© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 23/04 28. Mai 2004

Die Abrechnung eines Generals
Dokumentation: Reinhard Günzels Vortrag über "Das Ethos des Offiziers" und seine Entlassung nach der "Hohmann-Affäre"
Reinhard Günzel

Wenn mir jemand vor ein paar Monaten gesagt hätte, daß es weitaus gefährlicher ist, seine Meinung hier in Deutschland frei zu äußern als - sagen wir - in Rußland, China oder Kuba, dann hätte ich vermutlich nur milde gelächelt. Natürlich hatte man hier und da von den Vorfällen gehört, bei denen gegen Grundrechte verstoßen wurde; aber erstens waren diese Dinge immer sehr weit weg, und zweitens war man absolut sicher, daß die Betroffenen im Klagefall vor unseren Gerichten schon recht bekommen würden. Und selbst da, wo eine Sache nicht strafrechtlich relevant war, würde sicherlich in unserer weit gefächerten Medienlandschaft schon der Ansatz einer moralischen Schieflage sofort wieder geradegerückt werden.

"Diese Dinge haben leider Methode"

Heute weiß ich aus verschiedenen eigenen Erfahrungen, und nachdem ich mich etwas intensiver mit diesen Dingen befaßt habe, daß dies leider eine Illusion war. Es gibt ganz ohne Zweifel Bereiche in diesem angeblich freiesten Staat auf deutschem Boden, die sehr stark an die dunklen Zeiten der deutschen Geschichte erinnern. Und dabei handelt es sich keineswegs um bedauerliche Ausrutscher, nein, diese Dinge haben leider Methode.

Lassen Sie mich an dem sogenannten "Fall Hohmann/Günzel" das Problem der Meinungsfreiheit noch einmal aus meiner Sicht kurz darstellen. Und ich möchte danach diesen Fall zum Aufhänger nehmen, um einige ausgewählte Aspekte aus dem Berufsbild des Offiziers ein wenig genauer zu betrachten.

Ich will zum besseren Verständnis die Vorgänge - soweit sie mich betreffen - noch einmal in aller Kürze rekapitulieren: Ich habe dem Abgeordneten Hohmann in einem persönlichen Brief für die Zusendung seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit gedankt und habe dabei meine Zustimmung zu seinen klaren und mutigen Aussagen zum Ausdruck gebracht.

Dieser Brief ist unter dem Bruch des Briefgeheimnisses durch Reporter des ZDF-Magazins "Frontal 21" veröffentlicht worden.

Der Verteidigungsminister hat mich daraufhin unmittelbar nach Bekanntwerden ohne Ermittlung des Sachverhalts oder vorheriger Anhörung in einer sofort angesetzten Pressekonferenz - sozusagen "fernmündlich" - entlassen, wobei er die Begriffe "verwirrt", "Rausschmiß" und "unehrenhaft" gebrauchte.

Am nächsten Tag wurde mir - für die letzten vier Stunden meiner aktiven Dienstzeit - die Ausübung des Dienstes und das Tragen der Uniform verboten, eine Maßnahme, die üblicherweise nur bei schwersten Dienstpflichtverletzungen und einer damit verbundenen erheblichen Gefährdung der Disziplin verhängt wird.

Während ich im Ministerium auf meine Entlassungsurkunde wartete, erklärte ein Generalstabsoffizier meinem Kraftfahrer, er könne ruhig schon nach Hause fahren, ab 18:30 Uhr habe sein Kommandeur ohnehin keinen Anspruch mehr auf ein Dienstfahrzeug.

Mir wird weiterhin verboten, die Kaserne zu betreten und mich von meinen Männern zu verabschieden. Erst eine Woche später erlaubt man mir, mein Dienstzimmer zu räumen und meine persönlichen Sachen sicherzustellen.

(Ich hätte nie gedacht, daß ich ein so hochgefährlicher Mann wäre, den man wie ein Kontaktgift von seiner Truppe isolieren muß; denn nicht einmal in den finsteren Diktaturen wurde einem Delinquenten dieses letzte "Lebewohl" vor seiner Hinrichtung verwehrt.)

Eine Übergabe der Dienstgeschäfte wird ebenso verboten wie eine offizielle Kommandoübergabe oder gar die übliche Verabschiedung aus der Kommandeurrunde.

