© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/04 16. April 2004

BLICK NACH OSTEN
Mit einem Fußtritt in die Karsthöhle
Carl Gustaf Ströhm

Anläßlich der Aufnahme Sloweniens in Nato und EU ist es zwischen Italien und dem hochgelobten Kandidatenland zu einer schweren Verstimmung gekommen. Die Republik Italien hat den 10. Februar zum Tag des Gedankens an die Opfer der "Foibe" erkoren. So heißen die mehr als hundert Meter tiefen Karsthöhlen in Istrien und bei Triest. Dort hinein warfen die jugoslawischen Tito-Partisanen bei Kriegsende 1945 über fünftausend Menschen, die dort qualvoll starben. Opfer waren meist Italiener, die das Pech hatten, in den von Tito eroberten Provinzen Triest und Pola (Pula) zu leben.

Es handelte sich um eine "ethnische Säuberung", wie man inzwischen zu sagen pflegt. In Istrien - heute ein beliebtes Urlaubsziel der Deutschen - kam 1945 die Zugehörigkeit zur italienischen Nationalität oft einem Todesurteil gleich. Wer von Rijeka (Fiume) nach Triest unterwegs ist, sollte in Bazovizza, dem ersten zu Italien gehörenden Dorf nach der Grenze, wenige hundert Meter auf eine Seitenstraße abzweigen, um dort dann einem Friedhof und Ehrenmal für die Foibe-Opfer gegenüberzustehen. Unter mehreren Gedenksteinen für die im Karst Ermordeten findet sich auch eine Tafel mit den Namen von italienischen Zollbeamten, die von den Partisanen bei lebendigem Leibe in die Karsthöhle geworfen wurden.

Auf der Pariser Friedenskonferenz 1947 sprachen die Westalliierten dem kommunistischen Jugoslawien weite Teile von bis dahin italienischem Territorium zu. KP- und Staatsführer Josip Broz Tito wollte zuvor "reinen Tisch" machen und verhindern, daß die italienische Kultur und Identität auf dem neu erworbenen Gebiet überlebt.

So wie bei Stalin bediente man sich radikaler Ausrottungsmethoden. Der größte Teil der istrianischen Italiener, der diese Behandlung angstvoll überlebte, wurde zur Flucht nach Italien getrieben. Das erinnerte an Szenen, wie sie damals in den deutschen Ostgebieten, im Sudetenland, bei den Donauschwaben in Kroatien und Slowenien alltäglich waren: enteignete, von Haus und Hof verjagte - weil national unerwünschte - Bürger, die mit spärlichen Resten ihrer Habe dem rettenden Westen zustrebten.

In Italien kennt man heute weitaus weniger Hemmungen als in Deutschland, dieser fast durchweg unschuldigen Opfer zu gedenken. Der Mailänder Corriere della Sera wirft den italienischen Ministerpräsidenten (inklusive Silvio Berlusconi) vor, nach 1989 habe keiner Zeit gefunden, die Reste der italienischen Minderheit aufzusuchen - "eine halbe Autostunde von Triest entfernt".

Interessant ist nun, wie die meist postkommunistische Führung Sloweniens auf die Foibe-Erinnerungen reagierte. Die führende slowenische Zeitung Delo sprach von einer "italienischen Provokation". Das skandalträchtige Magazin Mladina stellte auf seine Netzseite (www.mladina.si/projekti/igre/fojba2000/) sogar ein makabres Tetris-Spiel namens "Foiba 2000", wo man Opfer mit einem Fußtritt in eine schwarze Karsthöhle werfen kann, die mit persönlichen Gegenständen und sogar einer Bibel angefüllt ist.

Die slowenische Öffentlichkeit hat auf das Foibe-Gedenken der Italiener eine Gegenrechnung aufgemacht: In Laibach will man sich der Greueltaten italienischer Faschisten, begangen an der slowenischen Bevölkerung während des Zweiten Weltkriegs, erinnern. Auch zwischen Italienern und Slowenen ist der nationale Konflikt noch lange nicht ausgestanden - trotz oder auch wegen Brüssel.


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