© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/04 10. September 2004

Pressefreiheit I: Richter bremsen Berichterstattung über Prominente aus
Kampf um die Bilder
Marcus Schmidt

Einigkeit macht stark - das dachten sich zumindest mehr als 60 Chefredakteure deutscher Zeitungen, als sie in den vergangenen Tagen in ihren Blättern gemeinsam eine eindrucksvolle Kampagne starteten: Erklärtes Ziel des Unternehmens, das von zahllosen Artikeln, Aufrufen und Zeitungsanzeigen begleitet wurde, war nicht weniger als die Rettung der Pressefreiheit in Deutschland. Denn dieser droht nach Meinung der Initiatoren Ungemach durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg. Das sogenannte Caroline-Urteil der Euro-Richter räumt Prominenten in Deutschland in Zukunft einen - wie die Kritiker beklagen - weitreichenden Schutz vor unliebsamen Presseveröffentlichungen ein.

Doch die vereinte Abwehrfront der Chefredakteure holte sich eine blutige Nase - ausgerechnet beim Medienkanzler. Die Bundesregierung sollte dazu bewegt werden, offiziell Einspruch gegen das Urteil aus Straßburg einzulegen. Kabinett und Kanzler sehen die Pressefreiheit allerdings nicht bedroht und verzichteten bislang auf einen Einspruch. Von deutscher Seite steht einer Umsetzung des Urteils nun nichts mehr im Wege. Schon vor der Kabinettsentscheidung war vermutet worden, daß Bundeskanzler Schröder das Urteil nicht ungelegen komme - schließlich waren er und seine Familie nicht erst seit der Adoption eines kleinen Mädchen immer wieder vor die Objektive der Klatschpresse geraten.

Seinen Ursprung hat das Urteil der Euro-Richter im Kampf der von der Regenbogenpresse arg gebeutelten und von Paparazzi in (fast) allen Lebenslagen abgelichtete Monaco-Prinzessin Caroline gegen die Auswüchse des Boulevard-Journalismus. Bereits seit Jahren klagt sich ihr Anwalt Matthias Prinz bis hin zum Bundesverfassungsgericht durch die deutschen Instanzen, um gegen unliebsame Fotos aus dem Privatleben vorzugehen. Schließlich reichte ihr Anwalt Klage in Straßburg ein.

Welche Auswirkungen auf die Pressefreiheit das Urteil tatsächlich haben wird, kann derzeit noch niemand mit Gewißheit sagen. Zwar muß sich das Verfassungsgericht dem Urteil aus Straßburg bei zukünftigen Entscheidungen nicht beugen, Deutschland kann bei Nichtbeachtung des Richterspruches aber mit Strafgeldern belegt werden.

Selbst unter deutschen Journalisten gehen die Meinungen über die Auswirkungen des Urteils auseinander. Die Zeit und der Berliner Tagesspiegel etwa mochten sich der Protestwelle ihrer Kollegen gegen die angeblich drohende Zensur nicht anschließen. Kritiker des Urteils befürchten dagegen, daß künftig nur noch über die positiven Seiten der Reichen und Schönen dieser Welt berichtet werden darf. Im Extremfall könnte es nur noch Bilder von offiziellen Auftritten auf dem roten Teppich geben, bei denen sich die Prominenten bewußt der Öffentlichkeit präsentieren. Eine kritische Berichterstattung über Prominente sei kaum noch möglich, wenn die Betroffenen weitgehend mitbestimmen könnten, wann über sie berichtet werden darf und wann nicht, fürchten die Kritiker.

Die Befürworter des Urteils - allen voran die Anwälte der Prominenten -sehen das natürlich anders und spielen die Gefahr herunter. Alles sei halb so schlimm, und eigentlich würde sich nicht viel ändern. Sie werfen ihren Gegnern daher vor, das Urteil aus Straßburg nicht genau gelesen zu haben - ein Vorwurf, den die Kritiker gerne zurückgeben. Sie befürchten nämlich, daß sich das Urteil nicht nur auf die Bild-, sondern auch auf die Textberichterstattung negativ auswirken könnte. Zugespitzt lautet die Frage: Darf beispielsweise über einen Skandal wie die Adlon-Sause des ehemaligen Bundesbankpräsidenten Ernst Welteke in Zukunft noch straffrei berichtet werden?

Wie der Praxistest auch immer ausfallen wird: Nicht von der Hand zu weisen ist die Gefahr, daß zukünftig bei Berichten über Prominente in vielen Redaktionen die Schere im Kopf regieren wird. Wie jetzt schon bei "umstrittenen" Themen könnten sich immer mehr Redakteure dazu entschließen, lieber nichts zu schreiben als etwas "falsches". Schon heute werden heikle Themen vor der Veröffentlichung von den Juristen der Zeitungen gegengelesen, um zu verhindern, daß durch mögliche Klagen ein existenzbedrohender Schaden für den Verlag entsteht.


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