© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/04 17. September 2004

Lonsdale statt Loden
NPD: Eine schon vor der Bedeutungslosigkeit stehende Partei schickt plötzlich sich an, nach einem strukturellen Wandel wieder in ein Landesparlament einzuziehen
Peter Freitag

Wenn am Sonntagabend die Wahllokale im Freistaat Sachsen schließen, wird mit großer Wahrscheinlichkeit die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) im Landtag vertreten sein und so für bundesweites Aufsehen sorgen.

Neun Prozent Zustimmung prognostizieren die letzten Umfragen der Partei bei der jetzigen Landtagswahl. Bedenkt man noch, daß Meinungsforscher vor den Wahlen die Erfolgschancen von Parteien rechts der Union in der Vergangenheit eher unter- als übertrieben haben und daß gerade deren potentielle Wähler sich gern zurückhalten, ihr beabsichtigtes Wahlverhalten im Vorfeld zu offenbaren, so wäre auch ein zweistelliges prozentuales Ergebnis für die selbsternannte "nationale Opposition" nicht undenkbar. Erstmals seit 1968, als die NPD mit 9,8 Prozent in den Landtag von Baden-Württemberg eingezogen war, könnte es diese Partei dann geschafft haben, Mandate in einem Landesparlament zu erlangen.

Eines steht jedoch schon vor dem Wahlausgang fest: Das Verbotsverfahren gegen die NPD, das vor eineinhalb Jahren juristisch scheiterte, hat sich nunmehr für die, die es angestrengt hatten, auch politisch als ein Schlag ins Wasser erwiesen. Am 18. März 2003 verhinderte eine Sperrminorität von drei Richtern am Bundesverfassungsgericht die Weiterführung des gegen die Partei angestrengten Verfahrens, da ihrer Meinung nach eine "Zwangsläufigkeit staatlicher Einflußnahme auf die Willensbildung und Außenwirkung der Partei" durch sogenannte "Vertrauensleute" der Verfassungsschutz-Behörden bestanden habe.

Ins Rollen gebracht hatte die Sache der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU), der am 1. August 2000 bei der Vorstellung seines Verfassungsschutzberichts für das erste Halbjahr 2000 auf "die zentrale Rolle der NPD für den Rechtsextremismus" verwies und feststellte, daß "die Zeit reif für ein Verbot" sei. Während der bayerische Vorstoß aus einigen anderen Ländern wohlwollend aufgenommen wurde (so vom damals noch SPD-regierten Niedersachsen), quittierte der sozialdemokratische Bundesinnenminister Otto Schily Becksteins Ansinnen zunächst mit Skepsis. Nachdem aber der Bundeskanzler - frisch erholt vom Sommerurlaub - verkündete, der Rechtsradikalismus sei mit allen Mitteln zu bekämpfen, änderte Schily seine Meinung und regte am 20. August 2000 gemeinsam mit Schröder an, alle drei Verfassungsorgane (Bundestag, -rat und -regierung) sollten einen gemeinsamen Verbotsantrag gegen die NPD einbringen.

Die Opposition gegen dieses quasi großkoalitionäre Verfahren verstummte schnell: Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) warnte noch vor einer Medienhysterie, die den Eindruck erwecke, Deutschland stehe kurz vor einer "Wiederholung des Jahres 1933". Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, warf Koch daraufhin vor, er ermutige Rechtsradikale mit seiner Beschwichtigung.

