© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/04 30. April 2004

Auf einem Meer aus heißem Heilwasser
EU-Erweiterung II: Beiderseits der Grenze von Österreich und Ungarn gab es schon vor dem Beitritt die "West-Pannon Euregio"
Alexander Barti

Schon Jahre vor der EU-Osterweiterung wurde die Ebene der Regionen in der EU-Verwaltung eingeführt. Denn Deutschland wollte seine Bundesländer und die damit verbundene föderale politische Kultur zur Geltung bringen. Für klassische Zentralstaaten wie etwa Frankreich bedeutete dies aber einen schweren Angriff auf das eigene Staatsverständnis. In Paris witterte man hinter dem deutschen Vorstoß geschicktes Machtkalkül. Trotzdem wurde schließlich ein "Komitee der Regionen" (KdR) geschaffen, das im Zuge der Debatte über die "arrogante Zentralmacht Brüssel" an Bedeutung dazugewinnen wird.

Im Vorgriff auf die am 1. Mai anstehende EU-Erweiterung wurden nicht nur innerhalb der EU Regionen konstituiert, sondern auch an den bisherigen Außengrenzen. Eine dieser grenzüberschreitenden Einheiten ist die "West-Pannon Euregio" zwischen Österreich und Ungarn. Sie umfaßt das österreichische Burgenland und die westungarischen Komitate Györ-Moson-Sopron, Vas und Zala. Ungarn besteht aus 20 Komitaten: Verwaltungseinheiten mit jeweils einer parlamentsähnlichen Versammlung, die ein Vorsitzender leitet. Diese Struktur stammt aus dem Mittelalter, als die Einheiten noch "Burgkomitate" mit Adelsverwaltung - ähnlich den englischen Grafschaften - waren.

Während das Burgenland das am wenigsten entwickelte Bundesland Österreichs ist, gilt die andere Seite als fortschrittlichste Region innerhalb Ungarns. Aber das ist nicht die einzige Besonderheit dieser statistischen Einheit, wie die kürzlich erschienene Analyse "Die Euregio in Zahlen 2003" veranschaulicht.

Zwischen Neusiedler See im Norden und dem Flüßchen Mur im Süden leben in 819 Siedlungen 1,27 Millionen Menschen, davon 277.000 auf der österreichischen Seite. Die Bevölkerungsdichte ist mit 70 Einwohnern pro Quadratkilometer im Burgenland am niedrigsten (Györ-Moson-Sopron: 106); die meisten Menschen in der Euregio sprechen Ungarisch (1.005.410), gefolgt von Deutsch (420.617), Kroatisch (29.979) und anderen Sprachen (32.777). Daß mehr Sprachkenntnisse als Einwohner angezeigt werden, ergibt sich aus der relativ verbreiteten Vielsprachigkeit.

Sehr unterschiedlich hat sich die Urbanisation entwickelt. Wiener Neustadt und das ans Burgenland angrenzende Bundesland Wien als "Bevölkerungsmagneten" haben dort praktisch keine anderen Städte entstehen lassen, selbst die Landeshauptstadt Eisenstadt (Kismarton) hat nur 11.000 Einwohner. Dagegen haben sich in Westungarn mehrere mittelgroße Städte entwickelt, so etwa Raab (Györ) mit 130.000 Einwohnern, Ödenburg (Sopron): 55.000, Steinamanger (Szombathely): 90.000 und Zalaegerszeg: 62.000. Die Urbanisationsrate beträgt 21 zu 56 Prozent zugunsten Westungarns.

Dafür sind die Burgenländer viel reicher als ihre östlichen Nachbarn, denn pro Kopf erwirtschaften sie 16.400 Euro Bruttosozialprodukt (BSP), die Ungarn nur 5.644 Euro. Damit liegen sie 36 Prozent unter dem österreichischen (28 Prozent unter dem EU-) Durchschnitt, die Westungarn hingegen sind mit 114 Prozent nationale Spitzenreiter.