Die vom Bundespräsidenten unterzeichnete Entlassungsurkunde enthält nicht die übliche Dankesformel: "Für die dem deutschen Volk geleisteten treuen Dienste spreche ich ihm Dank und Anerkennung aus", obwohl diese Formel nach bisheriger Praxis nur demjenigen verweigert wird, der nach schweren kriminellen Verfehlungen im Zuge eines disziplinargerichtlichen Verfahrens aus der Armee entlassen wurde. Der Bundespräsident ließ mir auf meine Anfrage hin mitteilen, daß der Minister in diesem Falle so entschieden habe und er sich dem habe fügen müssen. Eine bemerkenswerte Feststellung unseres Staatsoberhauptes.

Unmittelbar nach meiner Entlassung wird auf Befehl der Heeresführung in meinen ehemaligen Standorten nachgeforscht, ob dort etwa auf meine Weisung hin Traditionsräume eingerichtet, Patenschaften mit Wehrmachtsverbänden oder ähnliche verbotswidrige oder anrüchige Maßnahmen veranlaßt worden seien. (Ich habe mich dabei unwillkürlich an die sogenannte Kießling-Affäre erinnert, als sich unsere militärische Führung ebenfalls nicht zu schade war, in Sigmaringen nachzuforschen, "ob der General Dr. Kießling als Divisionskommandeur häufiger als üblich das Duschen überprüft habe", um damit die behauptete Homosexualität zu beweisen.)

Nun hat natürlich der Minister gemäß Paragraph 50 Soldatengesetz das Recht, einen Soldaten vom Brigadegeneral an aufwärts auch ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Dies berechtigt ihn jedoch nicht, einen solchen Rechtsakt gewissermaßen zu einer Polit-Veranstaltung zu mißbrauchen, indem er einer ahnungslosen Öffentlichkeit in einer Art "Standgerichtsurteil" den Kopf eines Mannes präsentiert, der lediglich das Pech hatte, als Anhänger des gegnerischen Lagers "geoutet" worden zu sein, bzw. der sich auf ein in Deutschland immer noch hochgefährliches Minenfeld gewagt hatte. Denn - ein Dienstvergehen konnte mir bis heute nicht vorgeworfen werden.

Der neutrale Beobachter wird jetzt natürlich fragen, was denn um alles in der Welt einen Minister zu einer solch wütenden Reaktion - sei sie nun echt oder inszeniert - veranlaßt haben kann. Und die spontane Antwort wird ebenso natürlich lauten: Es war diese antisemitische - oder, wie es später hieß: als antisemitisch empfundene oder schlimmer noch: "diese latent antisemitische" - Rede des Abgeordneten Hohmann! Aber wer auch nur einigermaßen des Lesens fähig ist, und wem der komplette Redetext vorgelegen hat, der wird sofort zugeben müssen, daß diese Rede nicht nur nicht antisemitisch, sondern weit eher philosemitisch ist, wie anhand mehrerer Passagen mühelos nachzuweisen ist. Das einzige, was man Herrn Hohmann - mit leichter Ironie selbstverständlich - vorwerfen könnte, ist, daß er spätestens seit Veröffentlichung der Pisa-Studie grammatikalische Formen wie den Konjunktiv oder gar eine rhetorische Frage bei unserer herrschenden Klasse und wohl auch bei großen Teilen unserer Journalisten nicht mehr als bekannt voraussetzen durfte.

Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Wenn ich meinem sechsjährigen Sohn die Bewegungen der Himmelskörper näherbringen will und zu ihm sage: "Wenn du morgens aus dem Fenster schaust und siehst, wie die Sonne im Osten auf- und abends im Westen wieder untergeht, dann könntest du durchaus zu der Annahme kommen, daß sich die Sonne um die Erde dreht. Aber damit würdest du genau dieselbe falsche Schlußfolgerung ziehen, wie es die Menschen viele tausend Jahre lang getan haben, denn ..." usw. usw. Niemand würde ernsthaft behaupten, ich würde damit das heliozentrische Weltbild in Frage stellen. Genauso hat Hohmann über die Juden im Bolschewismus gesprochen, also mit einem "conjunctivus irrealis". Und er hat - sicherheitshalber - seine Argumentation abgeschlossen mit der überaus klaren und deutlichen Feststellung: "Daher sind weder die Deutschen noch die Juden ein Tätervolk". Es hat Ihm nichts geholfen, denn ein gewisser Herr Sonne stellt in den "Tagesthemen" unwidersprochen fest: "Hohmann nennt Juden Tätervolk!", und 99,9 Prozent unserer Medien stimmen unisono ein und beginnen eine Hexenjagd, die ihresgleichen sucht. Man faßt sich an den Kopf.

