© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/04 27. August 2004

Zeitschriftenkritik: Karta
Gegen jede Form von Diktatur
Ekkehard Schultz

Deutsche Magazine zur Zeitgeschichte hinterlassen beim Leser oft einen zwiespältigen Eindruck: So graphisch nahezu perfekt und anschaulich aufgearbeitet sie sein mögen, bleibt nach der Lektüre oftmals aufgrund ihrer offensichtlichen politischen Tendenz ein fader Beigeschmack haften. Statt Fakten und Dokumente zu präsentieren, wird über längst bekannte und unattraktive Teilaspekte in einer penetranten Art und Weise agitiert, belehrt und diskutiert.

Wohltuend hebt sich davon die in Polen herausgegebene Zeitschrift Karta ab, die als Jahrbuch seit 2000 auch in deutscher Sprache erscheint. In diesen Sammelausgaben werden die auch für den deutschen Leser interessanten Themen der einzelnen Ausgaben des im Original vierteljährlich erscheinenden Magazins zusammengefaßt. Ursprünglich erschien Karta als Untergrundzeitschrift im sozialistischen Polen. Verantwortet wurde sie von dem gleichnamigen Zentrum, das im Januar 1982 nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen gegründet wurde. Heute ist Karta eine unabhängige Organisation zur Dokumentierung und Popularisierung der polnischen und osteuropäischen Geschichte im 20. Jahrhundert, die neben der Herausgabe der Zeitschrift auch zahlreiche Archive zur Zeitgeschichte pflegt sowie regelmäßig Ausstellungen veranstaltet.

Seine Hauptaufgabe sieht das Magazin in der Dokumentation von Zeitzeugnissen und Alltagserfahrungen im Raum des östlichen Mitteleuropas, vorzugsweise Polens, der Länder des Baltikums, Weißrußlands sowie der Ukraine.

So reicht beispielsweise das Themenspektrum der letztjährigen Ausgabe von der Dokumentation eines Tagebuches einer polnischen Gutsherrin auf russischem Territorium während den ersten Monaten des Ersten Weltkrieges über die Hungerkatastrophen im Wolgagebiet in den zwanziger Jahren, den antikommunistischen Widerstand in Litauen Ende der vierziger bis Anfang der fünfziger Jahre, Antisemitismus in Nachkriegspolen bis zu den Beschwerdebüchern in der Volksrepublik der achtziger Jahre. Die Fülle von behandelten Themen erlaubt es, in jeder Ausgabe mehrere Schwerpunkte zu setzen. Damit kann auch dem an einzelnen Gebieten weniger interessierten Leser genügend Neues geboten werden.

Sehr erfreulich ist auch, daß Karta in totalitären Regimen begangene Verbrechen nicht nach politischer Opportunität gewichtet. Vielmehr wenden sich sämtliche Beiträge gegen jede Form von Diktatur und gegen Totalitarismus jeglicher Bauart. Fast immer sind die Aufsätze und Dokumentationen durch starke persönliche Bezüge geprägt, die ihnen eine besondere Unmittelbarkeit und Lebendigkeit verleihen. Ergänzt werden sie von einer Fülle interessanter Bilder.

Nicht immer wird jede von den zumeist polnischen Autoren vertretene Einzelposition von der deutschen Leserschaft geteilt werden. Es ist freilich ein großer Unterschied, ob eine solche Position auf der Basis einer sorgfältigen Quellenforschung beruht oder auf einer Mischung altbekannter Wahrheiten und Vorurteile. Auf solche - dessen kann sich der Leser sicher sein - haben die Karta- Verantwortlichen in der Vergangenheit verzichtet und werden es auch in Zukunft mit großer Sicherheit tun. 

Karta. Zeitzeugnisse aus Ostmitteleuropa, Postfach 652126, 13316 Berlin. Tel: 030 / 49 91 25 69, Internet: www.karta.org.pl . Jeder Band umfaßt ca. 240 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und kostet 5 Euro.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen