© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/04 04. Juni 2004

Schluß mit der Leisetreterei
von Werner Olles

Im Mai 2001 besuchte Johannes Paul II. die Omaijaden-Moschee in Damaskus. Christentum und Islam sollten sich "nie wieder als Gemeinschaften im Konflikt, sondern im respektvollen Dialog" begegnen, wünschte er sich vor den versammelten mus-limischen Würdenträgern. Nur vier Monate später wurde diese fromme Hoffnung auf ein Ende der Epoche religiöser Konfrontationen und dem Beginn einer umfassenden Aussöhnung der christlich-abendländischen und der arabisch-islamischen Kultur in den Trümmern des New Yorker World Trade Center begraben.

Der Westen hat diesen Vorgeschmack auf die Machtansprüche einer nichtstaatlichen Gegengewalt bis heute nicht verdaut. Während Islamisten mit terroristischem Trommelfeuer von Afghanistan über Aserbeidschan, Tsche-tschenien, Kaschmir, Palästina und Bosnien bis nach Nigeria und dem Sudan in einem blutigen Konflikt mit der andersgläubigen Welt stehen, demonstrieren gemäßigte Muslime selbstbewußt, daß die Islamisierung Europas nur noch eine Frage der Zeit ist. Längst sprechen nicht mehr nur Populisten von einer wachsenden Radikalisierung der islamischen Bevölkerungsgruppen in Europa. Die Politisierung der Religion durch junge, energische, arabisch sprechende und religiös gebildete Muslime schaffte die Voraussetzungen für eine Bewegung, deren kultureller, politischer, religiöser und finanzieller Einfluß nicht unterschätzt werden darf. Bestimmte Moralvorstellungen und Bekleidungsvorschriften können in diesem Sinne als ein neues, emanzipatorisches Selbstbewußtsein gewertet werden, aber auch als sozialer Protest, in den die Religion radikal und missionarisch hineinspielt.

Die Zeitschrift Ost-West. Europäische Perspektiven berichtete jüngst, daß mus-limische Bewohner von Dagestan, das unter der Gerichtsbarkeit der Russischen Föderation steht, ihr Land kurzerhand zum "islamischen Territorium" erklärt haben. Zur gleichen Zeit als Johannes Paul II. auf dem Assisi-Reli-gionskongreß den Koran küßte, verübten im Sudan und in Nigeria Muslime blutige Massaker an Christen. In der offiziell laizistischen Türkei ist die christliche Religion praktisch ausgerottet, in den letzten drei Jahrzehnten wurden fast fünfhundert Immobilien der griechisch-orthodoxen und über vierzig der armenischen Kirche konfisziert. Noch vor fünfzig Jahren war jeder dritte Einwohner Istanbuls Christ, inzwischen leben in der Millionenstadt noch knapp 80.000 armenische, 2.000 griechische und 12.000 syrisch-orthodoxe Christen, und die Hagia Sophia, die Kirche der göttlichen Weisheit, die tausend Jahre der Mittelpunkt des orthodoxen Christentums war, ist heute ein Museum.

Nordafrika, in den ersten Jahrhunderten n. Chr. blühendes christliches Land, wurde nach der Unterwerfung unter arabische Herrschaft vollständig islamisiert. Noch 1992 fanden in Oberägypten Christenverfolgungen statt, in deren Folge hunderte Christen auf offener Straße abgeschlachtet wurden. Fast siebenhundert Jahre lang war das Land vom christlichen Glauben geprägt, bis das Koptische per Gesetz vom Arabischen abgelöst wurde.

Während die abendländische Zivilisation sich im Herbst ihres Lebens befindet, hat der Islam sein Streben nach Universalherrschaft nachdrücklich erneuert. Seiner unverbrauchten Dynamik steht der Verfall gegenüber.

Damit einher ging die faktische Auslöschung der christlichen Religion bis zur harten Diskriminierung der wenigen übriggebliebenen Christen im modernen Ägypten. Heute hat der Islam in Afrika außerordentliche Missionserfolge, bei gleichzeitigem Rückzug des Christentums. Die religiöse Dimension des weltweiten islamischen Vormarsches bleibt jedoch den Europäern merkwürdig unzugänglich. Wer erinnert sich schon daran, daß die Türken zweimal, 1529 und 1683, vor Wien scheiterten, daß sie 1453 Konstantinopel eroberten und ein muslimisches Großreich gründeten, das Arabien ebenso einschloß wie den Balkan und Ungarn, daß sie 1480 auch Apulien bedrohten, nachdem sie bereits den Orient zugrunde gerichtet hatten?

Seit die abendländische Zivilisation sich im Herbst ihres Lebens befindet und die Reste des Willens zur Dominanz schwinden, hat der Islam sein Streben nach Universalherrschaft nachdrücklich erneuert. Seiner unverbrauchten und ungebrochenen Dynamik stehen die inneren Fäulnis- und Verfallsprozesse des Okzidents gegenüber. Ein stabiles Glaubenssystem ist nirgendwo in Sicht, es herrschen Begriffsleere, Geschichtslosigkeit, Relativismus und Konsumkultur.

Der Islam definiert sich selbst hingegen durch Stärke, Geschlossenheit und Kulturterritorialität. Oswald Spenglers gegen den angelsächsischen Zivilisationsbegriff gerichtetes Kulturverständnis feiert hier seine Restitution: "Das Wesen aller Kultur ist Religion", und "Kultur ist immer gleichbedeutend mit religiöser Gestaltungskraft". Spengler sah auch, daß jede Kultur in ihrer Bestimmung als lebender Organismus die Altersstufen des einzelnen Menschen durchläuft. In diesem Sinne bilden die Zeitalter der Dekadenz, des Verfalls, der Schwäche und Kraftlosigkeit das Grei-sentum einer Kultur. Kulturbiologisch gesehen stehen Europa und das Christentum demnach nicht mehr auf der Höhe einer reifen Kultur, sondern im beginnenden Winter ihres erschöpften Lebens. Diesem erbärmlichen Zustand entspricht auch das Abhandenkommen unserer Bereitschaft zur Selbstverteidigung, was fremden Eindringlingen, die aus jüngeren, kraftvolleren Kulturen kommen, Tür und Tor öffnet.

Der Verlust eines stabilen Glaubenssystems durch die erfolgreiche Auslöschung der christlichen Botschaft aus dem gesellschaftlichen und kulturellen Gedächtnis bedeutet jedoch nicht, daß man der globalen ethnisch-religiösen Tribalisierung durch Wegducken entrinnen kann. Wenn der Kampf der Kulturen ein Stammeskonflikt im Weltmaßstab ist - wofür einiges spricht -, ist es um so wichtiger, sich jenseits der alten Ängste und neuen Vorurteile ein genaues Bild über die kulturellen Grundlagen des Gegners zu machen. Denn während das Christentum seit nahezu fünfhundert Jahren kritisch erforscht wird, was seine Erosion indes nicht verhindert, sondern eher beschleunigt hat, ist unsere Kenntnis über den Islam dürftig. Definieren ihn die zwischen Fortschrittsglauben und Dekadenzbewußt-sein lavierenden Neo-Konservativen im Gefolge Samuel P. Huntingtons kurzerhand neokultura-listisch als "Djihad-Kultur" und rufen angesichts des weltweiten Phänomens einer Resurgenz des Islams bereits die Endzeit aus, gehen die sogenannten "interreligiösen Gespräche" und der ominöse "Dialog der Kulturen" über Platitüden und Binsenwahrheiten kaum hinaus. Darauf haben profunde Islam-Forscher wie Tilman Nagel und Experten wie Peter Scholl-Latour mehrfach hingewiesen, ohne daß dies an der erschreckenden Naivität unserer Dialogisierer etwas geändert hätte.

Nagel verwies unter anderem auf den im Juli 2000 in Weimar veranstalteten Religionsdisput zwischen dem iranischen Staatspräsidenten Chatami und seinen deutschen Gesprächspartnern, darunter einem Islamwissenschaftler. Während der als gemäßigt geltende Chatami darauf hinwies, daß in einem religiösen Dialog die Wahrheit das Entscheidende sei und dies für Muslime nur der in ihrer Kultur wurzelnde Islam sein könne, beharrten die Europäer darauf, daß Kulturen nicht auf der Wahrheit, sondern auf gemeinsamen Werten beruhen. Daß diese jedoch für einen gläubigen Muslim allein in der durch den Propheten Mohammed überbrachten Botschaft Gottes liegen, kam ihnen nicht in den Sinn.

Europa muß sich mit (bis jetzt) zwei islamischen Staatswesen auf dem Balkan, Albanien und Bosnien, abfinden. Und Millionen von Mohammedanern, die als Armutsflüchtlinge oder Arbeitssuchende in unsere Länder kommen, verschärfen die bereits bestehenden Konflikte, weil wir weder gewillt noch fähig sind, diesen militanten Minderheiten einen restriktiven Toleranzrahmen aufzuerlegen, während andererseits die andauernde Diskriminierung christlicher Minderheiten in islamischen Staaten mit Rücksicht auf wirtschaftliche und geostrategische Interessen oder aus purer Feigheit hingenommen wird.

So zieht in Saudi-Arabien das Tragen eines Kreuzes oder der Besitz einer Bibel schwerste Strafen nach sich, das Feiern einer katholischen Messe wird gar mit dem Tode bestraft. Dies zu thematisieren gilt jedoch als politisch nicht korrekt. In multikultureller Beschaulichkeit werden künstlich Harmonien hergestellt, wo keine sind, die Unterschiede zwischen den Religionen gesinnungsethisch übertüncht und kulturalistisch jeder Unfug nachgeplappert, den muslimische Funktionäre im Bewußtsein, daß die Islamisierung Europas nur eine Frage der Zeit ist, von sich geben.

Tatsächlich wäre es jedoch an der Zeit, zwischen der romantisch-ästhetisch fundierten Islam-Verehrung einer Annemarie Schimmel und den blindwütig-geifernden Haßtiraden einer Oriana Fallaci zu einer vernunftgemäßen Analyse der islamischen Herausforderung zu kommen.

Leisetreterei und anbiederndes Gerede - so sei das türkische Reich toleranter als das Christentum gewesen, wovon die christlich-orthodoxen Armenier und die assyro-aramäischen christlichen Gemeinschaften leider nichts merkten, als zwischen 1915 und 1918 zwei Millionen von ihnen einem Völkermord zum Opfer fielen - bringen nichts angesichts einer Kultur, die sich gegenüber der modernen atheistischen Welt als Verteidiger und Vorkämpfer des wahren Glaubens versteht. Tatsächlich heißt "Islam" nämlich Gottvertrauen beziehungsweise Hinwendung zu Gott, und nicht, wie uns gemäßigte Muslime gern erzählen, Frieden. Die Ungläubigen sind hingegen das genaue Gegenteil der Muslime, und für sie gilt: "Gott verfluche sie! Wie können sie sich nur so von der Wahrheit abbringen lassen!" (Sure 9,30).

Es ist an der Zeit, zwischen der romantisch verklärten Islam-Verehrung einer Annemarie Schimmel und den blindwütig-geifernden Haßtiraden der Oriana Fallaci zu einer präzisen Analyse des modernen Islam zu kommen.

Das von Muslimen oft ins Spiel gebrachte Argument, Sure 2, Vers 256: "Im praktizierten Glauben gibt es keinen Zwang" sei der Beweis religiöser Toleranz, weil hier klar zum Ausdruck komme, daß niemand zum Islam gezwungen werden dürfe, ist insofern nicht richtig, da es gerade nicht heißt, "es gibt keinen Zwang zum Glauben", sondern damit lediglich verschiedene Formen der Hinwendung zu Gott innerhalb des Islams gemeint sind.

