© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/04 23. April 2004

Ehrenwerte Gesellschaften
Berliner Bankenskandal: Der Tod des Aubis-Angestellten Lars Oliver Petroll läßt viele Fragen offen / Ein brisantes Buch belastet die nur widerwillig agierende Justiz
Ronald Gläser

Jahrelang hatte Lars Oliver Petroll die sensiblen Geschäftsdaten der Immobilienfirma Aubis verwaltet. Als im Jahr 2001 der Bankenskandal um die Bankgesellschaft Berlin aufgedeckt wurde, hatte er genug Beweismaterial gesichert. Er hätte damit seine früheren Chefs Christian Neuling und Klaus-Hermann Wienhold "ins Schwitzen bringen" können, wie er selbst sagte.

Am 29. September 2001 wurde der tote Lars Oliver Petroll im Grunewald an einem Baum erhängt aufgefunden. Es dauerte eine Weile, bis die Leiche identifiziert war. Der Strick, an dem Petroll hing, wurde später vernichtet. Übrig blieben nur drei dreißig Zentimeter lange Stricke, mit denen jemand gefesselt worden sein könnte.

Für Polizei und Staatsanwaltschaft stand schnell fest: Das war Selbstmord. Die beiden Journalisten Susanne Opalka und Olaf Jahn sehen das anders. Seit 2001 haben sie in der Angelegenheit recherchiert und nun ein Buch über den mysteriösen "Tod im Milliardenspiel" geschrieben. Mit ihren Enthüllungen stellen die beiden Kontraste-Redakteure die Berliner Justiz an den Pranger.

Die Geschichte beginnt im West-Berlin der achtziger Jahre. Hier verrichtete Klaus-Hermann Wienhold seinen Polizeidienst. Erst sorgte er am Bahnhof Zoo für Recht und Ordnung. Später wechselte er zur Kripo - zur Mordkommission. Als 1981 die jahrzehntelange SPD-Herrschaft endete, ging Wienhold in die Politik. Er hatte Anschluß in der weitverzweigten Seilschaft des Klaus Rüdiger Landowsky gefunden. Dieser Clique ist auch Christian Neuling zuzurechnen. Nach seinem Studium am Massachusetts Institute of Technology (MIT) arbeitete Neuling in der Firma seines Bruders. Wie Wienhold wurde er CDU-Abgeordneter. Irgendwann haben der Ingenieur und der Ex-Polizist Freundschaft geschlossen.

Wienhold und Neuling waren typische Wendegewinnler

Als die Mauer fiel, witterten sie ihre große Chance. Den Anfang machte Wienhold, der im Mai 1991 für eine Viertelmillion Mark eine Immobilie in Eberswalde erwarb. Im Sommer desselben Jahres entstand die Wienhold/Neuling GbR - der Nukleus des späteren Aubis-Imperiums. Für fast eine Million kauften Wienhold und Neuling weitere Objekte in der August-Bebel-Straße in Eberswalde. Ausgerechnet in einer Straße, die nach dem SPD-Gründer benannt ist, erwerben die beiden CDU-Kapitalisten Immobilien! Darüber haben die beiden viel gelacht und ihre Firma Aubis genannt: Das soll die Kurzform von August-Bebel-im-Sack sein.

Weniger witzig war die Einkaufstour mit den Geldern der Berlin-Hyp, die Wienhold und Neuling in den kommenden Jahren veranstalteten. Berlin-Hyp ist ein Unternehmen der Bankgesellschaft Berlin. Die BGB wurde aus der Sparkasse, der Berliner Bank und weiteren Geldhäusern - wie eben der Berlin-Hyp - gebildet. Die neue Großbank sollte nach der Wiedervereinigung dem Diepgen-Senat das Geld für die unzähligen Großprojekte bereitstellen. Die Politiker in der Bundeshauptstadt hatten Großes mit Berlin vor! So ging es auch Wienhold und Neuling. 1992 erwarb das Unternehmerduo ein weiteres zu sanierendes Mehrfamilienhaus in Angermünde - mit Geldern von Berlin-Hyp. 1993 bezog die Firma eine noble Villa in Berlin-Westend.

