© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/04 07. Mai 2004

Deutscher Werberat: Eine Institution beim Versuch, eine moralische Instanz zu bilden
Giftige Verkaufshinweise
Claus-M. Wolfschlag

Fernsehspots, Plakate, Radioreklame, Zeitungsanzeigen - Werbung ist ein immenser und im öffentlichen Stadtbild leider oftmals allzu präsenter Wirtschaftszweig. In Deutschland nehmen Medien aus dem Werbegeschäft jährlich zwanzig Milliarden Euro ein.

Neben der unzweifelhaft problematischen Reizüberflutung und der architektonischen Veränderung von Stadtbildern kommt es aber immer wieder vor, daß Werbung auch auf der sozialpsychologischen Ebene eine negative Wirkung nachgesagt wird. So verleite Werbung zu ungewollten Verhaltensweisen. Sogar eine Aufforderung zu Vergewaltigungen, Kindersex oder politisch-religiösem Fanatismus wird bestimmten Reklamen unterstellt. Diese Vorwürfe haben sich, so der Deutsche Werberat, seit Jahrzehnten kaum verändert, "ungeachtet aller Erkenntnisse der Wissenschaft über die komplexen Ursachen menschlichen Handelns".

Der 1972 gegründete Deutsche Werberat gilt in solchen Fällen als Kontrollinstitution. Er setzt sich aus den 41 im Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) zusammengeschlossenen Organisationen der Werbefirmen, Medien, Agenturen und Forschungseinrichtungen zusammen und dient als Ordnungsinstanz der Eigenkontrolle der wirtschaftlichen Werbewirtschaft und ist zuständig für das Konfliktmanagement.

Dahinter steht der Gedanke der Selbstdisziplin der Wirtschaft aus eigener Überzeugung und eigenem moralischen Willen. Als Sanktionsinstrument gilt die öffentliche Rüge, welche um positives Image bemühte Unternehmen stets zu vermeiden suchen. Auch unterliegt Werbung natürlich gesetzlichen Regelungen. Wer zum Beispiel in einer Produktwerbung die Unwahrheit sagt, dem drohen nach dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb bis zu zwei Jahre Gefängnis.

In seinem neuesten Jahrbuch bemerkt der Werberat, daß der werbekritische Pegel gegenwärtig wieder ansteige. Zugleich allerdings sei die Anzahl der beim Werberat eingegangenen Beschwerden aus der Bevölkerung zurückgegangen. 2003 gingen 606 (2002: 1.985) Beschwerden zu 360 (2002: 389) verschiedenen Werbemaßnahmen beim Deutschen Werberat ein. Nicht zuständig - da besondere Rechtsverstöße vorlagen oder der Werberat nur für wirtschaftliche Werbung zuständig ist, also nicht für Parteienwerbung - war der Werberat in 105 Fällen. 255 Werbemaßnahmen landeten schließlich vor dem Gremium. Davon wurde die übergroße Mehrheit, 203 Werbungen, von Kritik freigesprochen. In 41 Fällen erklärten sich Werbetreibende freiwillig bereit, die betreffende Reklame nicht mehr zu schalten, in vier Fällen, sie zumindest zu ändern. Nur in sieben Fällen kam es zu einer öffentlichen Rüge für einen uneinsichtigen Werbungstreibenden. So erhielt eine Augsburger Brauerei eine Rüge, die Bier trinkende Leistungssportler zeigte. Sportler nämlich sollen nach Auffassung des Deutschen Werberates nie für alkoholische Produkte werben.

Leider, das stellt das Jahrbuch klar, verleitet wohl auch gerade die Reizüberflutung und Abstumpfung der Medienkonsumenten einige Werbungstreibende immer häufiger dazu, drastische Bilder und Texte einzusetzen, um Aufmerksamkeit zu erheischen. Zum Beispiel plante die Tierschutzorganisation Peta eine auch in den USA geschaltete Kampagne unter dem Titel "Holocaust auf deinem Teller". Große Plakate zeigten Bilder aus Konzentrationslagern neben Fotos toter oder gequälter Tiere. Hinzugefügt waren Sätze wie: "Unsere Enkel werden uns eines Tages fragen: Was habt Ihr gegen den Holocaust der Tiere getan? Wir können uns nicht zum zweiten Mal damit entschuldigen, wir hätten nichts gewußt." Oder: "Sechs Millionen Juden sind in Konzentrationslagern gestorben, aber dieses Jahr werden sechs Milliarden Grillhähnchen in Schlachthäusern sterben."

