© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/04 30. April 2004

Nationaler Selbsthaß auf die Spitze getrieben
Linksextreme Strukturen: Als radikales Phänomen präsentieren sich die "Antideutschen" - ihre skurrile Weltanschauung strapaziert die Einigkeit der Antifaschisten
Claus-M. Wolfschlag

Seit einigen Jahren machen sogenannte "Antideutsche" die Szene der extremen Linken unsicher. Aktivistische "Antideutsche" treten, typisch für das "antifaschistische Milieu", vor allem anonym und in Gruppen auf, sei es bei eigenen Demonstrationen oder der Störung von nicht genehmen Veranstaltungen politischer Gegner. Bekanntere Vereinigungen sind die "Antideutschen Kommunisten Berlin", die Hamburger "gruppe demontage" oder die Frankfurter Gruppe "sinistra!".

Einige "Vordenker" verbreiten diese Ideologie auf einschlägigen Internetseiten, so Martin Blumentritt oder Volker Radke. 2003 veröffentlichte eine "Assoziation Antideutscher Kommunisten" gar einen "Antideutschen Katechismus" im Freiburger Verlag ca ira.

Linksradikale Kabarettisten wie Dr. Seltsam zelebrieren Rituale für die Szene, wenn sie den Sieg der Sowjetunion über Deutschland feiern und verlautbaren: "Möge es beim nächsten deutschen Krieg wieder so sein!". Ebenfalls findet man "antideutsche" Ressentiments massenweise im Pop-Bereich, vor allem in der Punk-Musik oder bei den Rappern von "kanak attak" (JF 18/03).

"Antideutsche" als Reaktion auf die Wiedervereinigung

Nach eigenem Selbstverständnis entstanden "antideutsche" Positionen als Reaktion auf die Wiedervereinigung, den Zusammenbruch der Sowjetunion sowie die angeblich "neuen deutschen Verhältnisse" nach der Wiedervereinigung. Die eigene Ideologie wäre demnach erst seitdem von linksradikalen Zeitungen, wie Konkret, Junge Welt, Jungle World und Bahamas verbreitet worden. Als Ausgangspunkt wird die Radikale Linke (RL) angeführt, die sich 1989 bis 1991 in Westdeutschland mit einer "Nie-wieder-Deutschland"-Kampagne in Szene setzte. Letztlich sind sie nur ein Resultat jahrzehntelanger Vergangenheitsbewältigungspädagogik, vor allem seit den 1980er Jahren.

Schon Theodor Adorno wünschte sich, daß "die Horst Güntherchens in ihrem Blut sich wälzen und die Inges den polnischen Bordellen überwiesen werden, mit Vorzugsscheinen für Juden". 1950 verlautbarte George Lukacs: "Die eine Antwort ist schroffe Ablehnung der ganzen deutschen Kultur. (...) In Wirklichkeit ist dieser Radikalismus mehr als zweifelhaft. Ist denn das Antideutschtum wirklich Garantie des Antifaschismus? (...) Finden wir nicht in den Reihen der antideutschen Politiker, Schriftsteller usw. ausgesprochene Reaktionäre, ja Faschisten?" Die sich in den neunziger Jahren formierenden "Antideutschen" sind also keine revolutionäre Neugründung, sondern allein der aggressive und auf geistige Schwundstufe zusammengestutzte Wurmfortsatz einer ohnehin seit 1968 latent dominierenden Mainstream-Ideologie.

"Antideutsche", antinationale Positionen begleiteten die Äußerungen des bundesdeutschen Linksradikalismus und "Antifaschismus" immer schon latent. Blätter wie die Antifaschistischen Nachrichten polemisierten schon seit Jahren gegen deutsche Vertriebene und jegliche Neubewertung der Zeitgeschichte. Wenn Antideutsche zum Volksaufstand zum 17. Juni 1953 verlautbaren, daß "es immer wieder gut ist, mit Panzern" gegen "den bekannten deutschen Mob" vorzugehen, so finden sie sich im Einklang mit der alten SED-Propaganda.

An den "Antideutschen" ist nur die geballte Kombination der Thesen, die Vehemenz des Vortrags, nicht aber der Inhalt neu. In der Szene-Schrift "Antideutsch für Einsteiger" wird Deutschland seit dem 19. Jahrhundert pauschal für zahlreiche Angriffskriege verantwortlich gemacht, darunter auch beide Weltkriege. Dies ist eine sich seit der Fritz-Fischer-Debatte der sechziger Jahre hartnäckig haltende Interpretation. Kaum einem Land der Erde sei "der Besuch deutscher Soldaten erspart geblieben".

