Persönlichkeiten unterliegen dem Zeitgeist und jenen Maßstäben, die die Gegenwart auf die Geschichte projiziert. Mit dieser Binsenweisheit eröffnet Jürgen Angelow seinen Vergleich deutsch-deutscher Geschichtspolitik in Sachen Friedrich der Große (Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, 2/04). Besonders die Friedrich-Deutung der DDR seit den siebziger Jahren liefert für Angelow Indizien, daß die mitteldeutsche Geschichtswissenschaft unter den Augen der SED "offenbar viel weniger monolithisch und unfähig zur Adaption marxismusfremder Ansätze" war als vermutet. Die nach 1970 spürbare "Aufwertung Preußens in der DDR" sei Ausdruck ihres eigenen gesellschaftlichen Wandels gewesen. In dieser Phase politischer und wirtschaftlicher Konsolidierung sei ein "komplexeres Geschichtsbild" nachgefragt worden. Nach der Verabschiedung der "sozialistischen Verfassung" benötigte die neu konzipierte "sozialistische deutsche Nation" eine eigene nationale Identität. Also galt es, die Verteufelung des "reaktionären" Preußens einzustellen. Genutzt hat es der DDR wenig. Je instabiler die innere Lage bis 1989 wurde, desto positiver wurde das Friedrich-Bild, ohne daß die kollektive Mentalität noch auf "preußische Tugenden" zu verpflichten gewesen wäre. Der Versuch, diese Tugenden nach 1982 in der BRD zu beleben, verfing allerdings genausowenig.


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