Kommt es zur Realisierung derartiger Kampagnen, wird der Werberat oft aktiv, die betreffende Firma oder Organisation zur weiteren Unterlassung zu bewegen. Eingestellt wurde zum Beispiel die Werbung eines Kräuterlikörherstellers, die einen Schwarzen mit Boxhandschuhen zu dem Untertitel "Achtung Wild!" gezeigt hatte. Der Beschwerdeführer kritisierte, daß die Werbung "rassendiskriminierend" sei, da das Klischee des Farbigen als "Wilden" bedient würde.

Aus Gründen der "Gewaltverharmlosung" zog eine Baumarkt-Kette ihre Printanzeigen aus dem Verkehr. Das Bild hatte eine Frau gezeigt, die lächelnd mit einer elektrischen Heckenschere im Garten hantierte. Eines ihrer Beine war vom Knie abwärts amputiert und blutete die Hose voll. Der dazugehörige Werbetext lautete: "Women at work. Frauen jammern wenigstens nicht gleich bei jedem kleinen Kratzer." Die Beschwerdeführerin hatte die Werbung als ekelerregende, menschenverachtende Verharmlosung schwerer Verletzungen kritisiert.

Der mit 43 Prozent am meisten geäußerte Vorwurf von Beschwerdeführern vor dem Werberat ist der einer angeblichen "Frauendiskriminierung", wobei der Tatbestand einer Herabwürdigung bei leichtbekleideten Modellen oft sehr unterschiedlich und subjektiv von den Betrachtern wahrgenommen werden kann. Erst weit dahinter folgen "Gefährdung von Kindern", "Gewaltverherrlichung" und "Verletzung religiöser Gefühle". Und mit einem weiteren prozentualen Abstand kommt es zu diversen Vorwürfen wie "Rassendiskriminierung", "unzuträgliche Sprache", "Mißachtung des Tierschutzes" oder "Männerdiskriminierung". In den meisten Fällen weist der Deutsche Werberat die Bürgerbeschwerden allerdings als unbegründet ab.

Die Beschwerden sind hierbei auch ein Indikator für die psychologischen Befindlichkeiten und Hysterie-Potentiale in der Gesellschaft. Eine Beschwerdeführerin stieß sich beispielsweise an vorweihnachtlichen Vitrinenplakaten eines Bekleidungsherstellers, die ein blondgelocktes dreijähriges Kind mit Engelsflügeln zeigten. Es war nackt und blickte seitlich geneigt in die Kamera. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin könnten pädophile Menschen sich durch das Bild bestärkt fühlen, ebenfalls Kinder nackt zu fotografieren. Der Werberat erkannte zwar die Grundproblematik des Kampfes gegen Pädophilie an, sah aber in den Plakaten keinen Grund zum Einschreiten, da in der Werbung weder ein Geschlechtsmerkmal noch irgendein sexueller Bezug erkennbar gewesen sei.

Ein Verbraucher nahm den "Aufstand der Anständigen" scheinbar extrem ernst, denn er beschwerte sich über die Internet-Werbung einer lokalen Sparkasse, bei der ein "Hitlergruß" sowie ein hakenkreuzähnliches Symbol gezeigt worden seien. Die Werbung zeigte allerdings in Wirklichkeit auf einer Video-Animation drei Kameltreiber, von denen einer auf einen gelben Himmelskörper in Form des Sparkassenlogos zeigte. "In dieser Konstellation konnte der Werberat nicht einmal andeutungsweise eine Anlehnung an einen 'Hitlergruß' oder nationalsozialistische Symbolik ausmachen", heißt es dazu in dem Jahrbuch 2004.

Der Deutsche Werberat sieht auch dem neuen Jahr entspannt entgegen. Das "moralische Grundgebäude aus Rechten und Pflichten aller Beteiligten" sei "auf natürliche Weise aus der Gesellschaft heraus gewachsen; es ist kein künstliches Gebilde aus der Retorte weltabgewandter Moralisten: Rechtsordnung und selbstdisziplinäre Moral schützen vor Exzessen in der Wirtschaftswerbung".


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