Da Gott laut Sure 3, Vers 110 den Muslimen zu verstehen gegeben hat: "Ihr seid die beste Gemeinschaft (um-ma), die je den Menschen gestiftet wurde. Ihr befehlt, was zu billigen ist, verbietet, was abscheulich ist und glaubt an Gott. Würden auch die Schriftbesit-zer gläubig, wäre es für sie am besten. Einige von ihnen glauben, doch die meisten von ihnen sind Übeltäter", muß der absolute Wahrheitsanspruch des Islams vor allem gegenüber Christen und Juden erhoben werden.

Für die Anhänger nicht-monotheistischer Religionen ohne Offenbarungsbuch, wie zum Beispiel der animisti-schen Glaubensformen Zentralafrikas, die zudem noch das Pech haben, im "Haus des Islam" zu leben, gibt es dagegen nur die Alternative Zwangsisla-misierung oder Vernichtung.

Letztere wird zur Zeit von arabisch-islamischen Milizen gegenüber den animistischen und christlichen schwarzen Stämmen im Sudan mit äußerster Grausamkeit praktiziert. Gleichzeitig unterbreitet die Deutsche Bischofskonferenz in ihrem "interreligiösen Dialog" einen faulen Kompromiß nach dem anderen und übt den Kniefall vor den Befindlichkeiten praktizierender Mus-limbrüder. Bedarf es noch eines besseren Beweises für die Degeneration des Christentums zu einer beliebigen huma-nitaristischen Philosophie?

Zu den düstersten Kapiteln im Islam gehören die Aussagen über Apostasie und den Umgang mit Frauen. So verlangt das islamische Recht beim Abfall eines Muslims von der Religion oder bei Konversion schwerste Bestrafung, Abtrünnige werden als Hochverräter für vogelfrei erklärt. Bereits im Koran findet sich in Sure 4, Vers 34 die Empfehlung: "Und wenn ihr fürchtet, daß Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!"

Gleichberechtigt sind Frauen weder im Erbrecht, in der Wahl des Ehepartners noch vor Gericht. Delikte wie Unzucht oder Ehebruch werden nach islamischem Recht mit Auspeitschung (bei einer Jungfrau) und Steinigung (bei einer deflorierten Frau) geahndet. Während es in Nigeria dank zahlreicher Proteste gelang, einige Frauen vor derartigen Bestialitäten zu retten, ist die Steinigung im Iran auch heute noch an der Tagesordnung.

Die aktuelle Kraft des Islams liegt jedoch entgegen der Überzeugung vieler Europäer nicht im religiös-politisch fundierten Terrorismus und nicht in seiner militärischen Stärke, sondern primär in der Demographie. Anstatt dies in intellektueller Redlichkeit zu erörtern, wird die Brisanz dieses Problems in postmoderner Beliebigkeit verdrängt. Wenn die auf Dauer in Europa ansässigen Muslime aber nicht bereit sind, ihre Selbst-Ghettoisierung zugunsten eines Euro-Islam (Bassam Tibi) - der auf aktive Missionierung verzichtet und die Historisierung Mohammeds und des Korans leistet - zu beenden, wird das rigide Anziehen eines restriktiven Toleranzrahmens unvermeidlich sein. Leugnen die Verantwortlichen hier das Problem weiter, werden wir mit einem harten Gegenschlag rechnen müssen, für den die gewaltsame Ausbreitung des Islam im siebenten Jahrhundert als warnendes Beispiel steht.

Foto: "Allah ist groß" singen Schulmädchen mit erhobenen Händen auf dem Hof der Schamir-Mädchenschule in Kuwait-Stadt: Die Stärke des Islam liegt nicht primär im politischen Terrorismus, sondern in der Demographie.


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