Inzwischen verwaltete Aubis etwa vierzig Objekte, die saniert und später weiterverkauft werden sollten. Dann folgte ein Wechsel in der Unternehmensstrategie: Von nun an konzentrierten sich Wienhold und Neuling auf die heruntergekommenen Plattenbauten in Mitteldeutschland. Damals wurden die Ost-Wohnungsbaugesellschaften gesetzlich verpflichtet, einen Teil ihres Bestandes zu privatisieren. Die Erlöse sollten die Altschulden der meist kommunalen Gesellschaften tilgen helfen. Damit diese Schulden möglichst schnell getilgt würden, bestand ein Anreiz für die Firmen: Je früher sie verkauften, desto niedriger war der Anteil aus dem Verkaufserlös, der an einen Altlastentilgungsfonds abgeführt werden mußte.

Doch das Interesse der früheren DDR-Bürger am Erwerb ihrer Immobilien war niedrig. Zudem hielt die Abwanderung in den Westen an. Es fanden sich nicht genug Kaufinteressenten für die Platten-Wohnungen. Des einen Leid wurde nun des anderen Freud'. Aubis sah ein Geschäftsfeld, indem es als "Zwischenerwerber" auftrat. Die Dresdner Bank beurteilte solche Geschäfte schon Mitte der neunziger Jahre als "riskant". Die FAZ warnte, das Modell bringe "den Kapitalanlegern keine Rendite". Und in einem späteren BGB-internen Papier steht, daß auch keine Steuervorteile für die beiden Möchtegern-Wirtschaftskapitäne Wienhold und Neuling entständen. Zitat: "Das hätte sich einem ordentlichen Bankkaufmann sofort aufdrängen müssen."

Hätte. Müssen. Es hat sich aber bei der Berlin-Hyp niemandem aufgedrängt. Auch sonst haben die Banker nicht mit der notwendigen Sorgfalt die Eigentumsverhältnisse oder den kaufmännischen Verstand der beiden Unternehmer überprüft. Statt dessen wurden immer neue Kredite bewilligt. Es entstand ein Firmenkonglomerat von Aubis-Töchtern wie Aubiprom, Aubitec, Aubis Konzept GmbH oder Aubibau.

EDV-Spezialist Petroll erhält Einblicke in das Aubis-System

Der Untersuchungsausschuß im Berliner Abgeordnetenhauses hat später Licht ins Dunkel der Vergabepraxis gebracht: Die Unterlagen, die die Kreditnehmer einreichten, waren äußerst dürftig. Die Prognosen der Immobilienhaie hätten einer Prüfung niemals standgehalten. Im Herbst 1995 wurde Wienhold bei seinem Parteifreund Landowsky in dessen Berlin-Hyp-Vorstandsbüro vorstellig. Er übergab Landowsky 40.000 Mark in bar - für die Wahlkampfkasse. Eben mal so. Wenig später sagte die Berlin-Hyp einen weiteren 280-Millionen-Kredit zu. Obwohl den Geldgebern langsam klar wurde, daß Aubis ein Koloß auf tönernen Füßen ist, gingen die Zahlungen weiter. Der Einfluß der beiden CDU-Größen obsiegte bei der landeseigenen Bank über den wirtschaftlichen Sachverstand.

1998 fängt Lars Oliver Petroll bei der Aubis an. Schnell fällt ihm auf, wie die wirkliche "Wertschöpfung" in dem Wirrwarr von Aubis-Töchtern stattfindet: Aubis-Firmen rechnen untereinander zu hohe Preise ab. Den Schaden hat die Bank. Die Gelder fließen auf ausländische Privatkonten. Die Sicherheiten der Bank - die sanierten Plattenbauten - sind viel weniger wert als in den Geschäftsmodellen vorgesehen. Auch Mieter werden geschädigt. So liefert die Firma Elpag Aubis-Mietern Wärme zu stark überhöhten Preisen. Elpag gehört zwar einem Strohmann, aber Wienhold und Neuling sind zeichnungsberechtigt. Und sie erhalten immer wieder größere Summen, deren Zweck nicht erkennbar ist.

