© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/04 11. Juni 2004

Europawahlkampf: Ob klein oder groß - die Parteien verwirren auf ihren Plakaten
Lechts oder Rinks?
Steffen Königer

Daß der Wahlkampf für gewisse Versorgungsposten in Brüssel schon fast keinem mehr ins Auge fällt, nimmt kaum Wunder. Bei jeder Kommunalwahl werden die Plakatplätze heftiger umkämpft. An einer ganz normalen Straßenlaterne können - nach eigener Erfahrung - bis zu zehn doppelseitige Werbetafeln ihren Platz finden. Wie schön übersichtlich läuft dagegen der Europawahlkampf! Eigentlich schade, daß sich nur so wenige am 13. Juni in die Lokale quälen wird - die Werbung hätte es eigentlich verdient. Fast alle Entwürfe sind diesmal nicht nur gnadenlos selten und verwirrend, sondern auch gnadenlos langweilig.

Wie schön war noch der Rundgang durch Berlin während der "Ich-bin-schwul-und-das-ist-gut-so" Kampagne des danach an die Regierung gewählten Partymeisters Klaus Wowereit von 2001. Wirklich jeder Listenheini gleich welcher Partei versuchte, sich daran anzulehnen. Dabei kamen so drollige Plakate wie das der Republikaner mit einer Blondine nebst Sprechblase zustande: "Mein Mann wählt Republikaner, und das ist gut so." In diesem Jahr läßt man sich ganz was Neues einfallen und fordert ultimativ dazu auf, die Abzocker zu stoppen. Nur vergißt man sogar zu erwähnen, wo man dies tun soll. In Villingen-Schwenningen oder in Brüssel? Da freut sich der Betrachter doch richtig, wenn die Partei Bibeltreuer Christen (PBC) Israel für sich entdeckt und heißblütig den kleinen Staat für Gott und die Plakate pachtet.

Den Kleinparteien gebührt hier ein dickes Lob. Sie verschwenden nicht tausendfach - wie sogar die Grünen - Papier für jedes auch noch so unwahrscheinliche Mandat, sondern bringen einfach die alten Plakate der letzten Wahl wieder an den Mast. Doch selbst das kann auch schiefgehen: Auf einem Werbefoto der Familienpartei sitzt ein Kind auf dem Schoß des Bundesparteichefs Dieter Gohlke. "Wir brauchen einander", lautet die Schlagzeile, die dem Potsdamer Stadtverordneten bei den letzten Kommunalwahlen in Brandenburg den grotesken Vorwurf der Pädophilie einbrachte.

Zumindest etwas geschickter geht da die SPD vor. Das einzige, was dieser Partei ein unter-20-Prozent-Desaster ersparen könnte, scheint die Kriegsweigerung Bundeskanzler Schröders zu sein. Und das weidet man bis zum Erbrechen aus. "Im deutschen Interesse" leuchtet es da unter einem goldenen Stern. Aha! Der deutsche Michel wird schon schlucken, daß nur patriotisch ist, wer die Demokratie am Hindukusch gegen die Höhlenterroristen zu verteidigen weiß. Auch rechte Wähler - in der Not frißt der Teufel halt Fliegen - werden mit schwarz-rot-goldenen Plakaten in der Größe eines Möbelwagens zu mobilisieren versucht. Was auf diesem Plakat als störendes Element wahrgenommen wird, sind Phrasen wie "Politik mit Entschlossenheit" und das lästige rote Kästchen der SPD.

Nicht besser sind die Grünen, die durch zahlreiche Anglizismen glänzen. "It's Yourope", droht Straßenkämpe Fischer jedem Beschauer. Da schreckt man förmlich zurück - soll man ihn aus Angst vor der Drohung wählen? Noch verrückter ist das Plakat, mit dem die Grünen endlich mal 'ne Frau ans Ruder lassen wollen. Ergebnis: Der Kahn ist am Absaufen. Kein Wunder, wenn man den Käpt'n gerade gefeuert hat.

Hat jemand was Geistreiches von der FDP vernommen? Die Freidemokraten scheinen nicht so recht motiviert zu sein, mit Siebenmeilenstiefeln nach Brüssel marschieren zu wollen. "Dr. Silvana Koch-Mehrin" soll es reißen, omioräsent grinst sie von den Plakaten. So erklären die Liberalen blau auf gelb kurz, warum. Die Losungen sind altbekannt, die "Vorderfrau" hat man noch nie vorher gesehen, hegt aber die Hoffnung, daß Brüssel sie auch nie zu Gesicht bekommt.

Am surrealistischsten sind jedoch die Plakate vom "Team-Orange" der Union. Warum die Parteifarbe der "Schwarzen" plötzlich und ohne Grund "Orange" geworden ist, soll nichts mit einer blaßrosa gefärbten Parteichefin zu tun haben. Glaubt man den Pressemitteilungen, so sollte damit symbolisiert werden, daß man schließlich nach allen Seite offen sein möchte. Und daher nicht ganz dicht sein kann!

Da sitzt eine Frau einsam und verlassen in einem leeren Regionalzug der Deutschen Bahn und braust durch eine vernebelte Landschaft. Wen wollen die denn damit auf die Schippe nehmen? Die Europäische Union, die Oma, die Bahn, Deutschland oder sich selbst? Fragen über Fragen. Wieso fährt sie allein im Regionalexpreß? Und wohin fährt sie? Zu einem Bridge-Turnier ins Seniorenheim? Weshalb stellt sie ihre Handtasche nicht neben sich ab, wenn der Regionalexpreß schon total leer ist? Vielleicht eine versteckte Kritik an der Ausländerkriminalität? Vielleicht hat sie ja auch Maggie Thatcher zum Vorbild oder deponiert einfach die Schokolade für die Enkelkinder darin.

In Brandenburg hängt aber ein noch viel schöneres Plakat. Auf dem völlig orangen Papier steht lediglich kunterbunt gemischt: Brandenburger. Interessen. Wahrnehmen. Stark. Nirgends CDU, nirgends ein Hinweis auf eine Partei. Der Coup ist zumindest in Berlin gelungen, denn in der Hauptstadt kennen alle die netten Sprüche auf orangem Grund: Hier wirbt die Berliner Stadtreinigung!


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