© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/04 14. Mai 2004

Nordelbische Kirche im Zwielicht
Bei der Unterstützung der Protestanten im Baltikum knüpfte die NEK Hilfe an die Übernahme ihrer liberalen Positionen in der Kirchenpolitik
Werner Pfeiffer

Nachdem die baltischen Staaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 ihre Unabhängigkeit wiedererlangt hatten, übernahm die Nordelbische Kirche die Verantwortung für den Wiederaufbau der evangelisch-lutherischen Kirchen in Estland und Lettland.

Bis zur Besetzung dieser Länder durch die Sowjets waren hier die beiden Kirchen tonangebend und echte Volkskirchen gewesen. In Lettland waren vor allem die Provinzen Kurland und Livland protestantisch geprägt. Nach der Okkupation wurden die Kirchenleitungen planmäßig vom KGB unterwandert. Das rief das Mißtrauen der Gläubigen hervor, und viele wandten sich anderen Glaubensgemeinschaften (vielfach den Baptisten) zu oder traten überhaupt aus der Kirche aus.

Zunächst lief die Zusammenarbeit zwischen der Nordelbischen Evangelischen Kirche (NEK) und der lettischen evangelisch-lutherischen Kirche reibungslos. Das änderte sich, als 1993 in Lettland ein neuer Erzbischof gewählt wurde, der die Frauenordination ablehnte. Dabei berief er sich auf das Paulus-Wort "Eure Weiber lasset schweigen in der Gemeinde". Dies führte, wie die Baltischen Briefe, die Monatsschrift "über das baltische Geistesleben" der Carl-Schirren-Gesellschaft, berichteten, zu massiven Protesten der Nordelbier und zu einem Synoden-Beschluß, alle Hilfe auszusetzen, bis diese "Glaubensfrage" im linksprotestantischen Sinne geregelt sei. Auf die Anfrage des lettischen Erzbischofs, wo denn in der Heiligen Schrift die Frauenordination geregelt sei, erhielt dieser keine Antwort. Wie die Baltischen Briefe weiter schreiben, hätte nun die NEK "in diktatorischer Weise den Letten vorzuschreiben, was sie zu tun hätten, damit sie in den Genuß von Hilfe kommen" könnten.

Resultat war eine Schwächung der Evangelischen Kirche

Während die NEK die Hilfe für Lettland aussetzen wollte, solange die Frauenordination nicht wieder eingeführt worden sei, erbot sich eine Gruppierung in den USA - die Missouri-Lutheraner - Hilfe zu leisten. Die NEK aber habe "in kleinlicher Manier" auch konkrete Hilfe-Ersuchen kleiner, armer lettischer Gemeinden sowie einzelner Pastorinnen ignoriert. Der Verfasser des Artikels in den Baltischen Briefen, Wolfram Rohde-Liebenau, machte das Verhalten der "Nordelbier" verantwortlich dafür, daß in Lettland die evangelisch-lutherische Kirche mittlerweile zu einer Minderheiten-Kirche geworden sei.

In der neuesten Ausgabe der Baltischen Briefe wehren sich Vertreter der Nordelbischen Kirche gegen diese Vorwürfe. Auf den ursprünglichen Streit um die Frauenordination gehen sie dabei mit keiner Silbe ein. Sie verweisen darauf, die NEK habe zwei Millionen Euro für einen Gehaltsausgleichfonds zur Verfügung gestellt - das durchschnittliche Gehalt eines lettischen Pastors liegt bei 190 Euro - und darauf, daß die Oberkirchenräte Henning Kramer und Wilhelm Poser seit vielen Jahren bei ihren Besuchen in den baltischen Ländern "Hilfsmaßnahmen auf den Weg gebracht" hätten. Auch sei mit einem leichten Übergewicht der Katholiken die Mitgliederzahl aller drei Hauptkonfessionen in etwa gleich hoch. Rohde-Liebenaus Vorwurf , die protestantische Kirche in Lettland sei zu einer Minderheiten-Kirche geworden, wird damit indirekt bestätigt.


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