Auf Daniel Goldhagen, dessen zweifelhafte Schriften in diesem Umfeld wie eine Bibel verehrt werden, berufen sich die "Antideutschen", wenn sie pauschal unterstellen, daß die deutschen Eliten die deutsche Bevölkerung in den dreißiger Jahren dazu motiviert hätten, einen "Ausrottungskrieg gegen alle Juden" zu führen. Die Liebe zu Deutschland sei demnach häufig mit dem Haß auf Juden verbunden gewesen, so bereits bei Luther - man denke an Alexander Abuschs alte Thesen "von Luther zu Hitler" - und Fichte. Fast alle Deutschen seien völkisch-rassistische Antisemiten gewesen, gleich ob sie sich liberal oder konservativ ausgaben.

Preußische Tugenden, Gehorsam, Pflichterfüllung hätten Militarismus und Unfreiheit, die deutsche Romantik "Irrationalismus" hervorgebracht. Dies alles hätte zum einmaligen Holocaust, einem "epochalen Ereignis in der Geschichte der Menschheit" geführt. Kein Verbrechen der Menschheitsgeschichte, weder die Indianerausrottung, die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki noch die sowjetischen Gulags, sei qualitativ mit dem Holocaust vergleichbar. Im Gegenteil - und hieran wird der alles andere als humane Charakter der "Antideutschen" offenbar - findet das kommunistische Gulag-System durchaus Anerkennung. In "Antideutsch für Einsteiger" heißt es: "Neben ihrer Bedeutung im Kampf gegen als Feinde definierte Sowjetbürger leisteten die Gulags auch bemerkenswerte Beiträge zur sowjetischen Ökonomie, was für deutschen Vernichtungslager in keiner Weise galt." Das ganz und gar "unökonomisch" geführte Auschwitz habe folglich "jedes Nationalgefühl in Deutschland unmöglich gemacht" (Homepage Martin Blumentritt).

In den Bombennächten seien viel zu wenige verreckt

Die deutsche Nation müsse nun für ihre Menschheitsverbrechen bestraft werden, lautet die latent sadistische Konsequenz der "Antideutschen". Der DDR-"Antifaschismus" sei nicht weitgehend genug gewesen, in der BRD sei die Entnazifizierung nicht hart genug durchgeführt worden. Bombenkrieg, Vertreibung, Verlust der Ostgebiete, Wiedergutmachungszahlungen und langjährige Teilung seien keine ausreichenden Strafen für die Deutschen gewesen. "Keine Träne für Dresden", verlautbart Martin Blumentritt auf seiner Homepage. Deutsche Soldaten hätten "ihren wohlverdienten 'Heldentod'" erlitten, meinten 2003 mehrere "Antifa"-Gruppen. Und es seien in den Bombennächten "noch viel zu wenige verreckt", äußerten "antideutsche" Störer, darunter viele Politologen aus dem Umkreis des berüchtigten "Café Exzess" unlängst während einer Gedenkveranstaltung in Frankfurt am Main (JF 15/04), was den inhumanen Charakter dieses nur gewendeten Rassismus vollkommen offenbart. Mehrere diesem Gedankengut nahestehende "Antifa"-Gruppen verlautbarten Mitte 2003 ganz unemanzipatorisch, daß es notwendig sei, "die Deutschen niemals ihre Niederlage vergessen zu lassen, sie in ihrer nationalen Schmach klein zu halten, als unterwürfige, lethargische Wesen einer permanenten Nachkriegsgesellschaft, deren Horizont hinter ihrem Gartenzaun aufzuhören hat".

