© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/04 27. August 2004

Opfer elterlicher Rosenkriege
Max Friedrich widmet sich dem Heer der Scheidungskinder als Hauptbenachteiligte der immer häufiger auftretenden Trennungen
Werner Olles

Die Daten sind alarmierend. Noch niemals zuvor heirateten in Deutschland so wenige Menschen wie im vergangenen Jahr. Doch was noch viel schlimmer ist: Die Scheidungsrate hat sich innerhalb der letzten elf Jahre verdoppelt - eine dramatische Entwicklung, die in der Geschichte ohne Beispiel ist.

In seinem jüngst erschienenen Buch "Die Opfer der Rosenkriege" geht der Kinderpsychologe und Universitätsprofessor Max H. Friedrich jedoch nicht der Frage nach, warum immer mehr Frauen und Männer in der postmodernen Konsum- und Spaßgesellschaft nicht mehr bereit sind, dauerhafte Bindungen einzugehen, sondern widmet seine Aufmerksamkeit den Kindern, die von der Trennung der Eltern betroffen sind.

Allein die Zahl beweist, daß das Problem gewaltig ist. 250.000 Kinder werden jährlich im deutschsprachigen Raum zu Opfern von Trennungskonflikten, Scheidungen und "Rosenkriegen". Sie stehen im Mittelpunkt des Buches, denn sie leiden in aller Regel am meisten, wenn die Eltern sich trennen. Vor allem dann, wenn sie im Laufe der oft jahrelangen Auseinandersetzungen als Druckmittel gegenüber dem Ex-Partner mißbraucht oder als Projektionsfläche für Ressentiments, Sehnsüchte oder Revanchegefühle instrumentalisiert werden. Das von Verwandten, Großeltern, neuen Partnern, Scheidungsanwälten und Familienrichtern so gerne ins Feld geführte sogenannte "Kindeswohl" dient dabei in manchen Fällen ganz anderen Zwecken.

Friedrich zeigt anhand vieler Einzelbeispiele aus seiner therapeutischen Praxis, wie diese Kinder zu Opfern werden, aber auch was Rechtsanwälte, Sozialarbeiter, Pädagogen und Pflegschaftsrichter leisten können, um ihnen diese oft sehr leid- und schmerzvollen Erfahrungen zu ersparen. Der Autor kann bei seinen Ausführungen auf seine zwanzigjährige Tätigkeit als ständiger gerichtlich beeidigter Sachverständiger für Psychiatrie und Kinder- und Jugendpsychiatrie zurückgreifen. Neben vielen Tätigkeiten im wissenschaftlichen Bereich - zum Beispiel als Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Neuropsychiatrie des Kinder- und Jugendalters - ist er auch als Berater des Familien-, Justiz- und Gesundheitsministeriums tätig und hat bislang über hundert wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Publikationen veröffentlicht, darunter "Tatort Kinderseele - Sexueller Mißbrauch und die Folgen".

Es ist diese Erfahrung, die das Buch so lebendig und lesenswert macht. Hier schreibt kein Theoretiker aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm, sondern ein Mann der Praxis. Friedrich macht auch klar, ohne jedoch Schuldzuweisungen zu verteilen, auf wessen Seite seine Sympathien liegen, nämlich bei den Kindern, die im Scheidungskampf immer die Verlierer sind. Ihre Bedürfnisse und Anliegen müssen gebührend wahrgenommen und berücksichtigt werden, damit sie nicht im Kampf der Eltern auf der Strecke bleiben. Obwohl das mit der Trennung und den Sorgerechts-Streitigkeiten verbundene Leid der Kinder längst kein ausschließlich privates Problem mehr ist, wird auf ihre Belange im Scheidungsprozeß immer noch viel zu wenig Rücksicht genommen. Der Autor plädiert daher unter anderem für eine speziell kindorientierte rechtliche Interessenvertretung, die sich deren Anliegen annimmt. Da es bis jetzt jedoch immer nur um die Bedürfnisse der Erwachsenen gehe und sich zugleich der Kampf um das Kind dementsprechend verschärfe - Stichworte: Sorgerecht, Besuchsrechtsregelungen, Alimentationszahlungen, Aufteilung von Besitz - verschärften sich die Konflikte, die erbarmungslos auf dem Rücken der Kinder ausgetragen würden.

Ein "Scheidungsratgeber" ist das Buch dennoch - oder gerade deswegen - nicht. Grundsatzfragen wie "Scheidung - ja oder nein?" werden hier nicht diskutiert. Es geht dem Autor vielmehr um das Recht des Kindes auf beide Eltern, und dies auch nach der Scheidung. Das sei etwas ganz anderes als das gesetzlich längst festgesetzte Recht der Eltern auf das Kind, nämlich die Möglichkeit des Kindes, Vater und Mutter in jene Pflicht zu nehmen, die von beiden im leidigen Sorgerechtsstreit oft genug verdrängt oder gänzlich vergessen wird. Doch genau bei dessen Recht auf optimale Bedingungen in entwicklungspsychologischer und -pädagogischer Hinsicht drücken sich Politiker und geben den Juristen keinerlei präzise Gesetzesvorschläge an die Hand.

Im luftleeren Raum werde zwar vage darüber gesprochen, daß etwas für die Zukunftssicherung der Scheidungskinder getan werden müßte - fordere jedoch die Wissenschaft mehr Mittel für Forschung und Untersuchungen in diesem Bereich, stehe sie meistens vor verschlossenen Türen. Einerseits werde von allen Seiten über Wohlstandsverwahrlosung, Werteverfall und mangelnde Konfliktbereitschaft geklagt, andererseits begnüge man sich lieber mit Schlagworten, anstatt sorgfältige Analysen anzustellen. Der theoretischen Anerkennung kindlicher Interessen müssen jedoch endlich Taten folgen, schreibt Friedrich und versteht sein Buch in diesem Sinne als "eindringlichen Appell an die Entscheidungsträger, ebenfalls Mut zur Tat zu beweisen und es nicht bei schönen Worten zu belassen".

Gewidmet ist "Die Opfer der Rosenkriege" allen Scheidungskindern, in der Hoffnung, daß es in schwierigen Situationen Rat und Hilfe bietet, aber auch, daß es in der Gesellschaft die notwendige praktische Umsetzung findet. Vor allem soll es dazu beitragen, daß die Kinder in Zukunft jene Zufriedenheit erleben dürfen, die ihren natürlichen Bedürfnissen entspricht.

Max H. Friedrich: Die Opfer der Rosenkriege. Kinder und die Trennung ihrer Eltern. Ueberreuter Verlag, Wien 2004, 239 Seiten, gebunden, 19,95 Euro


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