Unaufhaltbar wurde das NPD-Verbotsverfahren, nachdem am 4. Oktober 2000 ein Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge verübt worden war: Bundeskanzler Schröder prägte an diesem Tag sein Motto vom "Aufstand der Anständigen", das bald zum Synonym für den staatlichen "Kampf gegen Rechts" geriet. Die Täter von Düsseldorf, ein deutscher Staatsbürger marokkanischer Herkunft sowie ein staatenloser Jordanier, betraf dies freilich nicht; Generalbundesanwalt Kai Nehm konstatierte für ihre Tat einen "palästinensischen Hintergrund" und keine Verbindung zu deutschen Rechtsextremen.
"Hartz IV" begreift die NPD als einmalige Chance

Statt dessen geriet jedoch die NPD bundesweit in den Fokus der Medien, und zwar in einem Ausmaß, wie es ihre Akzeptanz bei den Wählern - meist mit einem Abschneiden weit unter einem Prozent - nicht rechtfertigte. Das Ende der Ära, keine Wahlpartei zu sein, ist für die NPD schon mit dem Achtungserfolg bei der Landtagswahl im Saarland vor zwei Wochen sowie bei den sächsischen Kommunalwahlen im Juni, als die Partei in mehrere Stadt- und Kreistage einziehen konnte, offensichtlich eingeläutet worden. Ob dies von Dauer ist, wird sich erst zeigen.

Immerhin verfügt die NPD im Gegensatz zur Deutschen Volksunion (DVU) über ein Parteileben. Die in Brandenburg kandidierende Konkurrenzgruppierung des Münchner Verlegers Gerhard Frey, mit der man übereingekommen ist, sich nicht gegenseitig zu behindern, war ja schon des öfteren in Landesparlamente eingezogen. Die DVU-Abgeordneten, die nur dank massiven finanziellen und administrativen Rückhalts aus dem Unternehmen Gerhard Freys in die Parlamente einziehen konnten, ereilte jedoch regelmäßig das Schicksal, entweder aus der Fraktion oder ganz in der Versenkung zu verschwinden.

Weitgehend einig sind sich Beobachter und politische Kommentatoren, wenn es um die Gründe für das gute Abschneiden der NPD in den Umfragen geht. Die unter dem Schlagwort "Hartz IV" zusammengefaßten Reformen der Arbeitslosenunterstützung werden insbesondere in Mitteldeutschland als eine Bedrohung der eigenen finanziellen Situation wahrgenommen. Die NPD greift diese Stimmung auf und kann durch ihre ablehnende Haltung zum Reformvorhaben der Bundesregierung profitieren. So dominieren denn im Wahlprogramm auch eindeutig wirtschafts- und sozialpolitische Aussagen, die zudem mit einer schon länger betriebenen ideologischen Orientierung der NPD harmonieren: dem Kampf gegen die Globalisierung.

"Volks- und raumnahe" Wirtschaft, der Mittelstand, soll gegen die Interessen internationaler Großkonzerne gefördert werden, das Sozialversicherungssystem im Sinne einer gesamtdeutschen "Solidargemeinschaft" vereinheitlicht, Zuwanderung in den Arbeitsmarkt dagegen konsequent gestoppt werden. Die Nutzung des Protests gegen "Hartz IV" begreift die NPD als einmalige Chance.

Wann je, so fragt das Parteiblatt Deutsche Stimme habe sich für die nationale Opposition eine derart günstige Ausgangslage geboten? Die "Verbindung des Nationalismus mit sozialen und antikapitalistischen Forderungen" finde unter der mitteldeutschen Bevölkerung immer mehr Zustimmung. Mit diesem "Sozialpopulismus", wie das bereits genannt wird, greift die NPD auch auf die Klientel der PDS über. Für Parteienforscher nicht überraschend: Sie konstatieren eine besondere Anfälligkeit der Wähler in den neuen Bundesländern für Forderungen nach einem starken Fürsorgestaat, der mit Autorität in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen soll und das "freie Spiel" der Märkte unterbindet oder zumindest eindämmt. Da gleichzeitig die internationalistischen Parolen der PDS hier nicht verfangen können, hat die Rechtspartei leichtes Spiel. Wo keine über Jahrzehnte gewachsenen traditionellen Parteipräferenzen etabliert sind, greifen auch die Kampagnen zur Ächtung der "Extremisten" nicht; im Gegenteil kann angesichts einer wesentlich höheren Arbeitslosenquote als im Westen und noch immer existierender traditioneller Vorbehalte gegenüber Kapitalismus und Parlamentarismus die Postulierung einer "Volksgemeinschaft" verlockend wirken.

