© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/04 10. September 2004

Auf der Suche nach dem Sündenbock
Landtagswahlen im Saarland: Vor allem die kleinen Parteien überraschen mit guten Ergebnissen / FDP zieht nach zehn Jahren wieder ins Landesparlament ein
Hans Christians

Nur noch 55,5 Prozent der wahlberechtigten Saarländer machten am vergangenen Sonntag bei der ersten Landtagswahl nach den Hartz-IV-Protesten ihr Kreuz: Deutlicher kann die Politikverdrossenheit nicht mehr ausfallen.

So kam es, daß im kleinsten Flächenland der Bundesrepublik selbst die Sieger zu Verlierern wurden. Die bisher alleinregierende CDU kam unter Ministerpräsident Peter Müller zwar auf 47,7 Prozent (plus 2,2), verlor aber etwa 45.000 Stimmen im Vergleich zu 1999. Daß es für die Christdemokraten dennoch zu einem Mandatszuwachs von zwei Abgeordneten reichte, verdanken sie zwei Faktoren. Zum einen schnitt die SPD mit Spitzenmann Heiko Maas erwartungsgemäß katastrophal ab und konnte nur noch rund 30 Prozent der Wähler für sich gewinnen (minus 14). Zum anderen machten viele Wähler ihrem Unmut Luft, indem sie kleinen Parteien ihre Stimme schenkten.

Angeführt vom jungen Landesvorsitzenden Christoph Hartmann, 32, schaffte die seit zehn Jahren außerparlamentarische FDP mit 5,2 Prozent die Rückkehr in den Landtag. Mit brisanten Themen - wie Subventionsabbau für den Bergbau oder innerer Sicherheit - gelang den Liberalen ein erstaunlicher Neubeginn. "Nun werden wir es auch in Sachsen schaffen", rief Hartmann unter dem Jubel von über 400 Anhängern in einem Nobelhotel.

Die FDP profitierte von ihrem Bergbau-Engagement

Der Vergleich mit den von Holger Zastrow geführten Freistaat-Liberalen kommt nicht von ungefähr. Wie in Sachsen hat sich die Saar-FDP - traditionell eher "rechts" geprägt - als bürgerliche Protestpartei positioniert. Geschickt haben Hartmann und der umtriebige Deutsch-Grieche Jorgo Chatzimarkakis die marode Landespartei verjüngt und mit auffallend vielen Zugängen aus Studentenverbindungen verstärkt.

Profitiert hat die FDP vor allem von ihrem Engagement für die sogenannten Bergbaubetroffenen. In Gemeinden wie Nalbach oder Lebach, die unter dem jahrzehntelangen Kohleabbau zu leiden haben, schafften es Hartmann und Co. teilweise auf "Möllemann-Ergebnisse" von 18 Prozent. Spannend blieb es am Wahlabend dennoch. Stundenlang wurden die Liberalen auf exakt fünf Prozent taxiert, bis klar wurde, daß aufgrund der Oberbürgermeisterwahl in Saarbrücken die Ergebnisse aus der Landeshauptstadt erst zum Schluß einfließen würden. Dort kam die FDP auf 5,6 Prozent, was schließlich den Einzug in den Landtag bedeutete.

Zittern mußten ebenfalls die Bündnisgrünen um den Bundestagsabgeordneten Hubert Ulrich, die trotz günstiger Wahlprognosen gegen 21 Uhr plötzlich unter die Fünf-Prozent-Hürde fielen. Doch das gute Abschneiden in Saarbrücken reichte schlußendlich für ein Ergebnis von 5,6 Prozent. Spannend machte es auch die NPD, die in ersten Umfragen 4,5 Prozent erhielt. Doch die auf soziale Belange verengte Kampagne der Nationaldemokraten reichte nicht für einen Landtagseinzug. Die Rechtspartei konnte zwar in Industriegebieten wie Völklingen punkten, wo sie ähnlich wie bei der Kommunalwahl vom Juni knapp zehn Prozent erzielte, und schnitt auch in Saarbrücken mit 4,6 Prozent beachtlich ab. Breite Wählerschichten und nennenswerte Resultate in den ländlichen Gebieten konnte die Mannschaft um Spitzenkandidat Peter Marx allerdings nicht gewinnen. Dort, wo die Frustration besonders groß war, schnitt die NPD gut ab, ansonsten bewegten sich die Ergebnisse bei rund 2,5 Prozent.

