© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/04 14. Mai 2004

Aktenordner reichen von Berlin bis Palermo
Telekommunikationsgesetz: Ein fragwürdiger Kompromiß zwischen Bundestag und Bundesrat erleichert des Abhören
Ronald Gläser

Im Vermittlungsausschuß von Bundesrat und Bundestag hat sich ver-gangene Woche ein unerhörter Schacher abgespielt. Von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wurde über die Neufassung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) verhandelt. Die rot-grüne Bundesregierung wollte unter anderem verschiedene Lockerungen für Mobilfunkanbieter und private Konkurrenten des Ex-Monopolisten Deutsche Telekom durchsetzen. Die unionsregierten Länder, allen voran Bayern, hatten die Verabschiedung des Gesetzes aber blockiert.

Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) und einige Amtskollegen wollten - vorgeblich zur Kriminalitätsbekämpfung und Terrorabwehr - die Abhör- und Kontrollmöglichkeiten des Staates drastisch ausdehnen. Deshalb verhinderten sie das Gesetz in der Länderkammer.

"Die Möglichkeiten der zukünftigen Überwachung sollen deutlich ausgedehnt werden, sensible Daten in größerem Umfang und länger gespeichert werden, damit staatliche Stellen hierauf zugreifen können", erklärte Jürgen Grützner, der Geschäftsführer des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM).

Der Branchenverband wehrte sich gegen diese Maßnahmen, die einen "dramatischen Anstieg der Überwachung der Bürger" zur Folge gehabt hätten. So sollten zum Beispiel alle Verbindungsdaten sämtlicher Gespräche - sei es Festnetz oder Mobilfunk - für sechs Monate gespeichert werden. Die Telefongesellschaften speichern diese Daten, um die Rechnung zu erstellen, aber sie löschen sie nach Rechnungserstellung. Nun sollten staatliche Behörden nach dem Willen der Unions-Länder darauf ein halbes Jahr lang zugreifen können.

Die Telefongesellschaften sollten verpflichtet werden, diese Daten herauszugeben, auch ohne daß Verdacht auf eine Straftat besteht. VATM-Justitiar Peter Dahlke sagte der JUNGEN FREIHEIT: "Es ist eine Erweiterung des Katalogs für Abhörmaßnahmen vorgesehen."

Dahlke führte weiter aus, daß der Einsatz von "Imsi-Catchern" geplant sei. Dieses Funkabhörgerät gaukelt dem Telefon einer Zielperson vor, selber die Mobilfunksendeanlage zu sein, mit der sein Apparat gerade kommuniziert. Dadurch können alle Gespräche der betroffenen Person abgehört werden.

Zudem wollte die Bundesregierung einen Schritt in Richtung "anonyme Kommunikation" machen. Das fordern Datenschützer schon seit langem. Die Käufer von Abtelefonier-Karten ("Prepaid") sollten nicht mehr datentechnisch erfaßt werden. Die Unions-Länder dagegen wollten die gängige Praxis beibehalten. Bislang wird von Käufern einer Karte mit Gebührenguthaben eine Ausweiskopie erstellt und gespeichert. Bei Vertragskunden erfolgt dies natürlich, weil die Telefongesellschaften säumige Zahler nur mahnen können, wenn sie ihre Meldeadresse kennen.

Neue Einschnitte in die Rechte von Bürgern

Für Karten, die ein Guthaben aufweisen, das abtelefoniert wird, ist es aber nicht erforderlich, persönliche Daten zu speichern. Schließlich ist früher auch niemand auf die Idee gekommen, die Telefonkarte, die in einer Telefonzelle zur Anwendung kam, persönlich zu registrieren.

Auch die Betreiber von großen Telefonanlagen (etwa Krankenhäuser, Hotels, Unternehmen) sollten nach Ansicht der Länderinnenminister zur Telefonüberwachung mit herangezogen werden. Sie wären damit ebenso wie die Telefongesellschaften unbezahlte Gehilfen der Justiz. Nicht einmal in den USA habe die Terrorangst so rapide Einschnitte in die Rechte von Bürgern und Unternehmen zur Folge gehabt, warnte der VATM in einer offiziellen Stellungnahme.

Während man über die politische Dimension sicherlich trefflich streiten kann, waren die Unions-Forderungen vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten fragwürdig. Die Speicherung dieser gewaltigen Datenmenge kostet Geld. Für die Kosten wollen die Länder nicht aufkommen. Sie sollen den Telefongesellschaften auferlegt werden. Damit hätte letztlich auch der Verbraucher die Kosten tragen müssen.

"Die Sicherheitsbehörden und Innenminister machen sich ganz offensichtlich keinerlei Vorstellungen darüber, in welchem Umfang heutzutage Daten über die Kommunikationsnetze transportiert werden, die weit über die damalige Sprachtelefonie hinausgehen", erläuterte VATM-Chef Grützner. Das wäre eine Datenmenge, die - ausgedruckt und in Aktenordnern abgeheftet - von "Berlin bis Palermo" reichen würde.

Im Vermittlungsausschuß konnte sich die Union nun mit einigen Forderungen durchsetzen. Eine zusätzliche Belastung von Bürgern und Marktteilnehmern konnte in letzter Minute aber verhindert werden, meinte Grützner nach Bekanntwerden des Kompromisses. Trotzdem: Die Inhaber von "Prepaid"-Mobiltelefonkarten werden weiterhin gespeichert, und die Überwachung geht weitgehend auf Kosten der betroffenen Unternehmen.

Eine weitere problematische Neuerung betrifft die Telefonauskunft. Danach könnten Name und Anschrift eines Teilnehmers auch dann erfragt werden, wenn nur die Rufnummer bekannt ist. Voraussetzung dafür sei, daß der Betroffene in einem Telefonverzeichnis eingetragen ist und der Weitergabe seiner Daten nicht widersprochen hat - zumindest die Werbewirtschaft wird es erfreuen.

Der IT-Branchenverband Bitkom ist skeptisch, was das Ergebnis angeht. Der Aufwand für die Verpflichtungen der Telefongesellschaften würde nur teilweise kompensiert. "Vor allem die hohen Kosten für die geforderten Systeminvestitionen etwa bei der TK-Überwachung bleiben auch künftig ohne Entschädigung", meinte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.

Noch deutlicher wurde die FDP: "Wir können keinem Gesetz zustimmen, das (...) der Branche zusätzliche Belastungen im Sicherheitsbereich auferlegt", sagte deren IT-Experte Rainer Funke. "Zudem führen die sicherheitspolitischen umstrittenen Belastungen bei den Prepaid-Verpflichtungen und der sogenannten Joker-Abfrage zu erheblichen Belastungen für die Telekommunikationsbranche und zu einer weiteren Aushöhlung der informationellen Selbstbestimmung des einzelnen Bürgers. Einem solchen Gesetz kann die FDP nicht die Hand reichen", meinte Funke. Der Bundestag hat letzten Donnerstag den TKG-Kompromißvorschlag gebilligt. Der Bundesrat wird sich damit an diesem Freitag beschäftigen.


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