Unter Udo Voigt festigte sich die NPD

Ein Einzug in den Dresdner Landtag wäre somit der Lohn für einen Kurswechsel, den die NPD Ende der neunziger Jahre vollzog: eine interne Radikalisierung hin zu einem "nationalen Sozialismus", einhergehend mit einer Verjüngung in der Mitgliederstruktur und insbesondere in der zweiten Reihe ihrer Parteiführung. Verbunden war dies mit einer geographischen Verlagerung vom Südwesten in den Osten der Republik. Aus der Partei der alten Herren wurde die der jungen Männer, der bayerische Lodenjanker wich den britischen "Lonsdale"-Hemden.

Im Selbstverständnis der Partei endete damit eine zwanzig Jahre andauernde Lethargie, in der eine larmoyante Rückwärtsgewandtheit dominierte.
Mit der Übernahme des Bundesvorsitzes durch Udo Voigt im Jahre 1996 wird diese Kursänderung - weg von einer antikommunistischen, besitzbürgerlichen hin zu einer antikapitalistischen Partei - angestoßen. Ansätze dazu hatte es schon Anfang der siebziger Jahre gegeben. Damals war die 1964 als Sammelbecken traditioneller rechter Kleinstparteien gegründete NPD gerade unsanft von ihrem Höhenflug herabgestürzt. Das Ende der Großen Koalition und der (wider Erwarten) mißlungene Einzug in den Bundestag 1969 hatten die Partei in eine ernste Krise und interne Machtkämpfe gestürzt. Gegen den bürgerlichen Kurs des Vorsitzenden Adolf von Thadden begehrte eine Gruppe aktionistischer junger Funktionäre auf. Sie spalteten sich jedoch 1972 unter dem Namen "Aktion Neue Rechte" (ANR) ab, nachdem auch Thaddens Nachfolger Martin Mußgnug die erhoffte Wende nicht betrieb. Unter Mußgnug dümpelte die NPD immer mehr in die Bedeutungslosigkeit, was auch sein Versuch, sich an Gerhard Freys DVU zu binden, nicht verhindern konnte. Als 1991 Günter Deckert den NPD-Vorsitz übernahm, versuchte er, ein revisionistisches Profil zu schärfen und die fast bis zur Selbstauflösung getriebene Partei wieder zu etablieren. Doch gegen die damals erstarkenden Republikaner hatte die stigmatisierte NPD keine Chance. Mit dem Übertritt zahlreicher Funktionäre und Mitglieder (darunter Mußgnug) 1992 in die rechte Republikaner-Abspaltung "Deutsche Liga für Volk und Heimat" war die NPD de facto gespalten. Mit der deutschen Wiedervereinigung war der ursprünglichen NPD zunächst das Hauptthema abhanden gekommen, und wie alle anderen Rechtsparteien konnte sie dem Image der CDU als "Partei der deutschen Einheit" nichts Wirksames entgegensetzen. Erst unter Voigts Ägide gelang es der NPD (als einziger ursprünglich westdeutscher Rechtspartei), sich in Teilen Mitteldeutschlands zu etablieren. Hauptursache für diesen Erfolg war sicherlich die Nutzbarmachung eines spezifischen Lebensgefühls dortiger Jugendlicher, die über Organisationen und Veranstaltungen im vorpolitischen Raum gewonnen werden konnten.