"Natürlich bin ich tief getroffen"

Als ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die Tatsache, daß - genau wie in den Hexenprozeß vor vierhundert Jahren - auch hier das Recht außer Kraft gesetzt ist, mag eine Einlassung unseres Innenministers in der Sendung "Christiansen" am 09. Vovember 2003 dienen: Auf die Frage von Frau Christiansen, ob man denn den General Günzel nicht - nach altem römischen Rechtsgrundsatz - fairerweise erst einmal hätte anhören müssen, bevor man den Stab über ihm gebrochen hat, da braust Schily geradezu entrüstet auf und sagt etwa wörtlich: "Da gibt es diese Rede, und da gibt es den Brief dieses Generals - wozu braucht es denn da noch eine Anhörung?" Wohlgemerkt, das sagt ein Mann, der nicht nur das Recht studiert hat und sich als Bundesminister diesem in ganz besonderer Weise verpflichtet fühlen müßte, sondern der selbst als Strafverteidiger peinlich genau auf die minutiöse Einhaltung der Strafprozeßordnung geachtet hat! Aber damals ging es natürlich um das Recht von Terroristen, während hier nur ein deutscher General zur Debatte stand.

Bevor ich selbst in den Strudel der Ereignisse gezogen wurde, habe ich jedem, der die Hohmann-Rede als antisemitisch bezeichnet hat, für den Beweis auch nur einer einzigen solchen Passage ein Monatsgehalt geboten. Ich habe bis heute nicht zahlen müssen; und aus diesem Grund haben wohl auch die etwas intelligenten "Hohmann-Jäger" immer von einer "unerträglichen Rede" gesprochen, vom "Verlassen des demokratischen Bogens" und ähnlichen Seifenblasen. Wenn aber eine "unerträgliche Rede" schon Grund für einen Fraktionsausschluß ist, dann werden unsere Parlamentsstenographen bald arbeitslos sein.

Was aber ist die Ursache für eine solche Psychose, für ein solch pathologisches Verhalten? Was bringt das Volk dazu, seine Identität, sein Selbstwertgefühl, sein natürliches Selbstbewußtsein so vollkommen aufzugeben und nur dann zufrieden zu sein, wenn es mit beiden Händen Asche auf sein Haupt streuen kann? (Wobei das Problem noch dadurch verschärft wird, daß sich ein psychisch Kranker ja immer für gesund, für völlig normal hält und daher nur sehr schwer zu heilen ist.)

Aber daß dieser Patient schwer krank ist, daran besteht kein Zweifel.

In welchem Land der Erde wäre es denn möglich, daß zum Beispiel:

- Pfarrer sich weigern, einen Soldaten in Uniform zu trauen,

- kirchliche Organisationen eine Spende zurückweisen, weil sie von Soldaten erbracht wurde,

- Deserteure glorifiziert werden, während man die Denkmäler für gefallene Soldaten abreißt,

- all das, was deutsche Soldaten zwischen 1939 und 1945 an Mut, Tapferkeit und Opferbereitschaft vollbracht haben, mit Hingabe in den Schmutz gezogen wird,

- Soldaten mit Billigung unseres höchstens Gerichtes als Mörder bezeichnet werden,

- unser Bundespräsident sich weigert, mit dem Schriftzug "Luftwaffe" an seiner Maschine zu fliegen

- oder daß ein 17jähriger, der 1945 seine Panzerfaust auf einen sowjetischen Panzer gerichtet hat, sich noch heute dafür rechtfertigen muß, während ein 25jähriger Student, der Brandsätze auf Polizeifahrzeuge geschleudert hat, der gefeierte Held in unseren Talk-Shows ist und nicht selten in hohe Regierungsämter aufsteigt, um nur wenige Symptome aus dem militärischen Bereich zu nennen.

Ich bin wiederholt gefragt worden, ob ich nun - nach dieser schweren Enttäuschung - nicht quasi vor den Trümmern meines Lebens stehe.

Natürlich bin ich durch all diese Vorgänge tief getroffen. Und auch, wenn ich mir heute sage, daß eine unehrenhafte Behandlung noch längst nicht den Verlust der Ehre bedeutet - viele sagen im Gegenteil: "In dieser Form entlassen worden zu sein, ist geradezu eine Auszeichnung!" - ,so tut es natürlich schon weh, nach knapp 41 Dienstjahren die Armee auf diese Weise verlassen zu müssen, die Armee, die ein Leben lang meine Welt war, mit der ich mich in weiten Teilen identifiziert habe. Aber enttäuscht hat mich das Verhalten des Ministers natürlich nicht. Enttäuscht werden kann man ja nur dann, wenn eine bestimmte Erwartung nicht erfüllt wird. Ich will mich einer persönlichen Wertung enthalten, weil sie mich meine Pension kosten könnte; aber was die Menschen von unseren Politikern halten, läßt sich eindrucksvoll an den Meinungsumfragen ablesen, in denen unsere sogenannten Volksvertreter über Jahre hinweg beharrlich den letzten Tabellenplatz verteidigen. Ausnahmen bestätigen natürlich diese traurige Regel.

