© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/04 10. September 2004

Die stärkere Dosis
Wahlerfolge der NPD weisen auf die Krise des Parteiensystems
Dieter Stein

Bei den Landtagswahlen im Saarland am vergangenen Wochenende knirschte es kräftig im Getriebe des etablierten Parteiensystems. Die Wahlbeteiligung stürzte von 68,7 auf ein nur bei Europawahlen übliches Niveau von 55,5 Prozent ab. Nahezu die Hälfte der Wähler verweigerte dem Urnengang die Teilnahme. Die Stimmen für die kleinen, "sonstigen" Parteien verdoppelten sich von 4,2 Prozent (1999) auf 10,9 Prozent. Sensationell bei diesem Wahlergebnis sind vor allem die vier Prozent für die NPD, die damit nahe an den Einzug in den Landtag heranrückte.

Bei den am 19. September in Sachsen anstehenden Landtagswahlen wird man nun wohl sicher mit dem Einzug der NPD rechnen dürfen, wie auch der Wiedereinzug der DVU in den Brandenburger Landtag wahrscheinlich ist.

Gegenwärtiger politischer Treibsatz für die rechte Protestwahl sind jedoch anders als in der Vergangenheit nicht Ausländer und Zuwanderung, sondern die hochkochende Wut über Einschnitte in die Sozialsysteme unter dem Schlagwort "Hartz IV". Da von der SPD in dieser Frage enttäuschte Bürger nicht zu FDP, CDU und Grünen überlaufen können, weil diese zum Teil eine noch schärfere Gangart bei den Sozialreformen fordern, bleibt nur die Protestwahl links oder rechts.

PDS und NPD bzw. DVU lenken diese Proteste nun äußerst geschickt auf ihre Mühlen. Man kann getrost Zweifel haben, daß diese Parteien neben simplen Parolen (PDS: "Hartz IV - das ist Armut per Gesetz", NPD: "Quittung für Hartz IV") ernst zu nehmende Alternativen bieten. Sie legen aber den Finger in die Wunde einer Politik, die den Spagat zwischen Globalisierung auf der einen und Entsolidarisierung auf der anderen Seite nicht mehr halten kann. Immer weniger Bürger glauben noch daran, daß durch das weitere Einreißen nationalstaatlicher Schranken, die hemmungslose Öffnung der Märkte, zuletzt die EU-Osterweiterung mehr Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen werden. Unterschiedslos werden NPD und DVU von empörten Bürgern als letztmöglicher "Knüppel aus dem Sack" wahrgenommen, mit dem man - alternativ zur folgenlosen Wahlenthaltung oder Abgabe einer ungültigen Stimme - "denen da oben" zeigen kann, wo der Hammer hängt.

Auf der Woge des Hartz-IV-Protestes scheint sich rechtsaußen nun mit der NPD eine Partei sogar womöglich parlamentarisch zu etablieren, die noch bis vor kurzem aus dem 0,2-Prozent-Ghetto nicht hinausgekommen ist. Es ist eine eigentümliche Pointe, daß der seit dem Jahr 2000 von Bundeskanzler Schröder verkündete "Aufstand der Anständigen" und der "Kampf gegen Rechts" schnurgerade in einer erstarkten radikalen Rechten münden.

Der "Kampf gegen Rechts" hat nämlich dazu geführt, daß in den Augen des Publikums alles vom rechten Flügel der Union bis zur NPD und Neonazi-Skinheads über einen Leisten geschlagen wurde. Objektiv vorhandene Unterschiede zwischen einer nationalliberalen Schill-Partei in Hamburg, den von 1992 bis 2002 in Baden-Württemberg mit einer Landtagsfraktion vertretenen rechtskonservativen Republikanern und einer NPD, die nicht in der Lage ist, sich zum Grundgesetz oder der parlamentarischen Demokratie zu bekennen, werden verwischt - der Wähler glaubt, alles sei "rechts", ohne Unterschied.

Das deutsche Parteiensystem hat zudem ein Repräsentationsdefizit. In vielen Fragen - Euro, Erweiterung der EU, europäische Verfassung, Einwanderungspolitik - sieht sich eine wachsende Zahl, teilweise sogar die Mehrheit der Bürger im traditionellen Parteiensystem nicht mehr repräsentiert. Verschiedene Versuche, bürgerlich-konservative Alternativen rechts der Union zu installieren, sind an der Stigmatisierung, aber auch fanatischen Abgrenzung durch CDU und CSU gescheitert.

Nun kommt in Form der NPD eine Kraft, die keinen bürgerlich-reputierlichen Ruf hat, den sie fürchten müßte zu verlieren. Im Gegenteil: Sie versteht sich als antibürgerlich, proletarisch, sie sagt, sie stelle die "Systemfrage".

Insbesondere im Osten der Bundesrepublik wird die Zurücksetzung auf den Status als Sozialhilfeempfänger ("Arbeitslosengeld II") als tief verletzend empfunden. Noch zu DDR-Zeiten galt der Sozialhilfeempfänger in Westdeutschland als der Inbegriff des Abstiegs im kapitalistischen System. Die Artikulation des Protestes durch Wahl der PDS wird inzwischen zudem als immer wirkungsloser angesehen. Ja, die PDS wird durch ihre Regierungsbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, ihre sichtbar gewachsene gesellschaftliche Akzeptanz in den Medien gar als Teil des bundesdeutschen "Establishments" wahrgenommen. Zudem weigert sich die PDS, die nationale Frage zu beantworten.

Von der Wahl der DVU, viel mehr noch der ideologisch radikaleren NPD, erhoffen sich wohl insbesondere viele junge Wähler eine "Verstärkung der Dosis", um das Mißfallen mit der sozialen und politischen Lage zu artikulieren. Geschickt verschmilzt die NPD gerade im Osten sogar totalitär-staatsvergötzende DDR-Sehnsucht und Dritte-Reich-Nostalgie zu einem explosiven ideologischen Amalgam, in dem sich rechtsradikale Skinheads und Ex-SED-Genossen gleichermaßen wiederfinden können. Daß die NPD jenseits kurzfristiger Protestwahl von parlamentarischer Dauer sein wird, ist zum Glück zu bezweifeln. 


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