Nur relativ wenig Arbeitslose in Westungarn

Auf tausend Burgenländer kommen 568 Autos (Westungarn: 256), und sie haben doppelt so viele PCs wie ihre östlichen Nachbarn. Aus dem BSP-Gefälle und den niedrigeren Lohnkosten ergeben sich auch unterschiedliche Arbeitslosenquoten: Im Burgenland sind etwa neun Prozent ohne Beschäftigung, in Westungarn knapp sechs Prozent.

Voraussichtlich wird auch die ungarische Quote kräftig ansteigen, denn die in den letzten Jahren realisierten Lohnerhöhungen zwingen die Unternehmen zu deutlichen Rationalisierungsmaßnahmen. Steigt die Produktivität nicht in dem gewünschten Maße an, packen vor allem ausländische Firmen ihre Maschinen und ziehen weiter gen Osten.

Ein weiterer Indikator des Wohlstands ist die Lebenserwartung, die auch für das Burgenland spricht. Dort werden Männer 75,3, Frauen 82 Jahre alt; in Westungarn sterben dagegen die Menschen durchschnittlich etwa sieben Jahre früher.

Das Führungsgremium der Euregio West-Pannon hat vergangenen Jahr einen Bericht veröffentlicht, in dem Pläne für die Zukunft erarbeitet wurden. Demnach will sich die österreichisch-ungarische Region auf innovative Technologien, sanften Tourismus und Logistik spezialisieren.

Ein ökologisch gesehen hervorragendes Beispiel für Spitzentechnologie ist der Biomasse-Verbund in Güssing (Németújvár), der 25 Unternehmen zusammenschließt. 1998 ging das Biomassekraftwerk Güssing ans Netz, das nicht nur Energie erzeugt, sondern sich vor allem Kompetenzzentrum versteht. Zusammen mit den Technischen Universitäten Graz und Wien und der Hochschule Pinkafeld werden Energiekonzepte entwickelt und als Dienstleistung an Unternehmen und Kommunen verkauft, so daß sich das Zentrum finanziell selbst trägt. Der Schritt in Richtung erneuerbare Energien hat sich für das strukturschwache Südburgenland gelohnt, denn seit Bestehen des Verbundes 1997 sind 50 kleinere Firmen mit 400 Arbeitsplätzen entstanden.

Was vor Jahren noch ein Nachteil war - mangelnde Industrialisierung -, erweist sich inzwischen für West-Pannon als Vorteil. Im Zuge des sich dynamisch entwickelnden Gesundheitstourismus will man die idyllische, in weiten Teilen unberührte Natur als Gütesiegel nutzen. Neben den "klassischen" Möglichkeiten, wie etwa dem Ausbau von Rad-, Wanderwegen und Weinstraßen, möchte man in Zukunft vor allem mehr Thermalbäder bauen. Denn die Region schwimmt praktisch auf einem Meer aus heißem Heilwasser.

Allerdings sind in diesem Bereich gigantische Investitionen zu tätigen, die sich inzwischen nicht mehr lohnen. Das berühmte Heilbad Héviz (Komitat Zala) klagt jetzt schon über ausbleibende Gäste, seitdem die neuen Bäder in Sárvár, Zalaegerszeg und Kehidakustány eröffnet wurden, die ihrerseits auch nicht ausgelastet sind.

Von der wirtschaftlichen Dimension abgesehen ist die Euregio auch kulturell eine heilsame Entwicklung: Das Gebiet war bis 1921 integraler Teil der k. u. k.- Monarchie und wurde 1945 brutal zerrissen, als der Eiserne Vorhang fiel; zudem wurden viele Deutsche von ungarischen Chauvinisten aus ihrer Heimat vertrieben. Dieses heikle Thema wird noch immer gerne unter den Teppich gekehrt oder mit dem eigenen "Trianon-Trauma" entschuldigt. Ob die West-Pannon-Euregio indirekt dabei hilft, auch dieses Thema anständig zu bearbeiten, wird sich in den nächsten Jahren zeigen. (Info: www.euregio.hu)


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