© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/04 03. September 2004

Die Wende ist möglich!
Wege aus der Krise: Die Eliten müssen sich an Haupt und Gliedern reformieren
Günter Zehm

Die Pleite der deutschen Olympioniken in Athen war bei Lichte betrachtet noch größer, als es der Medaillenspiegel wiedergibt. Noch nie hat es für unser Land ein derartiges sportliches Desaster gegeben. Deutsche Siege wurden faktisch nur in einigen randständigen Disziplinen errungen; in keinem der populären traditionellen Wettbewerbe spielten wir noch eine Rolle. Keine herausragenden Leicht- und Schwerathleten mehr, keine Läufer, keine Schwimmer, keine Ringer. Das moderne Deutschland ist keine bedeutende Sportnation mehr.

Es ist, wie die letzte Fußball-Europameisterschaft zeigte, auch keine Fußballnation mehr. Es ist kein Land der Dichter und Denker mehr, nicht einmal (siehe Pisa-Studie) eines von konkurrenzfähigen ABC-Schützen. Sämtliche Parameter weisen nach unten. Ob Ingenieur-Ausbildung oder Stammzell-Forschung, ob Filmproduktion oder Musikfestspiele - überall regiert Durchschnitt oder Unterdurchschnitt, überall lebt man ausschließlich von noch vorhandenen Beständen aus früheren Zeiten, die man rücksichtslos verjubelt, indem man sie gleichzeitig beschimpft und verhöhnt.

Liegt das nun am Volk, liegt es daran, daß dieses Volk "unendlich müde" (George Steiner) geworden ist und nur noch im "Freizeitpark" (Helmut Kohl) faul herumliegen will? Davon kann überhaupt keine Rede sein, im Gegenteil. Wenn es in Deutschland noch Potenzen gibt, mit denen man positiv rechnen kann, so liegen sie im Volk, in seiner nach wie vor beträchtlichen Selbstdisziplin, Properheit und Gutmütigkeit, in seinem in Jahrhunderten ausgebildeten technischen und organisatorischen Ingenium, in seiner Fähigkeit, allen möglichen von oben betriebenen Abräumtendenzen mit Stammtisch-Renitenz zu begegnen.

Deshalb ja auch die bohrenden und unermüdlichen Versuche der "Eliten", alles dies, die Disziplin, die Properheit, die Stamm­tischmentalität, madig zu machen und als "typisch deutsch" zu denunzieren. "Typisch deutsch" - das ist die Verächtlichkeits­formel unserer Eliten schlechthin, Synonym für das, was man hassen und beseitigen muß.

Deutschland hat wahrhaftig kein Volksproblem, es hat aber ein eminentes Eliteproblem. Das, was bei uns jetzt zwischen vierzig und sechzig Jahre alt ist und in den Führungsetagen sitzt, also die Generation der soge­nannten 68er, ist keine Elite, sondern eine Art Gegenelite, durch die Ungunst der Geschichte nach oben geschwemmt, eine Bank von fast dämonischen Selbstzerstörungs-Spezialisten. Eine derartige Elite hat es in der deutschen Geschichte noch nie gegeben, auch in den dunkelsten Zeiten nicht.

Das probateste Kampfmittel dieser merkwürdigen Elite besteht - neben der systematischen Verleumdung der deutschen Mentalität und Geschichte - in der unermüdlichen und massiven Warnung vor jederlei nationalem Wettbewerbsdenken. Als Deutscher, so wird den Kindern schon in der Schule beigebracht, hat man jedem Streben nach Exzellenz und Vorneliegen radikal zu entsagen. Man soll zwar fleißig sein und Werte schaffen, aber der Lohn des Fleißes soll in erster und faktisch jeder Linie anderen zugute kommen und man soll sich seiner um Himmels willen nicht berühmen. Die pure Fellachen-Mentalität ist herangezüchtet worden: Man selber (d.h. das eigene Volk) ist zuständig für die Schaffung der materiellen Basis, hat die jeweilige Chose zu bezahlen, doch der Sieg und der Ruhm gehören grundsätzlich anderen.