Heikel sind die "Antideutschen" aber zunehmend auch für die radikale Linke und traditionelle "Antifaschisten", und zwar dadurch, daß sie zwar aus diesem Milieu erwachsen sind, ihm aber auch gleichzeitig durch ihren kompromißlosen Sadismus zu entwachsen drohen. In den "Antideutschen" haben sich alle anti-nationalen Ressentiments derartig ins Maßlose gesteigert, die gerne benutzten Denunzierungsmethoden der intoleranten "Antifa" derart rücksichtslos ausgeweitet, daß diese Strömung nun zu einer Bedrohung für ihr Herkunftsmilieu, die traditionelle Linke in toto, zu werden scheint. Jeden linken gesellschaftspolitischen Absichten wird eine radikale Absage erteilt. Eine Internetseite verlautbarte folgerichtig: "Wir wollen kein anderes, kein besseres, kein kommunistisches, kein anarchistisches, kein ökologisches, kein antideutsches Deutschland, sondern gar kein Deutschland!" Der Kampf gilt also - abgesehen vom Krieg gegen den "islamischen Faschismus" - mit totalem Vernichtungswillen allein dem eigenen Land.

Immer häufiger wird von handfesten Auseinandersetzungen zwischen jungen "Antideutschen" und alt-linken "Antifaschisten" berichtet. Statt Antiamerikanismus und Palästinenser-Freundschaft pflegen die "Antideutschen" einen kritiklosen Philoamerikanismus und -semitismus. Aufrufe enden mit Parolen wie : "Nazis aufs Maul! Gegen Antiamerikanismus und Antisemitismus! Nieder mit Deutschland!" Die jahrzehntelang geübten "antifaschistischen" Bannwort-Attacken werden nun auch gegen Traditionalisten des linken Lagers als Waffe eingesetzt, vor allem ein inflationär gebrauchter Antisemitismus-Vorwurf .

Die Internet-Zeitung "Kommunisten Online" berichtete, wie in Duisburg eine Veranstaltung des Friedensforums am 7. August 2002 von "Antideutschen" gestört wurde. Die Gedenkveranstaltung für die Opfer der US-Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki wurde vor allem durch ein Flugblatt eines lokalen "attac"-Aktivisten angegriffen, der den "repressiven Konsens über die Verurteilung Israels" kritisiert hatte. Das Bild des "raffgierigen Juden" wäre bei der Veranstaltung bemüht worden. Ein Autor von "Kommunisten Online" kritisierte daraufhin die "antideutschen Schmierereien gegen linke Kräfte" und meinte: "Es ist immer wieder die alte Leier: Wer Kritik an der Politik der Zionisten übt, ist Nazi, läßt sich vor den Nazikarren spannen." "Kommunisten Online" verteidigte deshalb die eigene Position: "Das antideutsche Konglomerat aus Spinnern, Reaktionären und bezahlten Lumpen setzt die Linke mit Faschisten gleich, führt einen reaktionären Kreuzzug gegen sie und bekämpft jeden antiimperialistischen Kampf als angeblich antisemitisch."

Mitte 2003 legte der Alt-Kommunist Günter Ackermann in derselben Internet-Zeitung nach. Er berichtete über einen Artikel unter dem Titel "Antideutsche/ Antinationale sind nicht links, keine Antifaschisten, keine Kommunisten - sie sind ultrarechte Rassisten und Faschisten", den er an das Internetportal "indymedia" gemailt hatte. "Indymedia" zensierte diesen Diskussionsbeitrag rasch aus seinen Seiten, da er "antisemitisch" und "nationalistisch" gewesen sei. Ackermann wiederum kritisierte daraufhin, daß wohl nun die "Antideutschen" den Inhalt von "indymedia" kontrollierten und "antikommunistische Vorurteile pur" verbreiten könnten.

Im August 2003 kam es auf "indymedia" zu einer Diskussion über den Ablauf des "antirassistischen Grenzcamps" 2003, einer alljährlichen Großveranstaltung der linksradikalen Szene. Die "antideutsch" ausgerichtete "Antifa Merseburg" störte sich an pro-palästinensischen T-Shirts von Teilnehmern. Sie erklärte sich mit dem Staat Israel "als einzigem Zufluchtpunkt der Juden/Jüdinnen vor den antisemitischen Kollektiven in aller Welt" solidarisch und stellte den weiteren Sinn "antirassistischer noborder-camps" angesichts anti-israelischer Äußerungen in Frage. Andere Linke hingegen kritisierten das "sektiererische" Auftreten der Gruppe als "völkisch antideutsche Scheiße" im "Blockwart-Ton": "Dem Befehl eures Führers Wertmüller folgend bekennt ihr euch doch auch zu seiner 'Minimalforderung nach der sofortigen Abschaltung von Indymedia' (...) Euer Führer erklärte, 'in Indymedia ist man so nationalsozialistisch wie David Irving'." Es bliebe also zu fragen, warum sich die "Antideutschen" weiter in innerlinke Diskussionen einmischten, "statt wie bisher gemeinsam mit Polizei und Nazis an der Sabotage emanzipatorischer Projekte" zu arbeiten: "Antifa und 'Antideutsch' ist ohnehin ein nicht zu überbrückender Gegensatz."