Enttäuscht worden bin ich aber durch das Verhalten meiner Vorgesetzten und des überwiegenden Teils meiner vormaligen Kameraden, weil sie all das mit Füßen getreten haben, woran ich ein militärisches Leben lang geglaubt habe. Keiner meiner unmittelbaren Vorgesetzten hat bis zum heutigen Tage ein persönliches Gespräche mit mir geführt oder mich auch nur einer Tasse Kaffee für würdig befunden. Ganze fünf Generäle haben mir ihr Mitgefühl ausgesprochen, und während ich von der "Basis" und den Ehemaligen eine Flut von Sympathiebeweisen erhalten habe - wie übrigens auch aus der gesamten Bevölkerung -, herrschte bei den aktiven Stabsoffizieren überwiegend "Funkstille". Kameraden, mit denen ich seit mehr als dreißig Jahren durch dick und dünn gegangen bin, oder Männer, die mir von jeder Mittelmeerküste einen Urlaubsgruß geschickt haben, konnten sich plötzlich nicht mehr an mich erinnern. Und ganz besonders schmerzlich für mich war es natürlich, solch ein Verhalten bei meinen Fallschirmjägern zu erleben, die ja nicht müde werden, das hohe Lied der Kameradschaft zu singen.

Nun könnte man bei einem jungen Stabsoffizier für eine solche Handlungsweise sogar noch Verständnis haben, wenn man ihm zugute hält, daß er eventuelle Karrierenachteile befürchtet. Wie erklärt man aber eine solche Haltung bei einem Offizier, der seinen letzten Dienstgrad erreicht hat oder kurz vor der Pensionierung steht, dessen Karriere also durchaus überschaubar ist? Und genau daran zeigt sich eben, daß ein solcher über die Jahre gewachsener Haltungsschaden nahezu irreparabel ist, wenn das Rückgrat einmal verborgen ist, läßt es sich kaum noch aufrichten.

Ich will aber auch hier nicht überheblich den Stab brechen, denn: Menschen sind nun einmal in der Masse feige, eine uralte Erkenntnis. Angst und Feigheit sind unsere täglichen, ja, stündlichen Begleiter. Der römische Schriftsteller Sueton hat dies in seinem Werk "De vita Caesarum" so herrlich veranschaulicht mit der ironischen Frage, warum es im Senat immer strahlend hell wurde, wenn Nero den Raum betrat; das lag nicht etwa an der "Lichtgestalt" des römischen Kaisers, sondern daran, daß alle Senatoren sofort in ängstlich devoter Haltung die Köpfe senkten, wodurch sich sie Sonne in den polierten Glatzen spiegelte und den Senat erleuchtete. Und die klugen Senatoren wußten, warum! Denn mit einem solchen Verhalten folgten sie nun einmal - und folgen wir alle - einem der ältesten Gesetze unserer Evolutionsgeschichte, dem Gesetz der Anpassung. Wer sich nicht anpaßt, geht unter, und wir hätten uns niemals vom Einzeller zu einem vernunftbegabten Wesen entwickelt, wenn wir gegen dieses Prinzip verstoßen hätten. Und dies gilt offenbar im biologischen Bereich ebenso wie im sozialen. Andererseits darf man aber gerade von einem Offizier schon erwarten, daß er sein Leben an anderen Maximen ausrichtet als am Überlebensprinzip einer Amöbe.

Aber - dazu muß natürlich erzogen werden. Genauso, wie man einem Soldaten dazu bringen muß, gegen seinen eingeborenen Überlebenstrieb ins Feuer hinein anzugreifen und sein Leben für einen höheren Wert aufs Spiel zu setzen, so kann und muß man auch zu ethisch-moralischen Werten und Verhaltensweisen erziehen. Dies ist leider in der Bundeswehr weitestgehend unterblieben. Ein gewisser Prof. Dr. Thomas Ellwein, vom damaligen Verteidigungsminister Schmidt zum Vorsitzenden einer Kommission berufen, die die Erziehung und Bildung in den Streitkräften neu gestalten sollte, erklärte am 8. Dezember 1970 vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg seine "Vorstellungen über die Offiziersausbildung". Dabei sagte er unter anderem: "Der Soldat muß in erster Linie technokratisch einsetzbar sein. Auf seine moralische Einstellung und Gesinnung kommt es dabei überhaupt nicht an. Wichtig ist, daß er nur das tut, was er tun soll, und keinen Deut mehr."

Man hat also eindeutig - wider besseres Wissen - den geistigen, den fachlichen Leistungen den Vorrang vor den charakterlichen Eigenschaften gegeben, mit dem Ergebnis, das zweifellos beabsichtigt war. Denn es ist natürlich leichter, Schafe zu hüten als Löwen; allerdings hat man mit Löwen etwas mehr Wirkung gegen den Feind. Selbstverständlich hat der Soldat in erster Linie zu gehorchen; aber gerade in der Bundeswehr, die als einziges traditionswürdiges Ereignis der Wehrmacht nur den "20. Juli" gelten läßt, müßte man - insbesondere von unseren höheren Offizieren - etwas mehr geistige Selbständigkeit und Mut zum Widerspruch erwarten dürfen. Und darum ist der Vorwurf meiner Vorgesetzten und Kameraden an mich: "In dieser Position müsse man eben politisch vorsichtiger sein, und wer dieses Gespür nicht habe, der tauge eben nicht zum General", eine Bankrotterklärung unserer Truppenführer.

Und dennoch muß ich dem Offizierskorps ein bißchen Abbitte leisten, weil es für sein Verhalten nur bedingt verantwortlich zu machen ist: die Kameraden sind eben nicht zu charaktervollem Handeln erzogen worden! Eine Armee fällt nicht vom Himmel - sie ist immer das Produkt einer langen und sorgfältigen Erziehung. Und außerdem: wenn "Männerstolz vor Königsthronen" wirklich in der Militärgeschichte die Regel und eben nicht die rühmliche Ausnahme wäre, dann würde man nicht immer wieder den berühmten Oberstleutnant von der Marwitz bemühen, der "Ungnade wählte, wo treues Dienen nicht Ehre brachte."

"Menschen sind nun einmal in der Masse feige"

Schon Bismarck hat sich über das Phänomen gewundert, "daß ein Volk, dessen Soldaten sich so tapfer im Kriege zeigten, über so wenig Zivilcourage verfüge." Aber bei näherer Betrachtung ist dies gar nicht so verwunderlich; denn es ist in der Tat weitaus leichter, im Kriege Tapferkeit zu beweisen, als Zivilcourage im Frieden. Und selbst, wenn es paradox klingen mag: es gehört für einen Vorgesetzten weitaus mehr Mut dazu, auf dem Gefechtsfeld feige zu sein, als seinen Männern beim Angriff voranzustürmen. Außerdem: Einem Leutnant mit Ritterkreuz fliegen die Mädchenherzen zu, während ein Mann mit Zivilcourage in jedem Fall die Mehrheit gegen sich hat.

Nun wäre selbst das noch zu ertragen, nach dem Motto "viel Feind, viel Ehr", wenn es nicht tatsächlich noch viel schlimmer wäre. Denn wer gegen diese herrschende Meinung aufsteht, wird ja nicht als Zeitgenosse verehrt oder gar gefeiert, ganz im Gegenteil: er wird ausgegrenzt, geächtet oder - schlimmer noch: er wird lächerlich gemacht. Denken Sie zum Beispiel an den Generalfeldmarschall von Witzleben, dem man vor dem Volksgerichtshof die Hosenträger abgeschnitten hatte, um ihm seine Würde zu nehmen.

Und eine noch subtilere Form, die bei uns auch perfekt praktiziert wird, ist der Cordon des Schweigens, den man um einen solchen Menschen legt: keine Zeitung, kein Radio, kein Fernsehsender berichtet über ihn; er verfällt - wie im alten Rom - der damnatio memoriae. Es dürfte schwerfallen, auch nur einen einzigen Menschen zu nennen - von Sokrates bis Sophie Scholl -, der schon zu Lebzeiten wegen seiner Zivilcourage anerkannt oder gar respektiert wurde. Und darum setzt Zivilcourage entweder eine schon fast als fanatisch zu bezeichnende Haltung voraus oder aber eine tiefverwurzelte religiöse bzw. ethisch-sittliche Überzeugung, die sich weder dem Zeitgeist beugt noch vor irgendwelchen Nachteilen zurückschreckt. Denn genau dies meinte der Generalmajor Henning von Tresckow mit seinem Wort "Der sittliche Wert eines Menschen beginnt dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben einzusetzen."

Nun gilt dies alles aber leider nur cum grano salis, denn bei dieser Affäre hat sich ja nie die Frage der Zivilcourage gestellt, jedenfalls nicht für das Offizierskorps. Ich hätte niemals von irgendwem verlangt, sich öffentlich zu mir zu bekennen und sich damit möglicherweise zwischen mir und seiner Karriere zu entscheiden. Was ich in aller Bescheidenheit - heute muß ich sagen Naivität - erwartet habe, war ein kleines Zeichen kameradschaftlicher Sympathie in Form eines Telefonanrufes oder eines Briefchens. Um Gottes willen kein öffentliches Bekenntnis - wie zum Beispiel Paul Spiegel in der Friedman-Affäre, als er freimütig erklärte: "Mag er getan haben was er will - er bleibt mein Freund!" Und da ging es immerhin um durchaus ehrenrührige Kriminaldelikte!

Aber ich tue meinen Kameraden schon wieder Unrecht. Wäre ich nämlich ein ganz normaler Straftäter, der, sagen wir, des Drogenhandels angeklagt wäre, das Regimentsilber gestohlen hätte oder eine alte Frau im Vollrausch überfahren hätte, so wäre mir sicherlich kameradschaftliche Zuwendung zuteil geworden. Und ganz sicher hätte sich dann auch einer meiner Vorgesetzten zu einem persönlichen, tröstenden Gespräch bereit gefunden.

Und jetzt sieht man, wie wohldurchdacht das ganze Schauspiel inszeniert war: Günzel war eben kein "normaler Krimineller", er war - viel schlimmer: ein NS-Sympathisant, ein Antisemit! Und wer sich dem nähert oder auch nur seinen Namen nennt, ist ebenfalls gerichtet. Und obwohl all meine Kameraden, die mich seit vielen Jahren kennen, genau wissen, daß ich ebenso antisemitisch bin wie Ben Gurion - diese Lektion haben sie verstanden.

Jetzt kann man natürlich einwenden, daß in diesem Fall, in dem sich große Teile unseres Volkes abnorm verhalten, auch für das Offizierskorps "mildernde Umstände" gelten müssen, und daß daher dieser Fall überhaupt kein Maßstab für das Ethos eines ansonsten untadeligen Offizierskorps sein könne.

Ich wäre der erste, der einem solchen Argument begeistert folgen würde, wenn nicht die Fülle der negativen Beispiele die wenigen positiven um ein Vielfaches überträfen. Und ich darf Ihnen daher aus eigener leidvoller Erfahrung noch einen besonders plakativen Fall schildern: Im Herbst 1997 veröffentlichte SAT.1 das sogenannte "Horrorvideo von Hammelburg" als "Beweis" für die angeblich eklatant ansteigenden Fälle von Rechtsradikalismus in der Bundeswehr. Was war geschehen?

Einige junge Soldaten, die zur Vorbereitung der Balkankontingente über mehrere Wochen als feindliche Soldateska eingesetzt waren, hatten in einer Pause - gewissermaßen in Fortsetzung ihrer Komparsenrolle und wohl aus jugendlichem Übermut - Vergewaltigungs- und Erschießungsszenen dargestellt und mit einer privaten Videokamera gefilmt.

Anstatt nun mit staatsmännischer Gelassenheit den Fall erst einmal aufzuklären, gab Minister Rühe dem Druck der Presse nach und entließ beziehungsweise versetzte nicht nur - ohne jede Aufklärung und Anhörung selbstverständlich - alle auch nur ansatzweise beteiligten oder verantwortlichen Soldaten, sondern auch - vermutlich, um seine besondere Führungsstärke zu demonstrieren - den Kommandeur der 13. Panzergrenadierdivision, den Generalmajor von Scotti, und den Kommandeur der Jägerbrigade 37, den damaligen Oberst Günzel.

