© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/04 03. September 2004

Das Gespenst der fünften Kolonne
Die Übergriffe im Kontext des "Bromberger Blutsonntags" werden oft als Reaktion auf "Diversanten"-Tätigkeit dargestellt - Beweise dafür fehlen bis heute
Matthias Bäkermann

In den vergangenen fünfundsechzig Jahren sind verschiedene Versionen des Anlasses für den "Bromberger Blutsonntag" in der Stadt und dem Umland am Weichselknie publiziert worden. Besonders von seiten polnischer Historiker wird nach wie vor davon ausgegangen, daß es am Sonntag, den 3. September 1939 einen Anschlag von "Diversanten" aus dem Kreis von Volksdeutschen gab. Diesen wurde bereits in den Monaten vor Kriegsbeginn in den polnischen Medien unterstellt, sie seien die "Fünfte Kolonne" des Deutschen Reiches.

Der Begriff der Fünften Kolonne entstammte dem gerade zu Ende gegangenen Spanischen Bürgerkrieg. Einer der gegen die Sozialisten kämpfenden Generale Francos hatte über den Rundfunk den Vormarsch gegen die spanische Hauptstadt angekündigt. Die erste Kolonne, so sagte er, käme aus dem Norden, die zweite aus Nordwesten, die dritte Kolonne aus Südwesten und die vierte aus dem Osten. Eine Fünfte Kolonne aber sei bereits in Madrid. Keiner werde sie erkennen, aber sie werde fürchterlich aufräumen. Besonders in den nach Versailles teilweise ethnisch äußerst heterogenen Staaten Mittel- und Osteuropas verfestigte sich das Schreckensbild dieser "Fünften Kolonne" - des illoyalen Fremdlings, der aus dem Untergrund mit psychologische Kriegführung durch gestreute Gerüchte Verwirrung stiftet, der sabotiert, terrorisiert und im richtigen Augenblick den bewaffneten Kampf aufnimmt. Diese paranoide Vorstellung bestimmte in einigen Staaten sogar das Handeln gegenüber den Minderheiten - besonders wenn diese in anderen Staaten ihre vermeintliche mutterstaatliche Vertretung hatten.

In diesem Sinne wurde in polnischen Zeitungen - insbesondere in den "Westprovinzen" - das Bild der deutschen Minderheit gezeichnet. Im Falle eines militärischen Konfliktes wurden "diver-sante Tätigkeiten" der "Volksdeutschen" prophezeit. Mit der deutschen Wehrmacht könne die polnische Armee fertig werden, aber die "Fünfte Kolonne Hitlers", die seit 1919 auf knapp eine halbe Million zusammengeschrumpfte deutsche Minderheit, das sei die Gefahr, kommentierten Leitartikler.

So ist es nachzuvollziehen, daß unmittelbar nach Kriegsbeginn, nachdem bereits in den ersten Tagen der Rückzug der zwischen Pommern und Ostpreußen verteidigenden Kräfte der polnischen Armee nach Süden notwendig wurde, natürlich auch "Diversanten" als Ursache der sich anbahnenden Niederlage ausgemacht wurden. Allerorten, so wurde berichtet, verübten Diversanten Anschläge oder Heckenschützenattentate, deutschen Flugzeugen würden nachts geheime Zeichen zur Orientierung gegeben. Meldungen über deutsche Luftlandeoperationen im rückwärtigen Raum der polnischen Armee, die ganze "Diversantengruppen" mit Waffen und anderer Logistik unterstützten, verstärkten die panikartige Stimmung.

In Bromberg selbst seien Schüsse auf polnische Militärkolonnen abgegeben worden. Dieses ist auch nach offizieller polnischer Diktion die gängige Version. In den Kampfhandlungen zwischen "Diversanten" und der polnischen Armee um nördliche Vorstädte habe es viele Opfer bei den Deutschen gegeben. Daraufhin seien auch anderswo "gefährliche Deutsche" als Reaktion verhaftet und im Landesinnern interniert worden. Die grausamen Übergriffe seitens der Zivilisten, sowohl als paramilitärische Kämpfer als auch in Form eines fanatisierten Mobs, werden hingegen weitgehend ausgeblendet. Diese machten auch vor Polen selber nicht halt, die ihre deutschen Nachbarn schützend in ihre Obhut nahmen.

Allerdings wurden in keiner damaligen polnischen Publikation Namen von Volksdeutschen genannt, denen Übergriffe konkret nachgewiesen werden konnten. Da Volksdeutsche bereits seit Mai 1939 Waffen aller Art abgeben mußten - selbst Berufsjäger und Förster waren davon nicht ausgenommen -, sind "Gefechte" zwischen regulärer Armee und deutschen Zivilisten eher unwahrscheinlich. Auch eine die "Diversanten" mit Waffen und Gerät ausrüstende Luftlandeoperation taucht in keinem deutschen oder auch polnischen Kriegsbericht auf, zumal sich die deutsche Fallschirmjägerdivision noch im Aufbau befand und bis 1940 keine Luftlandeoperation durchführte.

Nach der Eroberung Westpreußens und Posens durch die deutsche Wehrmacht wurde - auch durch die Anzeige überlebender Deutscher - gegen die zivilen polnischen Akteure der Pogrome mit rücksichtsloser Härte vorgegangen und viele von ihnen hingerichtet. Der Rachefeldzug mündete jedoch schnell in einer großflächigen Verfolgung und Ermordung polnischer Zivilisten - besonders Intellektueller. In Goebbels' Propagandaministerium wurde der auf 58.000 Opfern bezifferte "Bromberger Blutsonntag" hemmungslos instrumentalisiert und als Legitimierung dieser "harten Sanktionen" mißbraucht. Eine Auszeichnung von erfolgreichen "Diversanten", das Hervorheben besonderer antipolnischer Taten hat es dagegen auch nach dem erfolgreich abgeschlossenen Polenfeldzug von offiziellen deutschen Stellen gegenüber Volksdeutschen nicht gegeben.


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