Beim Springer-Verlag in Hamburg hat Petroll das Rechnersystem auf PC umgestellt. Der Hamburger hat in einer Werbeagentur und einer Computerfirma gearbeitet, studiert und später als Selbständiger Geld verdient. Er hat eine Tochter. Mit 29 erfolgt dann der karrieretechnische Quantensprung: Er wechselt zur Aubis - als EDV-Chef. Der Studienabbrecher ist Technikfreak und hat Einblick in die Aubis-Firmennetzwerke wie kein anderer. Petrolls Hauptaufgabe ist es, die Rechner am Laufen zu halten - für ihn ein Kinderspiel. Doch er berichtet seinen Freunden in Hamburg, daß nicht alles ganz "koscher" sei, was da in der Firma ablaufe. Anfang 2001 wird die ganze Platten-Misere ruchbar, und Petroll sagt zu seiner Freundin: "Die Staatsanwaltschaft wird denen noch ganz schön auf die Füße treten."

Petroll spürt zunehmend, selbst Teil der fragwürdigen Praktiken geworden zu sein. Also beginnt er Beweise zu sammeln, die Wienhold und Neuling schwer belasten. Er kann von überall auf das Firmennetzwerk der Chefetage zugreifen. Ihm ist längst klar, daß Aubis keine Zukunft mehr hat. Als der Bankenskandal auffliegt und die SPD den Diepgen-Senat stürzt, geht Petroll bereits eigenen Projekten nach. Er ist noch offiziell bei Aubis als Berater beschäftigt, hat aber nicht viel zu tun. So widmet er sich seinem Traum von der eigenen Telefongesellschaft. Er will zunächst ein Telefongeschäft eröffnen, in dem billige Türkeigespräche geführt werden können: Pashatel.

Er hat noch ein zweites Geschäftskonzept, das er vorbereitet. Dafür braucht er Geld. Der lebenslustige Mann konnte sich einen sehr aufwendigen Lebensstil mit tollen Autos und dem neuesten Elektronikspielzeug leisten. Gespart hat er nie. Er will sein Wissen über die kriminellen Machenschaften zu Geld machen - und geht dabei nicht besonders schlau vor. Er nimmt Kontakt zur Bankgesellschaft auf, die Interesse an den Unterlagen hat, denn mit den Beweisen, daß sie arglistig von Wienhold und Neuling getäuscht wurde, könnte sie beide Betrüger belangen. Die Bankgesellschaft hält Petroll hin. Vermutlich hat er darauf versucht, Wienhold zu erpressen. Inzwischen fühlte er sich auch bedroht, sagen diejenigen, die Kontakt zu ihm hatten. Am 23. Mai 2001 erhält er eine SMS: "Warum soll dich einer killen?"

Die Justiz machte sich nie die Mühe, Petroll zu verhören

Petroll taucht in Hamburg unter. Aus seiner alten Wohnung läßt er von Freunden Dinge abholen. "Lars Oliver hat mir gesagt, daß man ihm an den Kragen will", erzählt ein Hamburger Freund Petrolls. Ende Juli hinterlegt Petroll am Flughafen Tegel eine Tasche mit Daten. Dies war vermutlich ein Großteil der Beweise, die er so akribisch gesammelt hat. Er holt die Tasche nie wieder ab.

Sechs Wochen später geht die Tasche zum Fundbüro. Die Mitarbeiter dort sehen, daß es sich um Unterlagen der Firma Aubis handelt, und rufen dort an. "Ja, diese Tasche gehört uns", bestätigt die Aubis-Chefetage. Das belastende Beweismaterial ist also wieder in der Hand der Aubis-Bosse. Warum Petroll die Unterlagen nicht abgeholt hat, bleibt sein Geheimnis. Und die Unterlagen? Ein Aubis-Mitarbeiter gibt später zu, sie vernichtet zu haben.

