© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/04 30. April 2004

Menschenrechtliches Bermudadreieck
Guantánamo und das Verschwinden der Verfassungsgarantien: Der internationale Juristendiskurs über die USA als Rechtsstaat
Oliver Busch

Kinogänger wissen mehr. Sie brauchen nicht mit dem Finger auf der Landkarte nach Guantánamo suchen. Sie haben dank des Hollywood-Streifens "Eine Frage der Ehre" (1992) gespeichert, daß dieser US-Außenposten, eine kleine unansehnliche Marinebasis, auf Kuba liegt. Und daß es dort, unter den Augen Fidel Castros, nicht immer nach den Buchstaben des Gesetzes zugeht. Doch Jack Nicholson als fiesem Oberst und Leuteschinder erteilen die alerten Marinejuristen und Gutmenschen Tom Cruise und Demi Moore eine Lektion, die den Glauben des Cineasten an die US-amerikanische Rechtstaatlichkeit neu festigte.

Wenige Monate nach Abschluß der ersten US-Intervention im Irak hatte derlei patriotische Propaganda zwar keinerlei Auswirkung auf den Kampfgeist, aber als typisches Produkt der psychologischen Kriegführung ließ der Streifen das kollektive Unterbewußtsein nicht unberührt. Die US-Streitkräfte, so seine Botschaft, haben die "Werte des Westens" verinnerlicht. Sie kämpfen für das Gute, weil sie das Gute sind. Trotz der mitunter etwas "unsauberen" Methoden in Hiroshima, Vietnam, Belgrad oder Bagdad hatte Washingtons Streitmacht in der "Weltöffentlichkeit" nie unter deutschen Imageproblemen der Marke "Vernichtungskrieger" zu leiden.

Das ist seit dem Angriff auf Saddam Husseins Irak im März 2003 anders geworden. Wie immer man die moralische Qualität des beseitigten Diktators einstufen mag: Es gibt heute keinen ernstzunehmenden Fachmann für internationales Recht mehr, der in diesem militärischen Schlag keinen Bruch des Völkerrechts sieht. Seit einem Jahr ist unverkennbar, daß das "Weltrecht ein Ruinenrecht" ist, weil die USA nicht mehr "als Hort des Traums vom internationalen Recht" gelten (Rainer Maria Kiesow in Kursbuch 155/04).

Die im "Krieg gegen den Terror" eingebrachten Gefangenen, die heute rechtlos als "feindliche Ausländer" in den Gefängniscontainern Guantánamos auf Kuba schmoren, sind mittlerweile zum Symbol für das Ende dieses Traums geworden. Und weit und breit sind keine in blütenweiße Unschuld gekleideten Marinejuristen zu entdecken, die die dort einsitzenden 660 Häftlinge in den Raum zurückführen, in dem nach westlichen Spielregeln noch rechtliche Standards gelten.

Extrem negative Wirkung auf das Rechtsstaat-Image der USA

Nicht nur ideologische Parteigänger und notorische Atlantiker machen die Behandlung dieser "outlaws" für ein massives westliches Legitimationsdefizit verantwortlich. Der italienische Rechtsphilosoph Giorgo Agamben versteigt sich gar zu dem sonst sakrosankten Vergleich mit der Entrechtung europäischer Juden in NS-Vernichtungslagern (JF 15/04). Der deutsche Rechtswissenschaftler Uwe Wesel beweint öffentlich, daß Guantánamo seinen seit 1945 gepflegten "Befreiungs"-Amerikanismus erschüttert habe (JF 17/04). Die FAZ (Ausgabe vom 10. April) schickt den im Balkankrieg erprobten Matthias Rüb nach Kuba, der leicht irritiert meldet, daß es an der Hygiene nichts zu mäkeln gebe, man sonst aber weit vom "humanen Strafvollzug" entfernt sei. David Cole von der katholischen Georgetown-Universität (Washington), der über das völker- und verfassungsrechtliche Problem der "feindlichen Ausländer" letztes Jahr ein Buch veröffentlichte, setzt in einem Beitrag für die Zeit, wo der greise Robert Leicht nochmals die Mär verbreitet, "den Rechtsstaat verdanken wir nicht zuletzt den Amerikanern" (Ausgabe vom 15. April), seine verbleibende Hoffnung auf das Oberste Gericht der USA.

Auch Cole pocht in seiner Argumentation aufs geltende Völkerrecht und will seiner Regierung nur zugestehen, daß sie Gefangene, deren Status nicht eindeutig zu qualifizieren sei, als "Kriegsgefangene" behandeln müsse, bis ein zuständiges Gericht darüber befinde. Die kategorische Entscheidung des Präsidenten, daß weder al-Qaida noch Taliban-Kämpfer den Kriegsgefangenenstatus der Genfer Konvention in Anspruch nehmen könnten und er sie auf kubanisches Territorium verbringe, um sie dem US-Recht zu entziehen, wirke sich jetzt schon extrem negativ für das Rechtsstaat-Image der USA aus. Sollte das Oberste Gericht Bush sogar bestätigen, was in Krisenzeiten, wenn "amerikanische Gerichte sich ohnehin stets den Wünschen der Exekutive gebeugt" hätten, nicht verwundern würde, werde der Preis für die USA sogar noch höher ausfallen, nämlich in Form nachlassender internationaler Kooperationsbereitschaft im "Krieg gegen den Terror" wie im verstärkten Zulauf für die Feinde der USA.

Aus dem Verlauf der Anhörung am 21. April ergab sich naturgemäß kein Anzeichen für die Entscheidung, die das Gericht im Sommer zu fällen hat. Nur die Zusammensetzung des neunköpfigen Gremiums, in dem die Konservativen, die sich schon eindeutig zu Bushs Position bekannt haben, über die Mehrheit verfügen, könnte Coles Befürchtungen Nahrung geben.


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