Solche Arbeits- und Prestigeteilung ging eine Weile gut, eben wegen der materiellen und mentalen Bestände; es reichte auch noch zur Schaffung eigenen Wohlstands, und Fußball- sowie andere Sporterfolge schufen Ventile zur Abführung nationalen Stolzes. Aber der Keim zur Krise war von vornherein angelegt. Früher oder später mußte es zur Überdehnung der nationalen Möglichkeiten kommen, besonders als die Wiedervereinigung einen riesigen Finanzierungsbatzen wegfraß, und mittlerweile ist der Boden des Topfes sichtbar.

Das Wehgeschrei bei den Eliten ist nun groß. Sie müssen erkennen, daß durch die Erschöpfung der Volkskräfte auch ihre eigene materielle Basis bedroht wird. Die global players im Wirtschafts- und Finanzmanagement trösten sich zur Zeit zwar noch mit der scheinbaren Möglichkeit, durch Verlagerung der Industrie ins Billig-Ausland allen nationalen Problemen aus dem Weg gehen zu können, doch sicher ist das beileibe nicht. "Investieren in Indien und Golfspielen in Oberbayern geht auf die Dauer nicht", hat selbst Edmund Stoiber erkannt.

Inzwischen fordern Schröder und Merkel vom Volk Einschnitte und Rückschnitte, damit es der Industrie wieder bessergeht und der Staat seine Schulden bezahlen kann und so am Ende auch wieder neue Arbeitsplätze entstehen. Das Volk hört diese Botschaft, doch es fehlt ihm der Glaube. Es hat gelernt, daß die alte Formel "Wenn es der Industrie gutgeht, geht es auch uns gut", nicht mehr stimmt, daß sich Betriebsergebnisse offenbar nur noch verbessern, indem inländische Arbeitsplätze abgebaut werden und irgendwo in Tschechien oder Indien ein Schornstein raucht. Dieses Spiel will das Volk auf keinen Fall mitspielen.

Daß man bezahlen muß, damit andere den Ruhm ernten - daran hatte man sich beinahe gewöhnt. Jedoch, daß man mehr arbeiten und weniger verdienen soll, damit es anderen bessergeht und man selbst demnächst trotzdem arbeitslos wird - daran kann man sich nicht gewöhnen, bei aller Geduld und Einsicht nicht. Die deutschen Eliten müssen sich also unbedingt etwas einfallen lassen. Sie, nicht das Volk, sind jetzt in erster Linie gefordert. Ihnen steht eine Reform an Haupt und Gliedern ins Haus, eine Generalrevision ihrer Überzeugungen und Strategien, und nicht jeder wird den Test bestehen.

Die Tage, da sich deutsche Wirtschaftsmanager immer höhere Revenuen aufs Konto schreiben konnten, während ihre Unternehmen faktisch pleite gingen und das Volk arbeitslos wurde, neigen sich dem Ende zu, auch die Tage, da deutsche Politiker sich in ihrer jeweiligen "Volkspartei" gewissermaßen häuslich einrichten konnten, ohne daß ihnen etwas Unangenehmes passierte. Der Wettbewerb in diesen Kreisen wird sichtlich härter. Es zieht aller Voraussicht nach eine Art olympischer Geist in diese Etagen ein, und das kann auf keinen Fall schaden.

Wettbewerb, Kräftemessen, Ringen um Sieg und Lorbeer, das hat sich in Athen wieder einmal in überwältigender Weise gezeigt, sind nicht nur zur Profilierung der einzelnen Kämpfer da, sondern auch und vielleicht sogar in noch höherem Maße zur Profilierung und Kenntlichmachung der Nation, der die Kämpfer angehören. Der Lorbeer gehört nie dem Sieger allein, und je genauer er darum Bescheid weiß, um so besser sind seine Siegeschancen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen