© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/04 04. Juni 2004

"Zum Grundgesetz zurückkehren"
Enteignungen: Die Präsentation des Paffrath-Buches "Macht und Eigentum" in Berlin geriet zum erneuten Aufruf zur Umkehr zurück in die Rechtsstaatlichkeit
Matthias Bäkermann

Die Räumlichkeiten im Haus der Bundespressekonferenz gegenüber dem Berliner Reichstag sind sicherlich kein alltäglicher Ort für eine Buchpräsentation. Für Constanze Paffraths offizielle und hochkarätig besetzte Vorstellung ihrer Dissertation "Macht und Eigentum" hätte der Kölner Wissenschaftsverlag Böhlau jedoch kaum eine passendere Adresse finden können.

Lange nicht mehr ist ein Sachbuch kurz nach seinem Erscheinen derart zum Politikum geworden wie Paffraths Arbeit von Ende Januar 2004 über die Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 und deren Zementierung nach der deutschen Einheit. Dies dokumentiert zuletzt, daß das Werk der Politikwissenschaftlerin fast ausnahmslos in der überregionalen Presse besprochen wurde - in der FAZ und der Welt kritisch bis abwertend, in der JF (13/04) und der Zeit dagegen positiv. In der Hamburger Wochenzeitung fand die Vorstellung sogar auf der Titelseite und höchstselbst durch den Herausgeber und Chefredakteur Michael Naumann statt. So überraschte es nicht, daß der frühere SPD-Kulturstaatsminister als Laudator für die rheinische CDU-Politikerin Paff-rath auftreten sollte.

Er selbst habe - aus begütertem Hause im sachsen-anhaltinischen Köthen stammend - 1990 mit seinem Bruder auf ihre dortige Gründerzeitvilla ausdrücklich verzichtet, versicherte Naumann. "Es ist alles verloren." Dies sei übrigens auch die Haltung seines Blattes und der damaligen Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff gewesen, entschuldigte sich der Zeit-Chef gegenüber Hermann Otto Solms (FDP). Der als Vizepräsident des Bundestages prominenteste politischer Vertreter hatte das späte publizistische Engagement zu dieser Thematik kritisch angemerkt. Aufmerksam sei Naumann erst durch eine Zeitungskampagne Mitte der neunziger Jahre geworden, in der führende Regierungspolitiker ganz offiziell und scheinbar ohne medienrechtliche Konsequenz der Lüge bezichtigt wurden. Damit sei die fragwürdige Haltung der politischen Verantwortlichen zutage getreten - ganz unabhängig davon, daß seinerzeit immer noch darauf verwiesen wurde, Gorbatschow und Schewardnadse hätten die Beibehaltung der Enteignungen als Unterpfand für ihre Zustimmung zur deutschen Einheit gefordert. Paffraths akribische Arbeit versetze dieser Mär nun endgültig den Todesstoß, deshalb sei ihr getroffenes Resümee "Am Anfang der Einheit stand eine Lüge" leider unumstößlich.

Latente Rechtsunsicherheit verhindert Investitionen

Dieses unterstützt auch der Kölner Völkerrechtler und Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen. "Der Wegfall des sachlichen Differenzierunggrundes", den Kempen durch Paffrath eindeutig belegt sieht, bringe "das gesamte Regelwerk des Restitutionsausschlusses zum Zusammensturz". Diesem verfassungswidrigen Zustand könne das Bundesverfassungsgericht nur abhelfen, wenn es erneut über die Fragen der Bodenreform entscheide. Den bis heute beschrittenen Weg, der auf die fragwürdige Entscheidung des obersten deutschen Gerichtes unter Präsidentschaft des späteren Bundespräsidenten Roman Herzog zurückgeht, stelle einen Rechtszustand dar, der nicht mit dem Grundgesetz übereinstimme.

In der praktischen Umsetzung habe der Gesetzgeber immerhin einen - wenn auch begrenzten - Handlungsspielraum. So könne man sich bei einer künftigen Restitution des enteigneten Grundbesitzes an der 1996 gefundenen Lösung für die Mauergrundstückseigentümer orientieren. Danach haben die früheren Eigentümer oder deren Erben die Möglichkeit, ihre Grundstücke für 25 Prozent des Verkehrswertes zurückzuerwerben. Benötigt der Bund die Grundstücke für eigene öffentliche Zwecke, steht ihnen eine Entschädigung in Höhe von 75 Prozent des Verkehrswertes zu. "Die Neugestaltung ist dringlich", mahnt der Staatsrechtler, insbesondere auch mit Blick auf die diesjährige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg.

"Das legalisierte Unrecht, die staatliche Hehlerei muß überwunden werden - und zwar schnell." Das fordert der international renommierte Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Hankel. Widerholt verweist der frühere Chefökonom der Kreditanstalt für Wiederaufbau und Berater Karl Schillers das etwa hundertköpfige Auditorium aus Politik- und Pressevertretern auf die "sieben Todsünden der Vereinigung", die den heutigen Zustand der mitteldeutschen Wirtschaft mitverursacht hätten. Die latente Rechtsunsicherheit - übrigens ähnlich der Problematik in der Dritten Welt - halte dort Investoren ab oder veranlasse sie zum Weiterziehen in "sicherere" Staaten Osteuropas, mahnt Hankel. Dieser Entwicklung sei aktiv entgegenzutreten - als erstes durch eine Umkehr der Politik und Justiz zur Rechtsstaatlichkeit.


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