© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/04 18. Juni 2004

Analytisch wie ein Telefonbuch
Hohmann-Skandal: Eine Studie der Fachhochule Fulda über die Rolle der Medien kommt über den Status einer Materialsammlung nicht hinaus
Matthias Bäkermann

Die Rolle der Medien in der "Hohmann-Affäre" wird mit zeitlichem Abstand unaufgeregter und ohne die unmittelbare Hysterie eine kritische Analyse erfahren - so hofften im Herbst 2003 viele tausend Beobachter der journalistischen Hetzjagd auf den CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann. Einige von ihnen gingen in der Initiative "Kritische Solidarität mit Martin Hohmann" des früheren Redaktionsleiters des ZDF-Magazin, Fritz Schenk, sogar in die Offensive und klagten in Anzeigen großer überregionaler Tageszeitungen "die Entwicklung von innerparteilicher Demokratie und Streitkultur" an.

Diese Hoffnung auf eine nüchterne und wissenschaftliche Aufarbeitung scheint sich schneller als erwartet zu erfüllen. Bereits im Wintersemester 2003/2004 befaßte sich ein Seminar des Masterstudiengangs "Iceus" ("Intercultural Communication and European Studies") - der sich laut Werbung der Fachhochschule besonders "für den Einstieg in den höheren Dienst" eigne - im Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften an der Fachhochschule Fulda mit dem Thema "Medienkompetenz". "Mitten in unsere gerade begonnenen Überlegungen und Übungen zum Umgang mit Medien, zu ihren Strukturen und zu ihrer Rolle innerhalb der Gesellschaft platzte am Abend des 30. Oktober 2003 ein politisch, gesellschaftlich wie journalistisch außergewöhnliches Ereignis", beschreibt der Lehrbeauftragte Christoph Witzel den Antrieb, seinen Studenten die Fallstudie Hohmann ans Herz zu legen. Das Resultat, eine 221 Seiten umfassende Arbeit ("Die Hohmann-Affäre und die Rolle der Medien"), kann nun auf der Internetseite www.fh-fulda-iceus.de  aufgerufen und ausgedruckt werden.

Soviel sei vorausgeschickt: Das Versprechen einer kritischen Analyse der Presseberichterstattung wird in der Arbeit mit akademischem Anstrich nur insoweit eingelöst, als die "Fehlleistung" der örtlichen Fuldaer Zeitung kritisiert wird, statt eines qualifizierten Redakteurs nur einen freien Mitarbeiter - einen "billigen Freizeit-Schreiber" - zum Termin der Rede am 3. Oktober in die Heimatgemeinde Hohmanns nach Neuhof geschickt zu haben. Am 4. Oktober erschien folglich "nur ein unvollständiger Bericht, ohne daß der skandalöse 'Tätervolk'-Vergleich überhaupt erwähnt wurde". Interessant ist an dieser Kritik am regionalen Presseorgan, daß Witzel, der nach Aussage der "Studiengangsassistentin" Ilka Gersemann als Externer bisher nur einige Iceus-Seminare leiten durfte, sich vor wenigen Jahren selbst als "billiger Freizeit-Schreiber" bei ebendieser Fuldaer Zeitung journalistisch betätigt hatte.

Bei der Lektüre der umfangreichen Seminararbeit wird schnell deutlich, daß der "medienkompetente" Dozent Witzel die Meinungsmache auch besser beherrscht als analytische Methoden der Wissenschaft. Unverblümt stellt er dies sogar seiner Arbeit voran und begründet diese Stoßrichtung damit, daß aufgrund der Struktur der Seminaristen in dem Studiengang - achtzig Prozent sind nicht-deutscher Herkunft - die Vermittlung eines "unverstellten Blickes auf die deutsche Medienlandschaft" die wertvollste Aufgabe des Seminars sei. Als besonders interessanten Aspekt hebt Witzel heraus, daß mit dem Thema gleichzeitig "interessante An- und Einsichten junger Menschen zum Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte allgemein, besonders aber mit dem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, dem Holocaust, befördert" werden können.

