© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/04 27. August 2004

Der Sturm auf die Festung Europa hat begonnen
Nordafrika: EU-finanzierte Auffanglager als Ultima ratio einer verfehlten Asylpolitik
Alexander Griesbach

Humanitär" war in der Diskussion um den Vorschlag von Bundesinnenminister Otto Schily, in Nordafrika "Auffanglager für Asylsuchende" zu errichten, der wohl am häufigsten gebrauchte Ausdruck. So forderte der innen- und beamtenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Max Stadler, dazu auf, sich von dem SPD-Politiker zu distanzieren und sich "zur Tradition des humanitären Flüchtlingsschutzes in Europa" zu bekennen.

Grünen-Chefin Angelika Beer wollte da nicht zurückstehen und erklärte in einem FAZ-Beitrag, daß schon die bisherige Regelung Menschenleben gefährde. "Wir brauchen in den Ausländergesetzen Klauseln", so Beer, "die gewährleisten, daß humanitäre Hilfe nicht länger strafrechtlich als Beihilfe zur unerlaubten Einreise verfolgt wird." Daß damit indirekt auch Schlepperbanden entkriminalisiert würden, regte allerdings niemanden auf.

Ein Beispiel für die Konfusion der Union in dieser Frage gab Fraktionsvize Wolfgang Schäuble. Der einstige CDU-Bundesinnenminister warf Schily vor, "Internierungslager am Rande der Sahara" schaffen zu wollen. Dabei war es ursprünglich der britische Labour-Premier Tony Blair, der Asyllager außerhalb der EU vorschlug. Er fand damit bei den EU-Regierungschefs keine Unterstützung - auch nicht bei den vermeintlich "rechten" Kabinetten in Rom, Wien oder Kopenhagen. Wie "verkehrt" die Fronten in dieser Diskussion bisher verlaufen, zeigt die Tatsache, daß Schily in dieser Frage ausgerechnet von dem politischen Enfant terrible Oskar Lafontaine Unterstützung erhielt.

Die Welle illegaler Einwanderer, die aus Afrika nach Europa zu rollen droht, hat längst bedrohliche Ausmaße erreicht. Dies gilt auch dann, wenn derzeit in Deutschland die Zahlen der offiziell registrierten Asylbewerber aus Afrika rückläufig sind. Vor wenigen Tagen behauptete Giuseppe Pisanu, der Innenminister Italiens, daß "mehr als zwei Millionen Ausreisewillige" in Libyen auf die Überfahrt nach Italien warteten. Der Ex-Christdemokrat und heutige Forza-Italia-Politiker weiß, wovon er redet: Jeden Tag landen an der Sizilien vorgelagerten Insel Lampedusa neue "Flüchtlinge" an. Die in Rom mitregierende Lega Nord fordert inzwischen sogar, auch über die Anwendung von Gewalt nachzudenken, um den Zuwanderungsdruck einzudämmen. Denn die meisten Illegalen wollen nicht im armen Süditalien bleiben, sondern in den reichen Norden, wo immer mehr Afrikaner inzwischen zum alltäglichen Straßenbild gehören. Kein Zweifel kann inzwischen darüber herrschen, daß der Sturm auf die "Festung Europa" begonnen hat.

Auffanglager könnten vor diesem Hintergrund zunächst durchaus präventiv wirken; sie werden aber wenig bis nichts am Grundübel einer im Ansatz verfehlten Asyl- und Zuwanderungspolitik ändern, an der inzwischen viel zu viele sehr gut verdienen. Denn wer nicht mittels des Zauberwortes "Asyl" nach Europa und hier insbesondere nach Deutschland kommen kann, der wird, wenn ihm der direkte Weg versperrt sein sollte, andere, sprich: illegale Wege finden. Das sieht inzwischen auch der Spiegel so, wenn er kürzlich realistisch feststellt: "So wie Schily sich diese Lager vorstellt, ohne Aussicht auf ein Ticket nach Europa, bieten sie Wirtschaftsflüchtlingen nichts, was sie davon abhalten könnte, sofort noch mal in die Boote zu steigen."

Die Reaktionen auf den Schily-Vorstoß machen einmal wieder den mangelnden Willen aller EU-Regierungen deutlich, der ständig steigenden Zuwanderung Illegaler einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Deren laxe Haltung führt dazu, daß skrupellose Schleuser die Einreise von Zuwanderungswilligen letztlich erzwingen können.

