© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/04 24. September 2004

Eine bittere Stunde
Österreich I: In Vorarlberg gewinnt die ÖVP die absolute Mehrheit zurück / FPÖ-Debakel / Grüne im Aufwind
Carl Gustaf Ströhm jr.

Der Bundestrend ist es. Wir müssen inhaltliche Konsequenzen draus ziehen", analysierte FPÖ-Bundesvize Heinz Christian Strache letzten Dienstag im ORF angesichts der erneuten Wahlniederlage seiner Freiheitlichen, die von 27,4 auf unter 13 Prozent abstürzten. Es gebe einen "durchgängigen Bundestrend" seit dem Jahr 2000. "Die Länder können für diese Entwicklung nichts", so der Wiener FPÖ-Obmann.

Und in der Tat: In den letzten vier Jahren hat die FPÖ, die bei den Nationalratswahlen 1999 unter Jörg Haider noch auf fast 27 Prozent kam, bei den vergangenen elf Wahlen zum Teil zweistellig verloren. Mit einer Ausnahme: In Haiders Heimat Kärnten kam die FPÖ im März 2004 auf 42,5 Prozent, immerhin 0,4 Prozent mehr als 1999.

Vorarlberg, das westlichste und zugleich kleinste Bundesland Österreichs, hatte letzten Sonntag gewählt. Zwar lag die Zahl der Wahlberechtigten nur bei 242.509, trotzdem galt dieser Urnengang als Stimmungstest, vor allem für die rot-grüne Opposition, denn Vorarlberg wird wie der Bund schwarz-blau regiert. Und weit mehr als ein Drittel der Wähler erteilte dabei allen Parteien eine Abfuhr. Da im Frühjahr die Wahlpflicht abgeschafft wurde, gingen statt 87,8 nur noch 60,6 Prozent der Vorarlberger zur Abstimmung.

Das nutzte vor allem der seit 1945 ununterbrochen regierenden ÖVP: Trotz des Verlustes von 7.430 Stimmen konnte die Partei von Landeshauptmann Herbert Sausgruber 9,2 Prozent zulegen und so mit 54,9 Prozent die vor fünf Jahren verlorene absolute Mehrheit zurückgewinnen. Jubel gab es auch bei der SPÖ, die nun nach langer Durststrecke mit 16,9 Prozent (+3,9) wieder zweitstärkste Kraft ist - dabei machten 235 Wähler weniger ihr Kreuz bei den Roten. Doch solche Details hinderten die Sozialdemokraten nicht daran, dieses "SPD Bayern"-mäßige Ergebnis als großen Sieg zu interpretieren.

Die einzigen, die bei genauer Betrachtung tatsächlich einen Grund zur Freude haben, sind die Grünen unter Spitzenkandidat Johannes Rauch. Diese gewannen 3.288 Stimmen hinzu und erreichten so 10,2 Prozent (+4,1). Zum ersten Mal erhalten sie damit in Vorarlberg den Klubstatus (Fraktionsstatus), der ihnen mehr Mitspracherecht im Vorarlberger Landtag ermöglicht. Die Grünen sind damit die einzige Partei in Österreich, die seit 1999 durchgängig bei allen Wahlen - egal, ob Land, Bund oder Europa - zulegen konnte.

Ein wahres Debakel ereilte die FPÖ. 1999 bekam man unter dem damaligen Spitzenkandidaten Hubert Gorbach sensationelle 27,4 Prozent der Stimmen und erreichte somit bundesweit das zweitbeste FPÖ-Ergebnis bei einer Landtagswahl. Jetzt erlebte der zum Vizekanzler aufgestiegene Gorbach eine "bittere Stunde". Ein solches Resultat (-14,5 Prozent) hätte er "nicht einmal befürchtet", sagte er am Wahlabend.

