© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/04 04. Juni 2004

"Unsere gebärfreudigen Türkinnen"
Türkische Politiker II: Äußerungen von SPD-Kandidat Vural Öger sorgen für Abwechslung und Ärger / Empörung vor allem bei Politikerinnen aus der Union
Felix Menzel

Im Programm der SPD zur Europawahl taucht das Wort Türkei nirgends auf. Um so höheren symbolischen Wert hat die Nominierung Vural Ögers. Obwohl erst vor einem Jahr in die Partei eingetreten, bekam der türkischstämmige Reiseunternehmer auf der bundesweiten EU-Wahlliste der SPD den sicheren zehnten Platz reserviert. In Hamburg ist der 1942 in Ankara geborene Öger gar SPD-Spitzenkandidat. Jetzt sorgte er mit einer unbedachten Bemerkung in der Partei erstmals für Unmut. "Was Sultan Süleyman mit der Belagerung Wiens begonnen hat, werden wir mit unseren kräftigen Männern und geburtenfreudigen Türkinnen verwirklichen", sagte Öger kürzlich bei einem Essen türkischer Unternehmer, zu dem der türkische Pressezar Aydin Dogan in Frankfurt eingeladen hatte.

Die brisante Äußerung wäre wohl nie an die Öffentlichkeit gelangt, hätte nicht das Massenblatt Hürriyet den Satz gedruckt. Ein türkischer Journalist, der mit am Tisch gesessen hatte, kolportierte Ögers Worte über Sultan Süleyman und die gebärfreudigen Türkinnen. Zudem wurde Öger mit der Prognose zitiert, in hundert Jahren werde die deutschstämmige Bevölkerung in der Bundesrepublik in die Minderheit geraten. "Es wird erwartet, daß im Jahre 2100 die Zahl der Türken in Deutschland 35 Millionen und die Zahl der Deutschen 20 Millionen betragen wird." Später korrigierte Öger diese Aussage. Er habe nicht von Türken, sondern von "Menschen ausländischer Herkunft" gesprochen.

Aus dem Hürriyet-Artikel sickerten die umstrittenen Zitate alsbald in die deutschen Medien. Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) brachte einen Kurzbeitrag, das Hamburger Abendblatt titelte "Nur ein Witz? Wirbel um Öger-Äußerungen". Unter der Überschrift "Wirbel um SPD-Politiker: Deutsche Frauen gebärfaul?" brachte das Boulevardblatt Bild die Nachricht verkürzt und unvollständig.

"Ironie und Politik vertragen sich nicht miteinander"

Öger reagierte verunsichert. Seine Bemerkung sei ironisch und witzig gemeint gewesen, versicherte der Politneuling auf Nachfrage des NDR. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich gerade mit Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) auf einer Istanbul-Reise. Den Satz, die Eroberung Sultan Süleymans würde heute durch türkische Bevölkerungsexpansion fortgesetzt, so Öger, habe er scherzend mit Blick auf einen deutschen Historiker geäußert, der den EU-Beitritt der bald 75 Millionen Türken verhindern wolle. Er bedauere, erklärte Öger, daß das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen und mißverstanden worden sei. Aus der SPD-Zentrale und vom Hamburger SPD-Vorsitzenden Olaf Scholz sei er jetzt gewarnt worden, Ironie und Politik vertrügen sich nicht miteinander.

Nervös reagierte Öger besonders auf Vorwürfe, er ziehe Parallelen zwischen der türkischen Einwanderung beziehungsweise demographischen Dynamik und den Versuchen der Osmanen, Europa militärisch zu erobern. Solche Unterstellungen machten ihn "betroffen". Er sei kein türkischer Nationalist, versicherte Öger. Keinesfalls begrüße er eine Überfremdung Deutschlands über eine hohe Geburtenrate eingewanderter Türkinnen. Vielmehr sei er um die Stabilität des Rentensystems besorgt. "Es geht einfach nicht, daß 40 von 100 deutschen Frauen keine Kinder machen, daß unsere Renten in Gefahr sind", so erklärte Öger im "Hamburg Journal" des NDR.

Nicht der "Sultan-Scherz", sondern Ögers Auslassungen zur demographischen Schieflage in Deutschland veranlaßten die Bild-Zeitung zu einer absurden Kampagne. Sie legte Öger die Formulierung "Deutsche Frauen gebärfaul" in den Mund und inszenierte dazu auf der Titelseite empörte Kommentare. Es sei "frauenfeindlich", entrüsteten sich dort SPD- und CDU-Politikerinnen, Frauen auf die Rolle von "Gebärmaschinen" zu reduzieren. Gar als "Schlag ins Gesicht der Frauen in der westlichen Welt" bezeichnete die saarländische CDU-Sozialministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Ögers nachgeschobene Klage über den deutschen Kindermangel.

Knapp zwei Drittel aller Türken unterstützen die SPD

Die wirklich brisanten Aussagen präsentierte Bild erst einen Tag später. Ögers angeblich ironisches Bekenntnis zur demographischen Überlagerung Deutschlands durch "geburtenfreudige Türkinnen" erfuhren die Leser nur zum Teil. Gerade mit Blick auf den möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union könnte das umstrittene Zitat den Ausgang der Europawahl am 13. Juni beeinflussen. Ankaras Drängen nach Europa und auf eine EU-Vollmitgliedschaft wird nach Umfragen vom deutschen Wähler mehrheitlich abgelehnt.

Von der Kandidatur Ögers und anderer Türken weit oben auf der SPD-Liste verspricht sich die Partei von Kanzler Schröder Stimmengewinne bei eingebürgerten Türken. Rund eine halbe Million türkischer Einwanderer besitzen mittlerweile einen deutschen Paß, Jahr für Jahr steigt ihre Zahl um mehr als 50.000. Bei der Bundestagswahl 1998 siegte die rot-grüne Bundesregierung nur dank ihres deutlichen Vorsprungs bei türkischen Wählern. Seit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts 1999 stiegen die Einbürgerungen von Ausländern deutlich an. Waren es bis 1998 stets unter 100.000, sprang die Zahl im Jahr 2000 kurzzeitig auf einen Höchstwert von fast 187.000. Im vergangenen Jahr gab es 140.000 Einbürgerungen, Türken stellten davon bei weitem die größte Gruppe.

Laut einer aktuellen Umfrage des Essener Zentrums für Türkei-Studien unterstützen 57 Prozent der türkischen Neubürger die SPD, ein sehr hoher Zustimmungswert im Gegensatz zum SPD-Umfragetief bei den autochthonen deutschen Wählern. Weit abgeschlagen von den Sozialdemokraten rangieren die Unionsparteien bei eingebürgerten türkischen Wählern mit 18 Prozent.

Die größte Oppositionspartei kommt damit nur knapp vor den Grünen, denen laut der Umfrage 17 Prozent zuneigen. Der Grund für die geringe Zustimmung der eingebürgerten türkischen Wähler zu CDU und CSU liegt wohl nicht an deren christlichen Prägung, sondern am vorläufigen Nein der Unionsparteien zur türkischen Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union.


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