"Karrieren werden zerstört und Menschen ruiniert"

Als mir die Ablösung von meinem Dienstposten eröffnet wurde, war ich mir absolut sicher, daß diese schon wenige Tage später wieder rückgängig gemacht werden würde, nicht nur deshalb, weil weder das Maß der Schuld, noch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine solche Maßnahme gerechtfertigt hätten, sondern vor allem deshalb, weil ich mit der ganzen Sache nicht das geringste zu tun hatte, denn zum Zeitpunkt dieser Geschehnisse war ich noch gar nicht im Amt! Die Dinge waren etwa zwei Jahre vor meiner Kommando-Übernahme geschehen! Und obwohl all meine Vorgesetzten dies wußten, rührte niemand auch nur einen Finger! Ich war fassungslos: Da werden ein Divisions- und Brigade-Kommandeur ihrer Dienstposten enthoben, obwohl jeder weiß, daß sie mit der Sache soviel zu tun haben wie der Erzbischof von Bamberg - und nichts passiert. Mit derselben Logik hätte der Minister auch seinen Ordonnanzoffizier rausschmeißen können. Es mußte doch einen Sturm der Entrüstung im deutschen Heer geben! Aber weit gefehlt: An der Basis wurde ein wenig gemurrt, es gab ein paar kritische Presseberichte und Leserbriefe - und das war's. Alle meine Vorgesetzten, die gesamte Generalität übten sich in vornehmer Zurückhaltung! Und hier gab es für die Kameraden und Vorgesetzten keine "mildernden Umstände".

Auch hier ist dem Minister noch der geringste Vorwurf zu machen. Er ist Politiker und handelt eiskalt nach dem Prinzip der russischen Troika: Die (Presse-)Wölfe heule - einer muß vom Schlitten. Und da er genau wußte, daß er von dieser Generalität auch nicht den Hauch eines Widerspruchs zu erwarten hatte - wer oder was hätte ihn hindern sollen? Natürlich wird jeder meiner damaligen Vorgesetzten für sein Verhalten eine brillante Entschuldigung gehabt haben; aber die deutsche Sprache kennt dafür eigentlich nur ein Wort: Feigheit!

Und man muß kein Prophet sein, um vorauszusagen, wie sich ein solches Offizierskorps in einer Diktatur verhalten würde. Ich habe nicht den geringsten Zweifel: Wenn auch nur zwei oder drei höhere Generale beim Minister remonstriert und ihm - widrigenfalls - ihren Abschied angeboten hätten - der Herr Minister hätte ein Problem gehabt. Vor allem aber hätte man für die Zukunft ein deutliches Zeichen gesetzt. Mit diesem opportunistischen Abtauchen hat man allerdings auch ein Zeichen gesetzt.

Ein guter Freund von mir hat zu diesen Vorgängen treffend festgestellt: "Wer statt Uniform Livree trägt, wird auch so behandelt." Dem ist nichts hinzuzufügen.

Diese und ähnliche Vorfälle hinterlassen natürlich tiefe Spuren im Gedächtnis und damit auch im Langzeitgedächtnis der Truppe. In keiner anderen Armee der Welt wird soviel über Innere Führung geschrieben und geredet. Aber immer dann, wenn eine Sache viel Erklärung, Theorie und Terminologie braucht, ist Skepsis angebracht. Menschenführung und Kameradschaft bewähren sich nur dann, wenn sie von Vorgesetzten vorgelebt werden, vor allem dann, wenn sie mit persönlichem Risiko verbunden sind. Nach solchen, eben geschilderten Erlebnissen wird sich natürlich jeder Soldat fragen, ob und wie lange sein Vorgesetzter hinter ihm steht, wenn es kritisch wird, vor allem, wenn es um sensible oder gar lebensgefährliche Einsätze geht.

Und darum ist dies nicht nur eine geradezu unfehlbare Methode, eine Armee von Duckmäusern zu erziehen, sondern viel schlimmer noch: Die berühmte Auftragstaktik, die das deutsche Soldatentum seit 250 Jahren in der Welt berühmt gemacht und deutsche Verbände immer wieder in die Lage versetzt hat, aus einer zahlenmäßigen Unterlegenheit das Gefecht für sich zu entscheiden - diese Auftragstaktik wird mit einem solchen Soldatentypus zu Grabe tragen.

Wenn ich nun den Verlust der Kameradschaft beklagt habe, so muß ich das ein wenig relativieren. Natürlich gibt es unter höheren Offizieren - und erst recht unter Generalen - keine Kameradschaft, hat es wohl auch nie gegeben. Dieses Gefühl hört spätestens beim Kompaniechef auf.

Aber eines hat es in einer intakten Armee immer gegeben: Korpsgeist! Diesen besonderen Ehrenkodex, der sich zum Beispiel ausdrückt in dem klaren Bewußtsein: so etwas lassen wir mit uns nicht machen! Wenn dieses Empfinden verlorengeht, dann verliert eine Armee ihr Rückgrat und wird sehr schnell zum Spielball unterschiedlichster Interessen.