Das Recht des Staates auf Kontrolle der Zuwanderung

Einmal in Europa angekommen, wird es sehr schwierig, diese Klientel wieder außer Landes zu bringen. Das liegt einmal daran, daß Zuwanderungslobbyisten - die in Deutschland von linksradikalen Gruppierungen, die von "Bleiberechtskämpfen" schwadronieren, bis hin zu kirchlichen Initiativen reichen - das Recht des Staates auf Kontrolle der Zuwanderung in Frage oder grundsätzlich in Abrede stellen.

Hinzu kommt, darauf wies Thomas Scheen in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hin, "daß die Herkunftsländer der potentiellen Zuwanderer kein Interesse daran haben, den Zustrom zu begrenzen und ihre Landsleute zu einem Verbleib im Heimatland zu bewegen". Das pure Gegenteil sei der Fall. Emigranten seien heute in diesen Staaten ein wichtiger Wirtschaftsfaktor: "Durch ihre Überweisungen in die Heimatländer", so Scheen, "leisten sie einen wichtige Beitrag zur Linderung der wirtschaftlichen Not in ihren Heimatländern."

Daß das Problem der illegalen Zuwanderung seit 1990 virulent ist, darauf macht unter anderem Stefan Luft, derzeit Sprecher des Bremer Senators für Wirtschaft und Häfen, in seinem Buch "Ausländerpolitik in Deutschland" (2003, 2. Auflage) aufmerksam: "Die Nachfolgestaaten der Sowjetunion wie die ehemaligen Satellitenstaaten bieten in ihrer instabilen Situation und der Anfälligkeit für Korruption in vielfältiger Weise beste Voraussetzungen für die Aktivitäten von Schleusern." In aller Deutlichkeit stellt Luft fest: "Von entscheidender Bedeutung für die illegale Zuwanderung sind soziale Netzwerke von bereits zugewanderten Landsleuten." Die Motive der Illegalen, nach Deutschland zu kommen, reichten von der Arbeitssuche über kriminelle Aktivitäten bis hin zum illegalen Zuzug zu bereits in Deutschland lebenden Freunden oder Verwandten. Hinzu kämen "rechtskräftig abgelehnte, ausreisepflichtige Asylbewerber", die untertauchten. Hauptherkunftsgebiete der nach Deutschland eingesickerten Illegalen, die auf 1,5 bis zwei Millionen geschätzt werden, seien die Türkei, der Irak, Ex-Jugoslawien und Rumänien.

Wie die Nachrichten tagtäglich bestätigen, bedienen sich immer mehr Zuwanderungswillige der Dienste professioneller Schlepper, die sie gegen horrende Summen nach Europa transportieren. Das lukrative Schleusungsgeschäft befindet sich heute in den Händen der organisierten Kriminalität. Der Kriminologe Eric Minthe nennt in einem Beitrag unter anderem die chinesischen Triaden, die italienische Mafia und Kosovo-Albaner als Drahtzieher. Sie alle seien durch ein hohes Maß an Abschottung gekennzeichnet, sprich: das Eindringen von verdeckt operierenden Ermittlern ist so gut wie unmöglich. Die Einnahmen aus dem Schleusungsgeschäft übersteigen inzwischen die aus dem Rauschgiftgeschäft. Minthe zufolge sollen jährlich bis zu zehn Milliarden Euro verdient werden. Haupteinfallstore nach Europa sind derzeit Tschechien und der Mittelmeerraum.

Wer es bis nach Deutschland geschafft hat, darf damit rechnen, ein Daueraufenthaltsrecht zu bekommen. "Wer verläßt denn unser Land noch?" klagt Klaus Röchert, Leiter der "Arbeitsgruppe Ausländer" der Berliner Polizei in Kreuzberg/Neukölln in einem Interview, das bei Luft zitiert ist. "Also, wer nicht ganz dumm ist, wird und braucht Deutschland nie mehr zu verlassen." Hier zeigt sich das Grunddilemma, auf das der bereits zitierte Luft aufmerksam macht: Humanitäre Verpflichtungen, internationales Seerecht, ausländerrechtliche Vorschriften und mangelnder politischer Wille bilden ein undurchdringliches Dickicht, in dem jede Initiative, die in deutschem Interesse wäre, scheitert. Das weitere Schicksal des wichtigen Vorstoßes von Otto Schily dürfte damit vorgezeichnet sein.

Foto: Illegale im bewachten Einwanderungszentrum in Agrigento/Sizilien: Ein wichtiger Wirtschaftsfaktor


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