© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/04 23. Juli / 30. Juli 2004

Neue Technologien: DNA als Werkstoff in der Nanotechnik
Ungeborenes Leben in Legosteine verwandelt
Angelika Willig

Nun wird sich zeigen, ob der "Lebensschutz" seiner Aufgabe gerecht wird. Bisher hatte man dort sein Augenmerk nur auf das menschliche Dasein gerichtet, doch der Generalangriff auf das Leben kommt aus einer ganz anderen Ecke. Ohne jeglichen Respekt beginnen die neuen Biophysiker damit, die DNA als wohlfeilen Klebstoff für ihre Nano-Maschinen zu mißbrauchen. Die DNA im Zellkern hat die Aufgabe, Erbinformation zu speichern und weiterzugeben. Das betrifft nicht nur die geschlechtliche wie ungeschlechtliche Vermehrung. Auch zum Ablesen der Erbinformation öffnet sich der Doppelstrang an entsprechender Stelle, um komplementäre Basen vorübergehend anzulagern. Diese erstaunliche Fähigkeit des Kopierens war es auch, die 1953 zur Entdeckung der Doppelhelix-Struktur führte, mit der man dies Verhalten sehr gut erklären kann. Die DNA ist also dafür gemacht, sich fortzupflanzen.

Und ausgerechnet diese wunderbare Gabe nutzen nun die Nanotechniker, um ihre klitzekleinen, aber letztlich primitiven Maschinen zu zimmern - zum Beispiel einen Greifarm, der Gerinsel im Blut packen und auflösen kann. Endziel ist das Bauen mit einzelnen Molekülen, die wie Legosteine gehandhabt werden. Auf jedem Legostein sitzen, wenn wir uns recht erinnern, kleine Noppen, die genau aneinander passen. Ähnlich ist das mit den chemischen Bindungen zwischen den DNA-Molekülen.

Größenmäßig findet Molekularbiologie also immer im Nanobereich statt. Die Makromoleküle, die man in der organischen Chemie findet, sind etwa 10 Nanometer groß, wobei ein Nanometer ein Millionstel Millimeter ist. Doch diese unvorstellbaren Größen - ähnlich unvorstellbar wie die Lichtjahre zwischen den Gestirnen - brauchten solange kaum zu interessieren, wie der menschliche Geist nicht vorhatte, dort aktiv tätig zu werden. Das hat sich inzwischen geändert. Wie man im Weltraum agiert, so öffnet sich auch ein "gigantischer" Nanokosmos - nur mit dem Unterschied, daß im Weltraum vorläufig nicht viel los ist, während der Nanobereich unter veränderter Perspektive alle Schätze der Erde noch einmal umfaßt. Um sie zu nutzen, braucht man Miniwerkzeuge, mit denen schließlich auch die sieben Zwerge jeden Morgen zur Arbeit marschierten.

Das finden wir lieb und putzig, nur warum muß man ausgerechnet den magischen Urstoff zum Alleskleber erniedrigen? Immerhin einen Trost haben uns die Forscher gelassen: Eines Tages sollen sich diese Maschinchen selbst reproduzieren und die DNA wieder zu ihrer echten Bestimmung bringen. Genau diesen Augenblick fürchten allerdings die Skeptiker. Dann nämlich könnte das dienstbare Nanoreich den Aufstand proben und uns mit Nanopanzern und Nanoflugzeugen überschwemmen. Der Angriff der Bakterien bietet nur einen Vorgeschmack auf diesen künftigen "Krieg der Zwerge".


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