© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/04 17. September 2004

PRO&CONTRA
Sollen die Vertriebenen auf ihre Ansprüche verzichten?
Helga Hirsch / Rudi Pawelka

In Polen sind massive Ängste sichtbar geworden, nachdem der Plan zum Bau eines Zentrums gegen Vertreibungen bekannt wurde. Zum Teil sind diese Ängste verständlich, da die Polen mehrfach traumatische Erfahrungen mit den Deutschen als Fremdherrschern gemacht haben. Zum Teil sind diese Ängste aber auch gezielt von Politikern und Publizisten genutzt worden, um das polnische Selbstbild durch das Feindbild zu stabilisieren. Vor allem der Bund der Vertriebenen gilt vielen seitdem als Inkarnation des Bösen, die hinter gemäßigten Worten nur alte revisionistische Ambitionen versteckt. Bestätigt fühlten sich die Vertreter dieser Auffassungen durch die Forderungen der Preußischen Treuhand. Seitdem dreht sich die Spirale von deutschen Forderungen und polnischen Gegenforderungen, als könne durch ein "Gleichgewicht des Schreckens" der Status quo erhalten werden.
Statt sich dem neuen EU-Nachbarn endlich anzunähern, wird abgerechnet. Über 70 Vertriebene haben nun eine Gegenposition formuliert. Mit dem freiwilligen Verzicht auf ihr früheres Eigentum erkennen sie die Realität an, wie sie nach sechzig Jahren ist: Ihre früheren Häuser haben schon seit drei Generationen neue Bewohner, ihre Heimat ist aufgrund der geschichtlichen Ereignisse verloren. Statt weiter den Groll in sich zu tragen und mit dem Schicksal zu hadern, haben sie sich - mit Schmerz - in die Realität des Verlustes gefügt. Diese Haltung entlastet nicht nur die Betroffenen; sie entlastet auch unsere Nachbarn. Ich wünschte, auch im BdV könnte man den Verzicht als eine Chance im Verständigungsprozeß sehen. Geschichte ist nicht immer gerecht. Wer zu lange auf dem Prinzip der Gerechtigkeit pocht, droht neues Unrecht auszulösen. Mag die Angst vor deutschen Ansprüchen auch übertrieben sein, mögen Vertriebenen auch zu Recht auf ein deutlicheres Bekenntnis der Polen zur Mitschuld an der Vertreibung warten: Mit ihren erpresserischen Klagen werden sie das Gegenteil erreichen.

 

Helga Hirsch ist Publizistin und Initiatorin einer Erklärung, die die Vertriebenen dazu aufruft, auf ihr Eigentum zu verzichten.

 

 

Jeder Vertriebene kann für sich entscheiden, ob er auf seine Ansprüche verzichten möchte. Wer freiwillig verzichtet, sollte aber anderen nicht vorschreiben, auch so zu handeln. Ich bin gegen einen Verzicht, da Deutsche in Polen immer noch diskriminiert werden. Das muß sich ändern. Viele Deutsche, die nach 1945 in ihrer Heimat geblieben sind, wurden enteignet. Nur wegen ihrer Volkszugehörigkeit haben sie ihr Eigentum nicht wiederbekommen. Auch Aussiedlern nimmt man heute noch das Eigentum weg. Hier greift das polnische Recht, nach dem das Eigentum verfällt, sobald jemand die polnische Staatsbürgerschaft verliert oder abgibt. Auch die Vertriebenen werden weiter benachteiligt: Angehörige anderer Nationen werden in Polen bei der Rückgabe von Eigentum berücksichtigt - Deutsche nicht. Wer pauschal verzichtet, erklärt sich mit dieser Diskriminierung einverstanden. Auch die Preußische Treuhand will Rechtsfrieden erreichen. Diesen gibt es aber erst, wenn die Eigentumsfragen gelöst worden sind. Wir dürfen nicht den Fehler machen, diese Frage im Sande verlaufen zu lassen. Das wäre kein gutes Signal. Schließlich wollen wir, daß Vertreibungen weltweit geächtet werden. Ein Staat, der für Vertreibungen verantwortlich war, muß sich diesem Verbrechen stellen. Nur so können andere Staaten von Vertreibungen abgeschreckt werden.
Es ist ein frommer Wunsch zu glauben, daß die Polen durch einen Verzicht bewegt würden, sich der Geschichte der Vertreibung zu stellen. Natürlich gibt es heute schon Polen, die sich der Verantwortung Polens gestellt haben, beispielsweise in der Wissenschaft. In der breiten Bevölkerung ist das aber noch nicht passiert. Das ist nicht die Schuld der Treuhand. Schon bevor es die Organisation gab, mangelte es in Polen an der Auseinandersetzung mit der Vertreibung. Das hat der Streit um das Zentrum gegen Vertreibungen gezeigt.

 

Rudi Pawelka ist Sprecher der Preußischen Treuhand und Vorsitzender der Landsmannschaft Schlesien.


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