© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/04 28. Mai 2004

Pankraz,
Paul Starobin und der Reiz des Daddy-Staats

Merkwürdig, wie niedlich sich manche Titel auf englisch ausnehmen. "Dawn of the Daddy State" heißt ein Beitrag von Paul Starobin in der neuen Nummer des Atlantic Monthly. Auf deutsch klingt das sehr viel bärbeißiger: "Morgenrot für Väterchen Staat". Oder auch, frei, aber treffend übersetzt: "Wir brauchen einen autoritären Staat". Keine Redaktion hierzulande würde es wagen, einen Artikel mit einer solchen Überschrift zu drucken.

Es geht Starobin um wichtige Dinge. Er kritisiert die US-Regierung George Bush jun., weil sie in ihrer Programmatik lauthals die "Zurückdrängung" des Staates verkündet, in der Praxis ihres "Krieges gegen den Terror" jedoch jede Form von solider Staatlichkeit frech ignoriert, eine Grauzone des unkontrollierten "Antiterrors", der Folter, der Informations-Manipulation und der totalen Ausschnüffelei etabliert. Das, so Starobin, darf man nicht hinnehmen. Wenn schon mehr Staat, dann bitte ein durch Gesetze und öffentlichen Zuspruch ordentlich abgesicherter autoritärer Staat, ein "Daddy-State". Alles andere wäre Diktatur und Willkür.

Starobins Leitbild heißt Thomas Hobbes (1588 bis 1679), der große Staatsdenker der frühen Neuzeit, dessen Bemühen, die vernichtenden Glaubenskriege seiner Epoche zu beenden, in der Konstruktion des "Leviathan" mündete, einer exekutiven Superinstanz, an die die Bürger freiwillig, per Vertrag, ihren politischen Willen delegieren, damit endlich Frieden geschaffen werde und Wohlstand, Kultur und wahre Zivilgesellschaft blühen können. Für Starobin nähern wir uns heute im Zeichen des Terrors mit Riesenschritten wiederum dem Stadium zerreißender Glaubenskriege an. Ein neuer "Leviathan" werde fällig, eben der "Daddy State". Über seine Kontur müsse endlich Klarheit geschaffen werden.

Leider ist der Aufsatz Starobins ziemlich kurz, und der Autor scheint sich über viele Kautelen selber noch nicht klar zu sein. So sehnt er sich am Ende beispielsweise nach einem "globalen Daddy", ohne im geringsten sagen zu können, wie dieser Daddy denn aussehen und wer ihn darstellen soll. USA als "Weltpolizist" kommt nicht in Frage, das sieht auch Starobin. Regionale Interessen sind nie identisch mit "Weltinteressen"; wer sich aus regionaler Tradition heraus anmaßt, Weltpolizist spielen zu wollen, wird zum platten Imperialisten und endet im Desaster, siehe Bush jun.

Schon bei Hobbes lernen wir: Einen "richtigen Glauben", wie ihn Bush jun. zu haben meint und zur globalen Meßlatte machen will, gibt es in der Politik nicht. Das ist ja gerade das Fatale, das führt ja gerade ins Desaster: daß sich gewisse Politiker hüben wie drüben als Glaubenshelden aufführen und aus dieser angemaßten Glaubensgewißheit heraus die Welt kujonieren wollen. Der Leviathan muß glaubenslos sein, das ist seine große Pointe und freilich auch seine Verlegenheit. Die Menschen, alle Menschen, sind gewissermaßen regional gebaut, haben ihre regionalen Interessen und Überzeugungen. Deshalb ist der Leviathan bei Hobbes kein Landtier, sondern ein Ungeheuer aus dem Meer. Er taucht triefend aus den Tiefen des unendlichen Ozeans auf, um die Menschen unter seine strenge, autoritäre Obhut zu nehmen. So hat ihn der Schöpfer der berühmten Titelseite des "Leviathan" in Kupfer gestochen, so kennen wir ihn.

Glücklicherweise hält sich Hobbes nicht sonderlich mit der ozeanischen Abkunft des Leviathan, des Super-Daddy, auf. Dessen Schaumgeborenheit ist für ihn nichts weiter als die Politik schlechthin. Der Leviathan ist Synonym für eine Politik gleichsam ohne Unterleib, er hat keine eigenen Wünsche und keine auf ihn selbst bezogenen Sehnsüchte (mehr). Alles, was er "will", ist, daß das Gemeinwesen, welches die Menschen aus großer Not heraus freiwillig an ihn delegiert haben, in Frieden zusammenhält, daß ein Optimum an Sicherheit, Schaffensfreude und Liberalität in Glaubensdingen hergestellt und auf Dauer gestellt wird. "Mehr" will der Leviathan nicht.

Bei Lichte betrachtet ist er nichts weiter als jener "Diktator", der in der römischen Senatorenrepublik für Not- und Sorgefälle vorgesehen war. Die alten Römer (die freilich nie Glaubenskrieger waren und sich nie um einen Gott stritten) wußten genau, daß auch die schönste Republik immer mal wieder in Situationen hineingerät, wo auch die besten demokratischen Absichten und die raffiniertesten Gesetze nichts mehr nützen, wo einfach "durchgegriffen" werden muß.

Für solche Lagen hatten sie den "Diktator" vorgesehen, einen untadeligen, hochklugen und politikerfahrenen Ruheständler, der sich längst die Hörner abgestoßen hatte und nichts mehr für sich selber wollte. Dieser "Alte Herr", dieser "Daddy", erhielt für einen begrenzten Zeitraum unbegrenzte politische Vollmachten, durfte frei und nach eigenem Gusto entscheiden - um nach vollbrachten Taten ohne Belohnung und still-bescheiden wieder auf sein Landgut zurückzukehren.

Nach einem solchen Daddy, das ist für jeden Leser überdeutlich, sehnt sich Paul Starobin, nur soll dieser Daddy auf keinen Fall George Bush jun. heißen. Er soll vielmehr die Glaubenskrieger jeglicher Couleur in die Schranken weisen, soll ihnen die Faust des Rechtsstaats zeigen, ohne dabei zum wüsten Folterer und Demütiger zu werden, soll die bloßen Schwätzer und Wichtigtuer in den Medien zum Schweigen bringen und den anständigen Kerlen wieder Luft verschaffen. O wie schön wäre es, wenn wir solch einen Daddy hätten!

Viel wäre aber vielleicht schon gewonnen, wenn sich wichtige Teile der momentan maßgebenden Kräfte die verzweifelte Situation, in der wir stecken, hinreichend vor Augen brächten, Atlantic Monthly und sogar den "Leviathan" läsen und sich den berühmten Titelkupfer betrachteten. Moderne Politiker, hört man noch hier und da, sind lernfähig. Man soll die Hoffnung nie aufgeben.


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