Ein gutes Abschneiden bei der Wahl am Sonntag könnte darüber hinaus für die Partei ein wichtiger Faktor zur Sicherung des Überlebens sein. Denn die NPD ist nicht ohne Blessuren aus dem Verbotsverfahren hervorgegangen. Der Parteivorsitzende Voigt mußte bereits zwei Monate nach Einstellung des Verfahrens feststellen, daß man mit einem Rückgang von tausend Mitgliedern "Federn lassen" mußte. Ende letzten Jahres soll sich die Zahl der NPD-Mitglieder bundesweit auf nur 5.000 belaufen haben, womit sich die Stärke der Partei wieder beim Stand von Anfang der neunziger Jahre einpendelte. Auch im mitgliederstärksten Landesverband Sachsen sank die Zahl in den letzten Jahren auf 800, 1998 waren es noch 1.400. Vor allem blieb aus dem Verbotsverfahren der Makel an der Partei hängen, von Spitzeln des Verfassungsschutzes "durchseucht" zu sein. Mitglieder "Freier Kameradschaften", um die man zuvor noch heftig geworben hatte, schreckte dies besonders ab. Radikalere bemängelten vor allem, daß durch die vorzeitige Beendigung des Verfahrens der Nachweis über die Verfassungs- und damit "System"-Widrigkeit der NPD nicht erbracht worden ist.

Aus diesen Gründen sind der ideelle und der finanzielle Gesichtspunkt eines Wahlerfolgs nicht zu unterschätzen; die Partei erfreut sich nicht zuletzt wegen der Erfolgsaussichten schon im Wahlkampf wieder vermehrter Sympathie seitens "unabhängiger Nationalisten", und sie kann mit der Erstattung ihrer Wahlkampfkosten rechnen, worauf sie dringend angewiesen ist.

Der finanzielle Gesichtspunkt eines Wahlerfolgs ist wichtig

Für den sächsischen NPD-Spitzenkandidaten Holger Apfel könnten sich aus dem Einzug in den Landtag zudem persönliche Karrierechancen eröffnen. Der 33jährige Leiter des im sächsischen Riesa ansässigen parteieigenen Deutsche Stimme-Verlages ist zur Zeit noch stellvertretender Bundesvorsitzender. Dem umtriebigen Westimport sagt man bereits seit längerem Ambitionen nach, Voigt an der Spitze des Bundesvorstands zu beerben. Innerparteiliche Kritiker warfen Apfel im vergangenen Jahr vor, den Ausschluß des ehemaligen Prozeßbevollmächtigten Horst Mahler betrieben zu haben, dem dieser durch seinen Austritt zuvorkam. Hintergrund des Vorgehens gegen Mahler seitens des sächsischen Landesvorstands war offensichtlich Mahlers Profilierungsbedürfnis, seine intellektuellen Planspiele ("Deutsches Kolleg"), die als Bedrohung für die Partei wahrgenommen wurden, da sie einem erneuten Verbotsverfahren Nahrung geboten hätten. Sollte Apfels Kurs auch im "Kampf um die Parlamente" - neben dem um "die Straße" und um "die Köpfe" ein Bestandteil des "Drei-Säulen-Konzepts" der NPD - von Erfolg gekrönt sein, bedeutete dies innerparteilich einen Machtzuwachs.

Für die in Sachsen derzeit mit absoluter Mehrheit regierende CDU wäre der Einzug der NPD auf jeden Fall ein Machtverlust, selbst wenn sie wieder den Ministerpräsidenten stellen könnte. So warnten Regierungschef Georg Milbradt und sein Wirtschaftsminister Martin Gillo (beide CDU) sogleich auch vor möglichen negativen Folgen: Rechtsradikale im Parlament seien "ein falsches Signal an internationale Investoren". Am vergangenen Wochenende marschierten dann auch die Christdemokraten des Freistaates auf einer Demonstration "gegen Rechts" mit - an der Seite der PDS.

Offensichtlich nahm sich die Union nicht zu Herzen, was ihr Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden, ins Stammbuch geschrieben hat. In der FA Z betonte Patzelt, es sei gerade die Aufgabe der CDU, den rechten Rand einzufangen. Er stellt jedoch fest: "Dagegen hat sich die sächsische Union leider lange gewehrt. Hinzu kommt: Die Union muß ihr soziales Profil schärfen."

Foto: NPD-Vizechef Holger Apfel (Mitte) mit dem saarländischen Landesvorsitzenden Peter Marx bei einer Hartz-IV-Demo am 13. September im sächsischen Riesa: Verlockende"Volksgemeinschaft"


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