Zudem haben die Aubis-Chefs inzwischen erfahren, daß vermutlich Petroll derjenige sei, der der Bankgesellschaft eben dieses Belastungsmaterial zukommen lassen wollte - aus einem Aktenvermerk der Staatsanwaltschaft in der Ermittlungsakte. In diese hatten die Anwälte von Wienhold und Neuling Einsicht genommen. Einer von ihren Vertrauten in dem Unternehmen sagt im September 2001, daß Petroll das wohl nicht überleben würde, wenn er auspacke.

Der Aktenvermerk hat Petroll unter Umständen das Leben gekostet. Dies ist nur einer der vielen Fehler, den die Justiz in diesem Skandal gemacht hat. Sie hat sich nie die Mühe gemacht, Petroll zu verhören. Auch etliche andere Zeugen aus der Firma und Petrolls persönlichem Umfeld wurden nicht ein einziges Mal verhört.

Das Buch "Tod im Milliardenspiel" listet alle Ermittlungspannen akribisch auf. Wichtige Zeugen und Beweise blieben unbeachtet. Vielmehr glaubten die Ermittler dem Gerücht, Petroll hätte bereits einen Selbstmordversuch hinter sich. Doch dieses Gerücht wurde von einer einzigen beteiligten Person gestreut und entspricht nicht der Wahrheit. Petroll hatte gerade eine neue Freundin und große Pläne mit Pashatel.

Die Polizei verzichtete darauf, eindeutiges Beweismaterial zu sichten. So zum Beispiel Petrolls Handy, auf dem die Kontraste-Leute die ominöse SMS fanden. Dagegen ist es den beiden Autoren gelungen, die letzten Wochen und Monate im Leben des Lars Oliver Petroll minutiös nachzuzeichnen. Die Justiz jedoch stellte die Ermittlungen wegen des Mordverdachts ein. Selbst der Untersuchungsausschuß konnte die Justiz nicht zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens bewegen.

Petrolls Tod ist ein haarsträubender Skandal aus der Filz-Metropole Berlin. Hat Wienhold alte Kontakte zur Mordkommission genutzt, um die Ermittlungen zu beeinflussen? So weit gehen die Autoren nicht. Trotzdem haben sie diese zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit zum Thema gemacht. Es erscheinen Anhaltspunkte für den Verdacht, daß wichtige Repräsentanten der Berliner Gesellschaft sogar in Morde verwickelt sind. Auf jeden Fall ist es so, daß die Justiz ganz weit wegzusehen bereit ist, wenn sich ein solches Verbrechen ereignet. Petroll hatte das zweifelhafte Glück, daß es politisch korrekt war, seinen Tod genauer zu untersuchen.

Wienhold und Neuling konnte eine Straftat im Zusammenhang mit Petrolls Tod nicht nachgewiesen werden. Für die Justiz liegt kein Verbrechen vor. Etwa 120 Ermittlungsverfahren wurden im Berliner Bankenskandal eingeleitet, von denen die Hälfte - nicht zuletzt wegen Verjährung - bereits eingestellt ist. Seit Anfang März müssen sich die auf Kaution in Freiheit befindlichen Wienhold und Neuling vor dem Berliner Landgericht in einem der sieben Prozesse verantworten, die zur Anklage gekommen sind.

Olaf Jahn, Susanne Opalka: Tod im Milliardenspiel. Der Bankenskandal und das Ende eines Kronzeugen. Transit Buchverlag, Berlin 2004, 222 Seiten, Abbildungen, 18,80 Euro

Fotos: Die Schlüsselfiguren im Berliner Parteispenden- und Bankenskandal Klaus Wienhold (r.) und Christian Neuling (li.) am 2. März 2004 im Kriminalgericht Berlin-Moabit: Die beiden haben viel gelacht / Lars Oliver Petroll, 1995: "Warum soll dich einer killen?"


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