Hochburgen waren neben Saarbrücken und Völklingen Großrosseln (6,2), Neunkirchen (5,6), Bexbach (5,9). Insgesamt stimmten vier Prozent der Wähler für Marx und Co. Die Reaktionen waren entsprechend hysterisch. Ministerpräsident Peter Müller warf seinem Vorgänger Oskar Lafontaine vor, er habe mit seinem sozialen Populismus "den Rechten die Hasen in die Scheune getrieben". Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen beruhigte die etablierten Politiker mit der Feststellung, daß die NPD ein "vorübergehendes Phänomen" sei und "Protestwähler ohne feste Bindung" gewonnen habe: "Sie ist der Gewinner der Hartz-IV-Proteste."

Bei Arbeitslosen erreichte die Partei zwölf Prozent der Stimmen, und selbst bei den Arbeitern lag die Partei mit neun Prozent weit vor Grünen und FDP. Die Partei hatte bewußt viele Plakate rund um Arbeits- und Sozialämter aufgehängt. Besonders gut schnitt die Rechtspartei bei unter 30jährigen Männern ab.

Trotz personeller Schwäche machte die NPD Wahlkampf

Die hegen in der Regel auch eine Sympathie für die Inhalte, die die Rechten vertreten. Derzeit habe man es mit einem Wählerpotential von bis zu zehn Prozent zu tun, sagt der Soziologe Oskar Niedermayer. Damit die Bürger sich schließlich zur Wahl einer Rechtspartei entschließen würden, müsse noch ein brisantes Thema hinzukommen. Dies sei an der Saar die Arbeitsmarktreformen gewesen. Der engagierte Wahlkampf der Nationaldemokraten habe die Partei schließlich ins Bewußtsein der Bevölkerung gerückt.

Trotz ihrer personellen Schwächen schaffte es die NPD, seit Jahresbeginn 350 Infostände zu organisieren. Niedermayers Fazit: "Die Partei hat eine Strategie. Sie ist kein Flugsand und wird uns in den kommenden Monaten noch beschäftigen." NPD-Spitzenkandidat Marx selbst sprach von einem "Fanal für Deutschland", und Bundessprecher Klaus Beier prophezeit für die Landtagswahl in Sachsen in drei Wochen, daß die NPD ein zweistelliges Ergebnis erzielen und besser als die Sozialdemokraten abschneiden werde. "Der Kampf um die Parlamente geht in seine entscheidende Phase."

Daß es im Saarland nicht zum ersten Wahlsieg seit 1969 reichte, führen Beobachter auf die insgesamt zu schwache Struktur der Partei zurück. Landeschef Marx - ein gewiefter Redner und Taktierer - band zwar ehemalige Ortsgrößen von Republikanern und Bund Freier Bürger in die Parteiarbeit ein, die Zahl der Mitglieder liegt aber nach wie vor nur knapp über der Hundertergrenze.

In den katholisch geprägten westlichen und nördlichen Landesteilen spielte die NPD keine Rolle und kam auch nicht ansatzweise in die Nähe der Fünf-Prozent-Hürde. Zudem gilt das Saarland nicht unbedingt als rechte Hochburg - noch nie konnte eine nationale Formation den Sprung ins Landesparlament schaffen. Zuletzt kandidierten die Republikaner 1999 ohne Konkurrenz und kamen gerade einmal auf 1,3 Prozent der Stimmen. Diesmal streckten die Republikaner frühzeitig die Waffen und mußten erstaunt zusehen, daß die Deutsche Partei plötzlich ihre Wahlteilnahme ankündigte. Das Ergebnis der Blitzkandidatur fiel erwartet verheerend aus - satte 362 Stimmen konnte die Partei um den ehemaligen FDP-Politiker Heiner Kappel auf sich vereinigen.