Wenn man mich nun fragt, was mich von all diesen betrüblichen Umständen am meisten getroffen hat, so sind es - mit einem gewissen zeitlichen Abstand und wenn ich die persönlichen Kränkungen einmal außer acht lasse - ganz zweifellos zwei Dinge:

Zum ersten die Tatsache, daß im Namen dieses Krebsgeschwürs "Political Correctness" Geschichte gefälscht und Recht gebeugt wird, daß Karrieren zerstört und Menschen ruiniert werden und daß die schweigende Mehrheit dies alles - zwar zunehmend murrend, aber dennoch mit gesenktem Kopf - hinnimmt.

Und zum zweiten, daß wir, die wir einmal stolz darauf waren, das "Volk der Dichter und Denker" genannt worden zu sein, daß wir uns eben dieses kritische Denken - zumindest auf diesem Feld - verbieten lassen und zwar genau von denjenigen, vor denen man uns vor 25 Jahren mit Polizeiaufgeboten beschützen mußte.

Angefangen von dem Zwang, der "Singularität des Holocaust" unsere Reverenz zu erweisen, über die Verpflichtung, die im Nürnberger Prozeß von den Siegermächten getroffenen Feststellungen auf alle Zeiten anzuerkennen, bis hin zu den vielen Tabus, die uns verbieten, historische Wahrheiten auszusprechen und zu diskutieren - all diese Denkverbote, die uns daran hindern, zu eigenständigen Wertungen und Urteilen zu kommen - dies alles ist nicht nur eine Beleidigung für jeden aufgeklärten Menschen, sondern auch das geistige Todesurteil für jede freie Gesellschaft. George Orwell läßt grüßen!

Gottfried Benn schreibt: "Das Abendland geht nicht zugrunde an den totalitären Systemen, auch nicht an seiner geistigen Armut, sondern an dem hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen Zweckmäßigkeiten."

Und schließlich ist es als Offizier natürlich eine tiefe Enttäuschung, zu erleben, daß die Entwicklung vom selbstbewußten, charakterfesten, manchmal auch etwas knorrigen Offizier alter Tage hin zum glatten, stromlinienförmigen "Manager in Uniform" unaufhaltsam voranschreitet.

Aber trotz dieser äußerst düsteren und pessimistischen Erkenntnisse besteht Hoffnung. Und damit meine ich nicht das berühmte zarte Pflänzchen, das wir auch am Rande des Grabes noch zu pflanzen pflegen. Ich bin fest davon überzeugt, daß alle diese Fälle - von Nolte über Jenninger, Heitmann und Walser bis Hohmann - die Mauer der "Political Correctness" ins Wanken gebracht haben. Sie hat deutliche Risse, und der Druck im Kessel steigt. Das zeigt sich schon an der nervösen Überreaktion in dieser Affäre. Die Menschen sind zunehmend weniger bereit, sich die Zumutung dieser ad infinitum verlängerten Kollektivschuld gefallen zu lassen und auch noch in der fünften Generation das Büßerhemd zu tragen. Noch einige wenige solcher Vorfälle, und das Tabu könnte zerbrechen.

Und in dieser Hoffnung sollten wir weiterkämpfen gegen Mittelmäßigkeit, Feigheit, Anpassung und Opportunismus, damit wir wieder von einer Meinungsfreiheit sprechen können, die diesen Namen verdient und die Voltaire so treffend beschrieben hat, als er sagte: "Ich hasse jedes Wort von dem, was Sie sagen; aber ich werde bis zu meinem Ende dafür kämpfen, daß Sie es auch weiterhin sagen dürfen."

Lassen Sie mich aber schließen mit einem Zitat von Mark Twain: "Die Demokratie beruht auf drei wesentlichen Säulen: der Freiheit der Gedanken, der Freiheit der Rede und der Klugheit, beide nicht zu gebrauchen."

 

General a.D. Reinhard Günzel, Jahrgang 1944, meldete sich 1963 freiwillig zur Fallschirmjägertruppe, studierte Geschichte und Philosophie und diente in verschiedenen Kommandeurverwendungen. Seit November 2000 führte der Brigadegeneral das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Am 4. November 2003 wurde er wegen seines Unterstützerbriefes an Martin Hohmann entlassen.

Fotos: Reinhard Günzel: "Was bringt das Volk dazu, seine Identität, sein Selbstwertgefühl und Selbstbewußtsein so aufzugeben und nur dann zufrieden zu sein, wenn es mit beiden Händen Asche auf sein Haupt streuen kann?" / Reinhard Günzel: "Wer statt Uniform Livree trägt, wird auch so behandelt"


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