© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/04 14. Mai 2004

"Über unsere Ergebnisse sprechen wir nicht"
Florian Wastphal, Sprecher des IKRK in Genf, über die Hilflosigkeit des Roten Kreuzes in der US-Folter-Affäre
Moritz Schwarz

Herr Westphal, das "Wall Street Journal" hat den vertraulichen Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) über die humanitären Verhältnisse in den US-Gefängnissen im Irak öffentlich gemacht. Darin ist wörtlich von "Brutalitäten" an Häftlingen die Rede, die "ernsthafte Verletzungen, manchmal den Tod verursacht haben".

Westphal: Dieser Bericht ist ohne unsere Zustimmung veröffentlicht worden, deshalb werden wir den Inhalt auch nicht kommentieren.

Einerseits gehört es zu den "Geschäftsgrundlagen" der Arbeit des IKRK, daß die Berichte vertraulich behandelt werden, andererseits macht das den politisch Verantwortlichen möglich, die Ergebnisse zu verheimlichen.

Westphal: Priorität hat für uns, daß wir immer wieder Zugang zu Gefängnissen bekommen, deshalb behandeln wir Probleme direkt mit den verantwortlichen Behörden. Natürlich ist es schwierig, Abhilfe zu erreichen, wenn man einen Mißstand nicht öffentlich anprangern kann. Aber die Erfahrung lehrt, daß wir langfristig mit dieser Vereinbarung mehr für unkorrekt behandelte Häftlinge erreichen können, als wenn wir demonstrativ handeln, aber in der Konsequenz künftig "draußen bleiben" müssen.

Wie ist der IKRK-Bericht zustande gekommen?

Westphal: Er bezieht sich auf die Zeit von März bis November 2003 und ist auf Grundlage von 29 Besuchen in verschiedenen Hafteinrichtungen der Koalition im Irak und Interviews mit Häftlingen - in Abwesenheit des Wachpersonals - entstanden.

Könnten die Häftlinge Sie nicht belogen haben?

Westphal: Wir glauben nicht automatisch alles, was uns erzählt wird. Deswegen vergleichen wir Aussagen verschiedener Häftlinge, um zu sehen, inwieweit sie übereinstimmen.

Welche Konsequenzen haben Sie aus Ihren Erkenntnissen gezogen?

Westphal: Nach jedem Besuch wurde den direkt Verantwortlichen ein Bericht übergeben. Den nun veröffentlichten Gesamtbericht für den genannten Zeitraum haben wir am 12. Februar an den stellvertretenden Leiter der US-Übergangsverwaltung übergeben.

Mit welchem Erfolg?

Westphal: In einigen der von uns bemängelten Bereiche hat es Verbesserungen gegeben. Außerdem kam es am 26. Februar zu einem Treffen mit dem Leiter der US-Übergangsverwaltung Paul Bremer und dem Oberkommandierenden der US-Streitkräfte im Irak, General Ricardo Sanchez, die uns beide versichert haben, den Bericht gelesen zu haben und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Was aber offensichtlich nicht geschehen ist.

Westphal: Über die Situation nach dem November 2003 - das Treffen fand erst Ende Februar 2004 statt - möchte ich aufgrund unseres vertraulichen Umgangs mit unseren Ermittlungsergebnissen nicht sprechen. Wichtig ist, daß unsere Gefängnisbesuche im Irak weitergehen.

Sehen Sie eine Verantwortung der US-Regierung für das, was Sie bis November 2003 ermittelt haben?

Westphal: Die Staaten, die der Genfer Konvention beigetreten sind - wie etwa die USA oder Großbritannien - haben sich selbst dazu verpflichtet, diese auch durchzusetzen.

Also reicht es nicht, Besserung zu geloben, eigentlich müßten die politisch Verantwortlichen sofort zurücktreten?

Westphal: Das ist eine politische Frage, auf die wir nicht antworten können.

Professor Michael Mandel von der York Universität Toronto, Experte für internationales Recht, spricht im Interview mit dieser Zeitung nicht nur von politischer Verantwortung, sondern davon, daß Folterung Teil des amerikanischen Operationssystems sei (siehe Interview oben).

Westphal: Solche Interpretationen können wir nicht anstellen, weil wir über die politischen Hintergründe nichts wissen.

IKRK-Einsatzleiter Pierre Krähenbühl sprach wörtlich von einem "Muster, einem weitverzweigten System" bezüglich der Mißhandlungen und Folterungen im Irak.

Westphal: Wir meinen damit, daß man nicht mehr nur von Einzeltaten sprechen kann. Den Grad der direkten Verantwortung können wir aber nicht beurteilen.

Ist es nicht möglich, sich mit den Berichten wenn nicht an die Öffentlichkeit, so doch zumindest an UN-Institutionen zu wenden, um den Druck auf folternde Staaten zu erhöhen?

Westphal: Der Vertrag, der dem internationalen Strafsgerichtshof in Den Haag zugrunde liegt, hat sich mit dieser Frage befaßt und schließlich unsere vertrauliche Vorgehensweise voll anerkannt, weil die Beteiligten um die wahrscheinlichen negativen Konsequenzen für die 469.648 Häftlinge, die wir im letzten Jahr weltweit betreut haben, wissen.

 

Florian Westphal ist Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Genf. Geboren wurde der Journalist 1966 in Hamburg.

 

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