© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/04 09. Juli 2004

Unterschreiben gegen den Senat
Berlin: Mit einem Volksbegehren wollen die Gewerkschaft der Polizei und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft den Weg für Neuwahlen freimachen
Ronald Gläser

Es brodelt in Berlin. Die Tage des rot-roten Senats könnten vielleicht bald gezählt sein. In der Stadt läuft ein Volksbegehren der Polizeigewerkschaft mit dem Ziel, Neuwahlen herbeizuführen. Nach Angaben der Initiatoren sind mittlerweile über 10.000 der 50.000 notwendigen Unterschriften zusammen.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin, Eberhard Schönberg, sprach von vielversprechenden Reaktionen der Bürger. "Ich bin über das positive Echo bei den Berlinern doch sehr überrascht", sagte Schönberg nach den ersten öffentlichen Sammelaktionen. Wenn in vier Wochen die Sommerferien zu Ende gehen, will die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) der GdP sekundieren. Vorher wolle sie ihre Mitglieder nicht aktivieren, weil solche Aktivitäten in der Ferienzeit verpuffen würden, sagte der GEW-Chef von Berlin, Ulrich Thöne.

Zu den beiden DGB-Gewerkschaften gesellen sich noch das Linksbündnis "Volksbegehren für Neuwahlen in Berlin" und der deutsche Beamtenbund. Seit dem Frühjahr liefen die Vorbereitungen für das Projekt "Abwahl des Senats". Ende März trafen sich Vertreter vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), GdP und GEW im Kulturhaus in Berlin-Karlshorst und diskutierten das Vorgehen. Unmittelbar zuvor war der neueste Sparhaushalt verabschiedet worden, auf den die Gewerkschaftsbasis mit Wut regierte. Der Berliner GEW-Thöne sagte damals: "Die falsche Richtung des Senats muß gestoppt werden. Je eher wir diesen Senat ablösen, desto besser."

Klaus Eisenreich, der GdP-Geschäftsführer, schloß sich Thöne an und sagte, die "asoziale Politik" des Senats müsse mit Machtverlust bestraft werden. Anwesende DGB-Vertreter gaben sich dagegen jedoch bedeckt. Inzwischen ist klar: Weder der DGB noch die Elefanten IG Metall und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi beteiligen sich an dem Volksbegehren. Es sind nur die beiden kleinen Gewerkschaften GEW und GdP, die gegen den roten Senat vorgehen. Vor allem sie vertreten Mitglieder, die im Landesdienst stehen und von dem Sparzwang unmittelbar betroffen sind. Die großen Einzelgewerkschaften konzentrieren dagegen ihr Feuer auf die Bundespolitik und schonen die linke Landesregierung. Der DGB beläßt es bei lautstarker Kritik. So äußerte der DGB-Landesvorsitzende Dieter Scholz, daß die Zustimmung der Berliner SPD zur Agenda 2010 das größte Manko der Partei sei. Wörtlich sagte er: "Berlin ist das Opfer dieser Steuer- und Arbeitsmarktpolitik. Und die heulen mit den Wölfen. Das kann doch wohl nicht wahr sein."

Die so Gescholtenen bemühen sich um das Wohlwollen des DGB. Berlins neuer SPD-Chef Michael Müller forderte seine Genossen im Bund auf, einen Schritt auf die Gewerkschaften zuzugehen. Zudem fordert Müller, daß der Staat und die Gewerkschaften arbeitsmarktpolitische Programme entwickeln sollen. Ihm schloß sich der Berliner PDS-Chef Stefan Liebich an, der ein Beschäftigungsprogramm des Landes forderte.

Uniformverbot für die protestierenden Polizisten

Beim Senat liegen die Nerven wegen des Volksbegehrens offenbar blank. Die Innenverwaltung hat nun allen Polizisten untersagt, in ihrer Uniform Unterschriften für das Volksbegehren zu sammeln. Träten sie in Uniform auf, so käme dies einer politischen Meinungsäußerung im Amt gleich, argumentiert der Senat. Polizeibeamte seien jedoch zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet. In einer Stellungnahme der GdP heißt dazu, der Vorsitzende Schönberg habe es als "außerordentlich bemerkenswert" bezeichnet, "daß auch die SPD in der Vergangenheit in Wahlkämpfen bei Veranstaltungen keine Probleme damit hatte, daß auch Polizisten in Uniform für ihre parteipolitischen Ziele geworben haben".

Das gleiche gilt für Berlins Feuerwehrleute. Sie dürfen in ihren Diensträumen keine Unterschriften für das Volksbegehren sammeln. Entsprechende Anschläge am Schwarzen Brett sind zu entfernen. Der Senat müsse sich "sehr unsicher fühlen", kommentierte Norbert Böttcher, der Vorsitzende der GdP-Bezirksgruppe Feuerwehr, diese Vorschriften.

Auch auf Gewerkschaftsseite regiert der Zorn die Gemüter. Innerhalb der GEW gab es einen Antrag, Parlamentarier, die den roten Sparbeschlüssen zugestimmt haben, aus den eigenen Reihen auszuschließen. Der Antrag wurde zurückgezogen. Trotzdem legten mehrere Gewerkschaftsmitglieder, die dem Abgeordnetenhaus angehören, ihre Mitgliedschaft in der GEW nieder. Unterstützt wird das Vorhaben "Volksbegehren" der DGB-Gewerkschaften im übrigen auch von rechts. Der Verein "Bürger in Wut" des früheren Vorsitzenden der Bremer Schill-Partei Jan Timke sammelt ebenfalls Unterschriften. Timke sagte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, das Grundrecht auf Sicherheit werde wegen der "Sparwut" des Senats nicht mehr durchgesetzt. Deswegen sei Berlin zur "Hauptstadt der Kriminalität" mutiert.

Falls es wirklich zu Neuwahlen kommen sollte, so hätte eine linke Protestpartei durchaus Chancen auf den Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus. Sollte sie nicht antreten, könnten "Die Grauen" vom Unmut am Wowereit-Senat profitieren. Die Seniorenpartei kam bei der Europawahl berlinweit immerhin auf 3,9 Prozent. Vor allem in vom sozialen Niedergang bedrohten Vierteln West-Berlins erhielten "Die Grauen" mehr als fünf Prozent.

Foto: Unterschriftenlisten für das Volksbegehren kann man auf den Internetseiten der "Bürger in Wut" ( www.buerger-in-wut.de ) und dem "Volksbegehren Soziales Berlin" ( www.volksbegehren-soziales-berlin.de ) erhalten.


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