© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/04 23. April 2004

Bürgeraufstand in Tirol
Verkehrspolitik: Protest gegen den zunehmenden LKW-Transit durch die Alpen / EU will billigere Fahrten erzwingen
Hans Kronberger

Eine Gesundheitsmaßnahme der anderen Art hat das Transitforum Tirol in den Tagen vor Ostern ausgerufen: Unter dem Motto "Ostern Aktiv" machten sich Tausende Bürger auf der Straße Luft, um gegen die Auswüchse des Straßenverkehrs zu protestieren. Die am stärksten befahrenen Transitrouten der Alpenrepublik wurden zumindest stundenweise blockiert und lahmgelegt.

Was Osterurlauber wohl als lästige Verzögerung ihrer Urlaubsreise und Wirtschaftstreibende als kontraproduktive Protestmaßnahme empfanden, war ein - unbestreitbar medienwirksam inszenierter - Aufschrei der ansässigen Bevölkerung gegen immer unzumutbarere Lebensbedingungen entlang den österreichischen Transitrouten. Die ungebremst dahinrollende Verkehrslawine und ihre katastrophalen Folgen treiben die Menschen auf die Barrikaden: Im Inntal etwa liegen die Schadstoffbelastungen weit über allen gesetzlich fixierten Höchstwerten. Neue Betriebsansiedelungen sind zum Teil aufgrund der hohen Luftbelastung nicht mehr erlaubt.

Auch Österreichs Ärzte schlagen Alarm, da Verkehrsbelastung und stetig ansteigende Dieselemissionen für die Menschen in den Alpenregionen bereits jetzt eine Gesundheitsgefahr ersten Ranges darstellen. Tausende Fälle von Bronchitis und Asthma sowie 2.500 jährliche Todesfälle sind allein der Belastung durch den Verkehr zuzuschreiben. Umweltzerstörung, Lärm, Abgase - das ist das tägliche Brot der Anrainer an Österreichs Transitstrecken.

Blockade-Aktionismus kann sicher kein einziges Problem unmittelbar lösen und eine sachliche politische Diskussion nicht ersetzen. Aber ohne diesen Anspruch überhaupt stellen zu wollen - sinnlos oder ungerechtfertigt sind derartige Aktionen deswegen noch lange nicht. Nicht nur, weil es so etwas wie eine verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit gibt. Es ist auch das gute Recht der Bevölkerung, dem politischen Establishment auf die Zehen zu steigen und ihm klarzumachen, daß es so nicht weitergehen darf; daß man nicht länger bereit ist, politische Entscheidungen, die das Leben der Menschen massiv und vor allem negativ beeinflussen, weiter hinzunehmen. In diesem Bürgerrecht also einen "Aktionismus zum Schaden Österreichs" zu orten, wie dies die österreichische Wirtschaftskammer getan hat, zeugt nicht gerade von akutem Problembewußtsein.

Und wer von einem "durch die Blockaden hervorgerufenen volkswirtschaftlichen Schaden" spricht, vergesse bitte nicht jenen volkswirtschaftlichen Schaden, der aus der zunehmenden Zerstörung der Umwelt und der gesundheitlichen Belastung der Menschen resultiert.

Daß Österreich ein Transitproblem hat, weiß man längst - nicht erst durch die medienwirksame Vermarktung der österlichen Blockademaßnahmen. Seit 1992 sind Ökopunkte und Transitvertrag ein immerwährender Dauerbrenner. Das vorerst letzte Kapitel der endlosen Transithistorie wurde unlängst aufgeschlagen. Da drückte man seitens der EU den Österreichern gegen ihren Willen eine Ökopunkte-Übergangsregelung aufs Auge, die außer Kosten und Verwaltungsaufwand keinen einzigen positiven Effekt mit sich bringt. Da Wien dieses absurde Regelwerk nicht umzusetzen gedenkt, schwingt die Kommission nun auch noch die Klagekeule.

Natürlich muß EU-Recht prinzipiell umgesetzt werden. Aber wenn es der Kommission so sehr um die Einhaltung der Rechtsvorschriften und Verträge geht, dann hätte es die neue Ökopunkteregelung in dieser Form nie geben dürfen. Denn das im Protokoll Nr. 9 des Beitrittsvertrags festgelegte Ziel einer dauerhaften Schadstoffreduktion um 60 Prozent wurde schlicht nicht erfüllt.

Und die Mär, Österreich hätte es bei der Transitregelung immer nur auf diverse Extrawürste für den hausgemachten Verkehr abgesehen, sei hiermit übrigens auch einmal ausgeräumt. Ursprünglich war nämlich der gesamte bilaterale Verkehr bei Abschluß des Transitvertrages von einer Kontingentierung erfaßt, bloß: Kommission und einige EU-Staaten stemmten sich unter Berufung auf die heilige Kuh des freien Binnenmarktes gegen diese Vorschrift. Daß der Transitverkehr auf der Brennerachse über 90 Prozent des Gesamtverkehrs ausmacht (in bezug auf die Transporttonnage), ist eine Tatsache.

Gern vergißt man auch, daß die Alpenkonvention geltendes EU-Recht ist und das gesamte Alpengebiet als schützenswerte Zone ausweist. Und wie soll Österreich den Brenner-Basis-Tunnel, ein Projekt von gesamteuropäischem Interesse, alleine finanzieren? Eine notwendige Kofinanzierung durch die EU kann es erst geben, sobald die TEN (Transeuropäische Netze) beschlossen sind. Nicht nur Österreich hat ein Problem - ganz Europa braucht dringend ein Alternativkonzept, um dem drohenden Verkehrskollaps Herr zu werden. Daß die Entwicklung im Straßenverkehr auf einen gigantischen Verkehrsinfarkt zusteuert, wurde bereits in den fünfziger Jahren prophezeit.

Nach langen und vollmundigen Ankündigungen durch die Kommission liegt nun der Entwurf der neuen Wegekostenrichtlinie auf dem Tisch und wird in Rat und Europäischem Parlament diskutiert. Leider ist in keiner der angeführten Institutionen der ernsthafte Wille zu erkennen, eine langfristige Lösung anzustreben. Diese wird erst kommen, wenn halb Europa sich an einem Osteraufstand beteiligt.

 

Dr. Hans Kronberger ist FPÖ-Mediensprecher und als Europaabgeordneter Mitglied des Umweltausschusses im Europäischen Parlament. Er verfaßte für diesen Ausschuß die Berichte zur Verlängerung des Ökopunktesystems und zur EU-Wegekostenrichtlinie.


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