Und so werden die vielen Studenten mit Migrationshintergrund im von Professor Volker Hinnenkamp betreuten Studiengang mit der wohlklingend anglisierten Bezeichnung von Witzel auch gleich auf das richtige Gleis gestellt. Den "Tätervolk-Vergleich" des Fuldaer Abgeordneten Hohmann stellt der "medienkompetente" Dozent in der Einleitung der von ihm geleiteten Arbeit präjudizierend voran. Daß er in einer Fußnote die diese Aussage begleitende Passage aus der Hohmann-Rede präsentiert, wo der CDU-Parlamentarier genau das Gegenteil als Fazit zieht ("Daher sind weder 'die Deutschen' noch 'die Juden' ein Tätervolk"), scheint Witzel nicht zu anderen Einsichten zu führen.

Damit wird der der Hohmann-Affäre eigentlich innewohnende Skandal verkannt. Ähnlich wie die Fuldaer Nachwuchswissenschaftler mit Ausblick auf ein A-13-Gehalt plus Pensionsanspruch haben nämlich auch der Hessische Rundfunk und über die ARD dann auch die "Tagesschau" bzw. "Tagesthemen" das Thema aufbereitet. Das verkürzte Zitieren aus der Hohmann-Rede ("Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase nach der 'Täterschaft' der Juden fragen. Juden waren in großer Anzahl sowohl in der Führungsebene als auch bei den Tscheka-Erschießungskommandos aktiv. Daher könnte man Juden mit einiger Berechtigung als 'Tätervolk' bezeichnen.") leitete nämlich die Affäre ein. Als sich CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer, von ARD-Journalisten mit diesem Zitatausriß konfrontiert, in der "Tagesschau" vom 30. Oktober 2003 reflexhaft distanzierte und das von Hohmann Gesagte als "unerträglich" qualifizierte, war bereits das erste Urteil gesprochen. In der folgenden Hatz, bei der sich Politiker und Printmedien, allen voran die Springer-Blätter Welt und Bild, mit Begriffen von "unsäglich", "empörend" bis hin zu "rechtsextremistisch" überboten, ohne sich auf die Primärquelle zu stützen, wurde dann nur noch politisch vollstreckt.

Wie Fritz Schenk, der in "Der Fall Hohmann. Die Dokumentation" die Affäre analysierte, gegenüber der JF feststellt: "Die gesamte Presse hatte sich auf eine Falschmeldung festgelegt. Später hat sie dann ihr Wächteramt verfehlt, indem sie nicht mehr kontrollierte, wie die Politik mit dieser Falschmeldung umging." So hätte die "Vierte Gewalt" darauf aufmerksam machen müssen, daß Angela Merkel, Jürgen Rüttgers oder Laurenz Meyer lieber ihren Parteifreund Martin Hohmann politisch opferten, statt wegen ihres allzu schnellen Urteils einen Gesichtsverlust in Kauf zu nehmen.

Reine Dokumentation von Zeitungsmeldungen

Nichts davon findet sich in der Arbeit aus Fulda wieder. Die Studenten begnügen sich mit der reinen Dokumentation von Zeitungsmeldungen - und hier neben den überregionalen Blättern wie FAZ, Welt, taz, Frankfurter Rundschau Spiegel, Focus, Zeit und Süddeutsche mit einer Auswahl hessischer Regionalzeitungen. Die kritische Berichterstattung konservativer Wochenzeitungen wird ebenso unberücksichtigt gelassen wie die über 6.200 Unterzeichner starke Initiative Fritz Schenks, die man zumindest in der Darstellung des Verlaufs hätte erwarten können. Natürlich kommt man auf dieser Grundlage am Ende der Arbeit zum gleichen Schluß wie am Anfang. Insofern bleibt die lückenhafte Materialsammlung über eine deutsche Pressekampagne ohne nennenswerte Conclusio.


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