September 2003 beschwerte sich der "attac"-Aktivist und ehemalige Landesgeschäftsführer der "Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen" (DFG-VK) über Demonstrationsstörungen von seiten der "Antideutschen". Er erklärte kategorisch, daß er und seine linken Mitstreiter einig darin seien, "weder Israel- noch USA-Fahnen bzw. irgendwie geartete 'antideutsche' Hetzpropaganda zuzulassen. (...) Ich denke, es ist ein grundsätzlicher Fehler, diese Gruppen zu tolerieren."

Im Oktober 2003 besetzten Anhänger der "Antifa AG" Räumlichkeiten des AStA der Universität Hannover. Nach zehnjähriger "antifaschistischer" Arbeit war der AG die Unterstützung durch den AStA gekündigt worden. Auslöser hierfür waren Angriffe von "Antideutschen", vor allem Studenten aus den Fachschaften Sozialwissenschaften, Geschichte und Religion, die den Aktivisten der "Antifa AG" Antisemitismus vorgeworfen hatten. In ihrer Verlautbarung erklärten die AStA-Besetzer: "Der Hintergrund ist aber ein Kampf um die politische Meinungsführerschaft in den studentischen Gremien und darüber hinaus." Dem von Jungsozialisten und PDS dominierten AStA sowie den "Antideutschen" warfen sie nun vor, einem "reaktionären Trend" Tür und Tor zu öffnen: "Burschenschafter und andere rechte Kräfte an der Universität reiben sich derweil die Hände."

Dissonanzen zwischen Antifa und "Antideutschen"

Und im Januar 2004 teilte sich eine "antifaschistische" Demonstration in Hamm gegen eine Demonstration rechtsgerichteter Gruppen in zwei einander kritisch gegenüberstehende Lager. Die altlinke Junge Welt kritisierte, daß sich "antideutsche" Gruppen an die Demonstration angehängt hätten, und daß diese auf der Internetseite " www.no-nazis.de " von einer Art antisemitischer Volksfront aus "deutschen Nazis, DemokratInnen und nicht unwesentlichen Teilen der radikalen Linken" fabuliert hätten, welche "Israel und die USA, also Individualität, Weltbürgertum und Fortschritt" bekämpfen wolle. Es bliebe aufrechten "Antifaschisten" "wohl nichts übrig, als abseits der 'Antideutschen' zu demonstrieren", so die linke Tageszeitung.

Angesichts derartiger Vorkommnisse bezeichnete Robert Kurz von der links-undogmatischen "Krisis"-Gruppe einen Großteil der Antideutschen unlängst als "'linke' Kriegshetzer". Und Gerd Bedszent behauptete in der Jungen Welt, daß sich diese Gruppen nur kommunistisch gerierten, um "mittels linksradikaler Phrasen rechtsradikale Positionen" zu propagieren. "Es wird mich nicht wundern, wenn man in einigen Jahrzehnten herausfindet, daß ausländische Dienste die Fäden im Hintergrund der 'Antideutschen' gezogen haben", äußerte unlängst ein ehemaliger DDR-Geheimdienst-Mitarbeiter gegenüber dem Autor.

Nirgends wird anschaulicher, daß die angeblich humanen, kathartischen Ziele der einseitigen NS-Vergangenheitsbewältigung gescheitert sind. Aus jahrzehntelanger Indoktrination ist kein humanistischer Schwan erwachsen, sondern Nazi-ähnliche Horden entstiegen den Gräbern, um nun Hakenkreuz und "Juda verrecke" gegen Israel-Banner und die Parole "Deutschland muß sterben" auszutauschen.

Hier schließt sich der Kreis, und der "antideutsche" Negativ-Abzug des "Nazis" fühlt sich womöglich doch noch berufen, zum willigen Testamentsvollstrecker seines "Führers" zu werden, der in der umzingelten Reichskanzlei von einem untergehenden Deutschland ohne Lebensrecht phantasierte.

Foto: "Antideutsche" Demonstration in Potsdam (2001): "Konglomerat aus Spinnern und Reaktionären"


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen