© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/04 27. August 2004

"Ich habe das als menschenverachtend empfunden"
Interview: Der niedersächsische SPD-Kommunalpolitiker Jürgen Schulz forderte einen fairen Umgang mit Martin Hohmann - und flog aus seiner Partei
Moritz Schwarz

Herr Schulz, Sie sind als der "Fall Hohmann der SPD" bekannt geworden (JF 18/04).

Schulz: Als ich hörte, daß ein gewisser Martin Hohmann "die Juden" als "Tätervolk" bezeichnet haben soll, konnte ich das nicht glauben! Deshalb habe ich mir die Rede besorgt und festgestellt, daß er das gar nicht gesagt hat. Damit hatte ich den Beweis, daß Medien und Politik ihre Sorgfaltspflicht nicht eingehalten haben. Also schrieb ich einen Leserbrief, in dem ich dieses anhand von Zitaten nachwies und schlußfolgernd bemängelte: "Politiker und Medienvertreter sind nicht in der Lage, die nach dem Krieg eingeübte Büßerhaltung gegenüber dem Ausland und insbesondere gegenüber den Juden abzulegen". Dieser Leserbrief wurde von der Presse nicht abgedruckt. Ich habe ihn dann aber noch meiner Landtags- und meiner Bundestagsabgeordneten geschickt. Doch statt einer Auseinandersetzung mit meiner Kritik erhielt ich einen äußerst unverschämten Brief des SPD-Landesgeschäftsführers aus Hannover mit einer Zwei-Tages-Frist, um mich zu äußern, und es wurde mir nahegelegt, die Partei zu verlassen.

Sie waren nicht wirklich überrascht?

Schulz: Doch, natürlich! Aber ich habe nicht klein beigegeben. So geht man nicht miteinander um, erst recht nicht in einer Partei wie der SPD, die Werte wie Demokratie, Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität auf ihren Schild geschrieben hat. Ich habe mich über diesen Umgang per Fax bei der Parteizentrale in Berlin beschwert. Doch habe ich von dort keine Resonanz erhalten. Nach zwei Tagen wurde mir vielmehr aus Hannover mitgeteilt, daß der SPD-Vorstand einen Antrag an die Schiedskommission gestellt hat, mich aus der SPD auszuschließen.

Hat man nicht zunächst einmal mit Ihnen darüber gesprochen?

Schulz: Die Landtagsabgeordnete Silvia Seeler hatte augenscheinlich Angst vor einem Gespräch mit mir und hat meinen Leserbrief schnell nach Hannover geschickt und ist darauf auch jetzt noch stolz. Damit hatte ich keine Gelegenheit mehr, offiziell mit meinen Buchholzer Genossen darüber zu sprechen, denn an Parteiversammlungen durfte ich nicht mehr teilnehmen. So stellte sich die Meinungsfreiheit in der SPD Buchholz dar! Man brauchte ein Bauernopfer, um nicht wieder in die Schlagzeilen der Presse zu geraten. Dieses Vorgehen habe ich als menschenverachtend empfunden.

Ein starkes Wort.

Schulz: Aber das trifft meiner Meinung nach die Situation. Einen altgedienten Genossen nach über vierzig Jahren Parteizugehörigkeit so zu behandeln, als hätte sein persönlicher Einsatz für die SPD - Delegierter in Bremen und Ratsherr in Buchholz - keinerlei Wert, ist einer demokratischen Partei unwürdig. Und wo bleibt da die Gleichbehandlung? Was darf sich Lafontaine - in meinen Augen ein Deserteur - im Gegensatz zu mir noch alles leisten, ehe er aus der Partei ausgeschlossen wird?

Das Nachrichtenmagazin "Focus" berichtete über Ihr Ausschlußverfahren und warf Ihnen vor, schon früher durch "fremdenfeindliche Äußerungen" aufgefallen zu sein.

Schulz: Diese Medienkampagne war ein Imageschaden für die SPD, und man hat das auch mit als Begründung für meinen Parteiausschluß herangezogen. Auslöser dieses Schadens für die SPD war jedoch nicht ich, sondern der Informant des Focus. Ich habe die Parteizentrale in Berlin vor der sich anbahnenden Medienkampagne gewarnt, aber wiederum keine Antwort erhalten. Man hat mir später diese Warnungen vielmehr als Erpressung ausgelegt. Wegen der angeblichen "fremdenfeindlichen Äußerungen" habe ich den dafür verantwortlichen Hamburger Focus-Redakteur gefragt, was ich wann und wo gesagt haben soll. Seine Antwort war, das wisse er nicht, seine Informanten hätten ihm das so mitgeteilt, und die wolle er nicht preisgeben. Nachdem ich vergeblich den Focus um Gegendarstellung ersucht und mich beim Deutschen Presserat beschwert habe, hat man dann wohl den Informanten aufgefordert, diese Behauptung zu belegen. Da sind dann plötzlich einige uralte E-Mails von mir aufgetaucht, wie etwa eine, in der ich davor gewarnt habe, Wertsachen in Autos liegenzulassen, weil diese in letzter Zeit vermehrt aufgebrochen wurden und zwar von, wie ich geschrieben habe, "vermutlich osteuropäischen Banden".

Wurde Ihnen diese Bemerkung bereits beim ursprünglichen Verschicken der Nachricht als "fremdenfeindlich" vorgeworfen?

Schulz: Nein, erst jetzt im Zusammenhang mit meiner Kritik am Focus.

Haben Sie vor Ihrem Parteiausschluß nicht auch Unterstützung erfahren?

Schulz: Doch, von einigen mir bis dahin Unbekannten, aber auch von Mitgliedern der Buchholzer SPD. Ein Genosse aus Buchholz hat gegen meine Behandlung in verschiedenen Schreiben an die Funktionsträger in Buchholz und Hannover erfolglos protestiert. Seine Frau ist aufgrund dieser Ereignisse gleich aus der SPD ausgetreten. Er selbst wollte nicht mehr im Buchholzer Ortsverein bleiben, sondern dem Ortsverein Harburg-Süd beitreten. Der dortige Parteivorsitzende hat das aber abgelehnt. Daraufhin hat auch dieser Genosse sein Parteibuch nach Berlin geschickt. Auch dieses Verhalten wirft man mir vor und begründet auch damit meinen Ausschluß. Interessant ist für mich auch das Unverständnis für das Vorgehen gegen mich, das führende SPD-Mitglieder in Bremen, unter ihnen auch der ehemalige Bürgermeister und stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Hans Koschnik, geäußert haben sollen. Stolz bin ich auch auf eine Äußerung eines Genossen: "Jürgen, Du bist der letzte aufrechte Genosse der SPD in Buchholz."

Glauben Sie, daß die Verantwortlichen wirklich davon überzeugt sind, daß Sie ein Antisemit sind?

Schulz: Nein, sicherlich nicht. Das ist nichts weiter als vorauseilender Gehorsam gegenüber der Political Correctness. Im übrigen habe ich mich schon als junger Mann mit den Verbrechen des Nationalsozialismus beschäftigt und sechs Konzentrationslager - auch Auschwitz - aufgesucht, um zu sehen, was dort passiert ist und was diesen Menschen angetan worden ist. Außerdem war mein Großvater Jude und Mitarbeiter der Jüdischen Gemeinde, mein Großcousin wurde von der SA in Berlin ermordet, meine Großtante kam in Riga im KZ um. Meine Mutter erhielt als Kindergärtnerin Berufsverbot. Und da will mir jemand wirklich unterstellen, ich wolle die NS-Verbrechen relativieren? Absurd! Ich halte vielmehr das Verhalten vieler Politiker und Vertreter von jüdischen Organisationen für das Erstarken des Antisemitismus mitverantwortlich. Die Juden Norman Finkelstein und Rafael Seligmann haben sich eindeutig dazu geäußert.

Wie verstehen Sie denn Hohmanns Rede?

