© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/04 30. April 2004

Meldungen

Carl Schmitt: Verfall der Pariser Diskurskultur

NEW YORK. Die US-Zeitschrift Telos, publizistisches Einfallstor für die "Frankfurter Schule" wie oft angefeindetes Diskussionsforum in Sachen Carl Schmitt, diskutiert im jüngsten Heft (126, 2003/04) eher unter dem gewohnten Niveau über die "Neue Rechte" in Europa. Um sich an der Quelle zu informieren, führt Frank Adler aber immerhin ein Interview von respektabler Länge mit Alain de Benoist, und man räumt dem Denker sogar auffallend breiten Raum für eine scharfe Auseinandersetzung mit der französischen Schmitt-Rezeption ein. De Benoist äußert sich im Gespräch primär zur Innenpolitik, zu Le Pen und zum "Umgang" mit dem Front National. Ein grelles Licht fällt auf die "geistige Situation" Frankreichs, wenn er sich mit den Schmitt-Kritikern befaßt. Denn auf hysterische Reaktionen traf 2003 die Übersetzung von Schmitts Hobbes-Studie von 1938. Intellektuelle wie der Zionist Yves Charles Zarka und andere Verwalter linksliberaler Kulturhegemonie wie André Glucksmann oder Blandine Kriegel machten in den ihnen uneingeschränkt zugänglichen Medien gegen den "Nazi" und "Antisemiten" Schmitt mobil. Wie de Benoist en detail nachweist, glaubte diese Gutmenschen-Phalanx dabei, auf Kenntnisse des Schmitt-Werkes komplett verzichten zu können. So gerät seine bissige Kritik zur mikrologischen Dokumentation des erschreckenden Verfalls Pariser Diskurskultur.

 

Goethe und Mann in postkolonialer Lektüre

TRIER. Unter der Fahne "kulturwissenschaftlicher Literaturwissenschaft" hat sich die brave deutsche Germanistik US-amerikanischen Vorgaben angepaßt und einen Prozeß umfassender Politisierung eingeleitet. Inzwischen füllen auch erste Produkte "postkolonialer Lektüre" die Seiten bislang als seriös geltender Fachorgane. So präsentiert uns der Schwarzafrikaner Hilaire Mbakop Heinrich Mann, eine Ikone des "Antifaschismus", als "geistigen Vater" des Nationalsozialismus (Wirkendes Wort, 1/04). Mbakop zieht längst bekannte Texte des Frühwerks vor 1900 heran, um in geradezu infantiler Zitatencollage Mann des "Rassismus" und "Antisemitismus" zu bezichtigen. Da er Einflüsse Goethes auf Manns frühe Romane identifiziert, werden in des Olympiers "Wahlverwandtschaften" umgehend "rassistische Vorurteile" ausgemacht. Vom Ungeist solcher Germanistik ist es vermutlich nicht mehr weit bis zur Praxis "gereinigter" Klassikerausgaben.

 

Vertrauen weiter eher in die Nation als in "Europa"

WIESBADEN. Sind die Europäer auf dem Weg zu einer europäischen Gesellschaft? Die aufgrund ausgefeilter sozialwissenschaftlicher Methoden gewonnene Antwort des Berliner Politologen Jan Delhey lautet schlicht: Nein (Leviathan 1/04). Gemessen am Indikator "Vertrauen" sei der Vorrang der "national definierten Solidargemeinschaft" gegenüber der international-europäischen ungebrochen. Wenn die staatsbürgerrechtlichen Grenzen zwischen Innen- und Außengruppe immer mehr verschwinden, könnten davon zwar auch EU-Ausländer als bisher "Fremde" profitieren. Die sich derart vielleicht einst herausbildende europäische Identität, die "Unionsbürgerschaft", dürfte über ein Anfangsstadium jedoch nicht herauskommen, wenn die zunehmende rechtliche Angleichung eine zunehmende Konkurrenz um knappe Güter wie Arbeitsplätze und Sozialleistungen in Gang setze.

 

Erste Sätze

Es gibt keine Geschichtsschreibung, die nicht durch irgendein geheimes Band auf die Gegenwart bezogen wäre.

Eduard Spranger: Wilhelm von Humboldt und die Humanitätsidee, Berlin 1909


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