© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/04 25. Juni 2004

Bundestag
Grabenkrieg um die Erinnerung
Dieter Stein

Am 17. Juni, dem 51. Jahrestag des mitteldeutschen Volksaufstandes von 1953, brachten mehrere Abgeordnete von CDU und CSU einen bemerkenswerten Antrag in den Deutschen Bundestag ein. Die unter Leitung von Günter Nooke, einem der wenigen im Bundestag noch vertretenen DDR-Bürgerrechtler, erarbeitete Beschlußvorlage ("Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland - Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen Diktaturen") berührt einen zentralen deutschen Nerv: Wer hat die Deutungshoheit über die "Erinnerungskultur"?

Nicht erst seit dem legendären "Historikerstreit" von 1986 entbrennt in regelmäßigen Abständen ein von Historikern, aber auch von Publizisten und Politikern geführter Kampf auf dem Feld Geschichtspolitik. Immer wieder neue Brückenköpfe sind umkämpft: Sei es der Begriff der "Singularität", der "Befreiung", der des "Totalitarismus". Dabei wird die über weite Strecken seriöse Zeitgeschichtsforschung, die literarische Beschäftigung mit der Historie immer wieder in eine Bürgerkriegskonstellation hineingezogen, bei der es - mit dem vordergründigen Ziel der Schwächung des politischen Gegners - um eine "Rangfolge" der Opfer geht. Wessen Verbrechen waren "ursprünglicher", welcher Tat ging eine andere voraus, welche Vernichtungstechnik war "fabrikmäßiger" (Vergasen, Erschießen, Verhungernlassen)? Waren die Verbrechen "rechter" Diktaturen (Nationalsozialismus, Faschismus) schwerwiegender als die "linker" Diktaturen (Kommunismus/Sozialismus)? Warum soll verglichen werden und warum nicht?

Beschämender Ausfluß dieses immer noch in unwürdiger Weise fortgeführten Grabenkrieges ist in Deutschland die stiefmütterliche Behandlung der Opfer der SED-Diktatur und des Kommunismus. Gedenkstätten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR müssen um jeden Euro feilschen. In einem erbitterten Kampf müssen sich Historiker in Sachsenhausen, Bautzen, Berlin-Hohenschönhausen, Buchenwald dagegen wehren, daß Stück für Stück die Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Diktatur marginalisiert und verdrängt wird. Überlebende der Gulags und der kommunistischen Vernichtungslager spielen in der öffentlichen Gedenkkultur kaum eine Rolle, während der zeitlich früher abgeschlossene Nationalsozialismus eine erdrückende Präsenz hat.

Im Bundestag wurde der Antrag der Unionsabgeordneten von den Vertretern der rot-grünen Regierungsparteien haßerfüllt zerrissen. Der Vorschlag, Opfern des NS, des Kommunismus, aber auch von Vertreibung und Bombenkrieg würdig nebeneinander zu gedenken, wurde als "Relativierung" (Kulturstaatsministerin Christina Weiss), "Revisionismus" (Claudia Roth von den Grünen) verunglimpft. Die Debatte, von der Fraktionsführung kaum unterstützt, fand am Abend des 17. Juni in einer auf eine halbe Stunde begrenzten Redezeit statt. Angela Merkel war nicht mehr anwesend. Nookes Antrag wurde an den Kulturausschuß verwiesen. Die meisten Medien haben zu diesem Vorgang geschwiegen - wir werden weiter berichten.


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