Schulz: Wissen Sie, ich bin kein Parteigänger Hohmanns, und ich sehe auch in seiner Rede bezüglich der Juden, die ihrem Glauben abgeschworen haben, eine gewisse Unlogik. Auch fühle ich mich als "Gottloser" von ihm zu Unrecht angegriffen. Aber ich bin empört, wie in diesem Fall Herr Hohmann so zu Unrecht von Politik und Presse unter Mißachtung der Sorgfaltspflicht niedergemacht wird. Für mich zeugt auch die Aussage des niedersächsischen SPD-Vorsitzenden, "Wer in der Rede Hohmanns Wahrheiten sieht, verstößt gegen die Grundsätze der Menschlichkeit", als Argument für meinen Parteiausschluß von einer gewissen Hilflosigkeit. Hohmanns Erklärungsversuch, daß die Deutschen kein Tätervolk sind, finde ich richtig. Für mich ist es unverständlich, daß Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrates der Juden, in Deutschland in seinem Buch "Was ist koscher? Jüdischer Glaube, Jüdisches Leben" ungestraft von den Deutschen als "Tätervolk" und Deutschland als "Land der Mörder" schreiben darf. Niemand hat protestiert, im Gegenteil, das Buch wurde gelobt.

Was muß Ihrer Meinung in Deutschland in dieser Hinsicht geschehen?

Schulz: Es ist wirklich an der Zeit, daß auch wir Deutsche endlich dazu kommen müssen, ehrlich und offen über unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu sprechen. Hierzu sehe ich verschiedene Ansätze, wie die Bücher "Die Vertreibung" von Peter Glotz oder "Der Brand" von Jörg Friedrich. Auch Aussagen wie "Wenn wir nicht in der Lage sind, um unsere eigenen Opfer zu trauern, sind wir hartherzig, und niemand wird uns abnehmen, daß wir um die Opfer der anderen trauern können" der CDU-Politikerin und Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, oder "Wenn wir nicht die ganze Wahrheit dokumentieren, bleibt die europäische Geschichte unvollständig" der lettischen EU-Kommissarin Sandra Kalniete weisen in die richtige Richtung. Eine Aufarbeitung auch dieser Seite unserer Vergangenheit, der deutschen Opfer, ist längst überfällig. Bis heute hat sich keiner unserer Politiker getraut, diese Kriegsverbrechen auch nur beim Namen zu nennen. Die britische Seite hat sich bis heute für ihren Mord an den 40.000 Frauen und Kindern in Hamburg durch ihre Bombenangriffe mit dem bezeichnenden Namen "Gomorra" nicht entschuldigt. Unsere Politiker entschuldigen sich dagegen bei ähnlichen Gedenkfeiern der Alliierten gar mit Nachdruck. Der Mord an 110 Greisen und Jugendlichen in Soldin/Neumark durch die Russen findet in Deutschland so gut wie keine Aufmerksamkeit. An der Gedenkfeier vor einiger Zeit zur Einweihung eines Denkmals dort haben polnische Politiker teilgenommen, aber von deutscher Seite ist kein Politiker erschienen.

Sie haben wegen des Umgangs der Medien mit Ihnen und Hohmann den Deutschen Presserat angerufen.

Schulz: Ja, ich habe den Deutschen Presserat auf die Nichteinhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht durch den Focus und die DDP-Presseagentur aufmerksam gemacht. Leider vergeblich, man antwortete mir, der Sachverhalt sei zwar formal falsch beschrieben worden, aber das habe ja nur eine illustrierende Funktion gehabt und sei daher nicht zu beanstanden. Also auch der Deutsche Presserat versucht nur, Schäden zu vermeiden, und bemüht sich nicht um Wahrheitsfindung, wie ich es auch bei den Schiedskommissionen der SPD feststellen mußte. Ich habe mich nun beim Trägerverein des Presserates beschwert, der am 21. September tagen wird. Ich bin gespannt, wie man dort über die Nichteinhaltung des selbst erstellten Pressekodex urteilen wird!

 

Jürgen Schulz, Jahrgang 1934, Diplom-Ingenieur, war von 1959 bis April 2004 SPD-Mitglied und zwei Jahre für seine Partei Gemeinderat der niedersächsischen Stadt Buchholz.

Martin Hohmann (Foto) Jürgen Schulz (Foto)

 

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