Haider will die alte FPÖ-Politik von 1989 bis 1999

Wählten 1999 noch 52.444 Vorarlberger die Blauen, so sind es jetzt nur noch 18.881 Stimmen für die Freiheitlichen. Ein Minus von 33.563 Stimmen - fast zwei Drittel der einstigen FPÖ-Wähler wandten sich von der Partei ab. Der Voralberger FPÖ-Spitzenkandidat Dieter Egger meinte resigniert, daß man die eigenen Wähler nicht entsprechend mobilisiert habe. Er wolle auch nicht die Schuld in Sachen Bundespolitik hin und her schieben, denn man habe die Wahlen "gemeinsam gewonnen und gemeinsam verloren".

Am Montag meldete sich dann auch Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider zu Wort, der sich die "alte FPÖ-Politik von 1989 bis 1999" zurückwünscht. "Ich wundere mich nicht, daß der andere Koalitionspartner Wahlen gewinnt, wenn man selbst ein liebevoller Koalitionspartner ist", sagte Haider. Was er mit der "alten FPÖ-Politik" meint, verriet er auch sogleich: Er wolle den Ausstieg aus der bundeseinheitlichen Asylpolitik prüfen lassen.

Für den Koalitionspartner ÖVP und Sausgruber war es - trotz der realen Stimmverluste - in der Tat kein schlechter Tag. Durch den Sieg wird auch sein Einfluß auf die Bundespolitik verstärkt. Sausgruber steht seit 1972 im Landesdienst und wurde 1994 Nachfolger des damaligen Landeshauptmanns Martin Purtscher (ÖVP). Er ist zudem bekannt für seine distanziert-kritische Haltung gegenüber Wien und Brüssel, vor allem wenn sich diese in Vorarlberger Interessen einmischen. Als zum Beispiel Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) ihm seine Dienste im Wahlkampf anbot, lehnte er ab. Sausgrubers "rebellische" Haltung kam auch zum Vorschein, als der Bund den Vorarlbergern die Wohnbauförderung wegen Sparmaßnahmen streichen wollte. Er war strikt dagegen und stellte sich hinter seine Landsleute, die sich am vergangenen Sonntag sichtlich dankbar dafür zeigten. In Wien freut man sich über Sausgrubers Erfolg und fängt an, sich mit fremden Lorbeeren zu schmücken.

Kanzler Schüssel betont zwar, daß der Erfolg der Vorarlberger Volkspartei ein "persönliches Verdienst Sausgrubers" sei, und ist der Ansicht, daß Sausgruber einen erfolgreichen Kurs fahre. Trotzdem habe er in der Bundespolitik "bereits vieles vorweggenommen". Obwohl das Ergebnis der Vorarlberger Landtagswahlen für die ÖVP spricht, kann man sie nicht als bundesweiten Trend nehmen, denn der Wahlsieg wurde nicht von der Bundes-ÖVP, sondern von Sausgruber und seinen Mitstreitern gewonnen. Doch trotz der absoluten Mehrheit und der Jubelgesänge aus der ÖVP-Zentrale hat die ÖVP auch in ihrer eigenen Hochburg Vorarlberg an Stimmen verloren.

Zudem verschiebt sich durch den Absturz der FPÖ auch die Stimmenverteilung auf Bundesebene. Die Freiheitlichen verlieren einen Bundesrat an die FPÖ. In der Länderkammer schrumpft dadurch die schwarz-blaue Mehrheit ab Oktober auf 32 zu 30 Stimmen zusammen (ÖVP 27 Bundesräte, SPÖ 26, FPÖ 5, Grüne 4). Trotz allem ist klar, was die Vorarlberger ändern wollen, nämlich gar nichts. Ob Sausgruber aber die Koalition mit der FPÖ, die schon seit 1974 besteht, weiterführt, ist aber noch nicht ausgemacht. Er kündigte an, mit allen Fraktionen Gespräche führen zu wollen - trotz komfortabler Mehrheitsverhältnisse. Und eines wurde auch klar: Bevor der Österreicher irgendeine Partei wählt, geht er gar nicht wählen.


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