Eine riesengroße Sensation schaffte die kleine Familienpartei Deutschlands um ihren Bundesvorsitzenden Franz-Josef Breyer. Seit Jahren sitzt die bürgerliche Mini-Formation im Rat der Kreisstadt St. Ingbert und verfügt im östlichen Saarland über einige Hochburgen. Am Sonntag erzielte die "Familie" dann allerdings auch in Saarbrücken durchgängig Ergebnisse von mehr als 1,5 Prozent. Letztendlich standen unter dem Strich drei Prozent, was dazu führte, daß die Partei erstmals gesondert in einer ARD-Hochrechnung aufgeführt wurde.

Der Wunsch, erstmals in einem westdeutschen Bundesland punkten zu können, blieb den Sozialisten von der PDS verwehrt. Mit einem Ergebnis von rund 2,5 Prozent blieb die Linksaußenpartei hinter den Erwartungen zurück.

Während die kleinen Parteien durchweg zufrieden ihre Zuwächse registrierten, haben bei CDU und SPD die Wahlnachlesen begonnen. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ludwig Stiegler warf Ministerpräsident Peter Müller vor, ein erbärmlicher Lügner zu sein. Dieser habe im Bundesrat die Arbeitsmarktreformen der Regierung abgesegnet, sich aber im Saarland als Kritiker aufgeführt.

Ins Fadenkreuz der Kritik geriet erwartungsgemäß Ex-SPD-Chef Lafontaine. Nur Stunden nach der Niederlage forderte Generalsekretär Klaus Uwe Benneter den prominenten Saarländer auf, die Partei zu verlassen, wenn er weiterhin mit einer neuen Linkspartei liebäugle. Auch der saarländische Spitzenkandidat Maas machte seinen Vorgänger indirekt für die hohen Verluste verantwortlich. "Er muß sich nun klar entscheiden, was er will. Will er innerhalb oder außerhalb der Partei Politik machen? Für uns hat bereits der nächste Wahlkampf begonnen, und da können wir Heckenschützen nicht gebrauchen", sagte Maas der Saarbrücker Zeitung

Mittelweg zwischen Lafontaine und Schröder

Maas wiederum wurde von Parteichef Franz Müntefering nicht gerade mit löblichen Worten bedacht. "Der Mittelweg zwischen Lafontaine und Schröder" sei gründlich mißlungen. Mit der Vorstellung des neuen Kabinetts will Ministerpräsident Müller übrigens noch warten, bis die Stichwahl um das Amt der Oberbürgermeisters am 19. September gelaufen ist. Dann stehen sich der CDU-Staatssekretär Josef Hecken und die SPD-Sozialdezernentin Charlotte Britz gegenüber. Der amtierende Bürgermeister Kajo Breuer, der an die Verwaltungsspitze rückte, als der ehemalige Oberbürgermeister Hajo Hoffmann vor knapp zwei Jahren nach einer Veruntreuungsaffäre aus dem Amt scheiden mußte, erreichte neun Prozent. Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt blieb mit 3,9 Prozent hinter den Erwartungen zurück. Um dessen Kandidatur hatte es im Vorfeld Aufregung gegeben, als er vom Saarländischen Rundfunk zu einer Podiumsdiskussion geladen wurde. Begründung: Es sei zu erwarten, daß Voigt einen nicht unerheblichen Stimmenanteil erzielen werde.

Foto: Peter Müller (CDU) und Heiko Maas (SPD): Das Bundesland, das einst von Lafontaine regiert wurde, ist nun fest in der Hand der Christdemokraten


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen